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Weichmacher und Cadmium – Grüne sorgen sich um Schadstoffe in Lebensmitteln

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Sieht gesund aus und wird breit beworben: das Müsli für unsere Jüngsten. Über krebserregendes Cadmium darin erfährt man nichts. Sieht gesund aus und wird breit beworben: das Müsli für unsere Jüngsten. Über krebserregendes Cadmium darin erfährt man nichts. © ManEtli – stock.adobe.com
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Fliegen, Maden und anderes Ungenießbares sind in Speisen gut zu erkennen; hier lässt sich schnell handeln. Schadstoffe in Lebensmitteln sind dagegen nur schwer oder nicht identifizierbar. Doch gibt es reichlich davon. Die Konzentration kann mal weit über, mal knapp unter den Grenzwerten liegen. Die Grünen beschäftigt dieses Problem.

Verbraucher müssen sich darauf verlassen können, dass Lebensmittel und deren Verpackungen sicher sind, sagt Renate Künast, Sprecherin für Ernährungspolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. „Und wir wollen uns alle auch darauf verlassen, dass Grenzwerte einer wissenschaftlichen Fragestellung folgen.“ Bei der besonders schutzbedürftigen Gruppe der Kinder sei ganz genau hinzuschauen. Grenzwerte für einen 30-Jährigen auf sie umzurechnen, wäre nicht angemessen. Entsprechende Forschung hält Künast deshalb für nötig. Diese zu finanzieren, sei eine nationale wie internationale Aufgabe. Auch die EU-Kommission könne man unter einen gewissen Druck setzen, meint sie.

Höchste Konzentrationen bei den Jüngsten festgestellt

Den Handlungsbedarf verdeutlicht Dr. Marike Kolossa-Gehring vom Umweltbundesamt: In der „Deutschen Umweltstudie zur Gesundheit“ seien ungefähr 100 gefährliche Stoffe gemessen worden, von denen sehr viele über die Nahrung in den Menschen gelangten. Die Leiterin des Fachgebiets „Toxikologie, gesundheitsbezogene Umweltbeobachtung“ nennt Weichmacher, fortpflanzungsgefährdende Phthalate, Plastikbestandteile wie Bisphenol A, UV-Filter, UV-Stabilisatoren, fortpflanzungsgefährdende Pyrrolidone, Pflanzenschutzmittel wie Glyphosat, Schwermetalle und Metalle wie Quecksilber, Arsen, Blei, Cadmium, Nickel, Chrom. Es gebe ferner perfluorierte Substanzen, die u.a. auf eine Schwächung der Immunreaktion wirkten, aber auch auf Fortpflanzung und Fettstoffwechsel.

„Wir haben bei unserer vorletzten Kinderstudie gesehen, dass ungefähr 85 % der Kinder in Deutschland so hoch belastet sind, dass man gesundheitliche Auswirkungen nicht mehr mit ausreichender Sicherheit ausschließen konnte“, bemerkt die Giftexpertin bezüglich der Weichmacher. Mittlerweile werde zwar bei einigen der verbotenen Phthalate eine Abnahme beobachtet, aber: „Es gibt kein Kind, keinen Jugendlichen, der in Deutschland lebt, der nicht mit diesen Stoffen belastet ist.“ Weichmacher fänden sich in den höchsten Konzentrationen in den jüngsten Kindern, was besonders bedenklich sei, „weil die in der sexuellen Reifung und Entwicklung sind und damit auch eben in der Entwicklung der Hirnfunktion“.

In der Vergangenheit sei viel versäumt worden und nach wie vor gebe es Probleme zu lösen, kritisiert Dr. Kolossa-Gehring. So werde z.B. das krebserzeugende Cadmium häufig über Getreideprodukte wie Müslis aufgenommen. Knapp 69.000 Kinder und Jugendliche hierzulande seien mit Cadmium zu hoch belastet. Ungefähr 20.000 Kinder und Jugendliche seien zu hoch mit Polychlorierten Biphenylen (PCB) belastet, die vor allem über das Essen fetthaltigen Fischs und fetthaltigen Fleischs und indirekt über die Muttermilch aufgenommen werden. Ein ähnliches Bild zeige Bisphenol A.

„Aus meiner Sicht ist eine Aufgabe, ordentliche Gesetze zu machen und mit Human-Biomonitoring zu kontrollieren“, so die Umweltwissenschaftlerin. Eine weitere Aufgabe sei es, zu informieren und Problembewusstsein in der Bevölkerung zu erzeugen, denn viele dieser Belas­tungen seien durch eigene Verhaltensentscheidungen zu beeinflussen.

„Wir brauchen dringend strengere Regeln“, meint die Chemikerin Dr. Ninja ­Reineke, Vorsitzende der Nichtregierungsorganisation Chem Trust Europe. Notwendig seien: ein Verbot von problematischen Stoffgruppen bei der Revision der EU-Verordnung zu Lebensmittelkontaktmaterialien, die Berücksichtigung der Mischungstoxizität (dem Zusammenwirken der Stoffe) sowie eine verbesserte Datenlage und mehr Monitoring. Sie bedauert, dass bei vielen Stoffen gesundheitliche Langzeitfolgenabschätzungen fehlen. Dies führe dazu, dass vorsorgender Verbraucherschutz nicht genug durchgesetzt sei.

Lob für die geplante neue EU-Chemikalienstrategie

Christiane Seidel, Referentin beim Verbraucherzentrale Bundesverband, lobt, dass die EU-Kommission Ende 2020 eine neue Chemikalienstrategie (REACH) vorgestellt hat. Diese liefere „richtige und wichtige Ansätze für eine alltagsnahe Risikobewertung und Gefahrenanalyse; sie sollte deshalb „weder verschleppt noch verwässert werden“. Allerdings werde die Umsetzung dieser Strategie mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Deshalb müsse kurzfristig auf nationaler Ebene Abhilfe geschaffen werden.

Als ein Problem beschreibt Seidel die Lebensmittelüberwachung. Kommunale Behörden seien oft überfordert mit komplexen Lieferketten und Produktionsabläufen; sie verfügten oftmals nicht über ausreichend Informationen, Fachkenntnisse und Analysemöglichkeiten, um Stoffgemische zu bewerten.

Die Verunsicherung in der Bevölkerung sei jedenfalls groß, das belege die Schadstoffberatung der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Nötig sei künftig ein einheitliches, umfassendes Kommunikations- und Kennzeichnungskonzept für alle Lebensmittelkontaktmaterialien inklusive Warn- und Verwendungshinweisen. Die Grünen-Politikerin Künast schlägt zudem vor, die Nutri-Score-Debatte für verarbeitete Lebensmittel um ein Baby-Approve-Logo für die Gruppe der bis Dreijährigen zu ergänzen. Das sieht sie auch als Arbeitsaufgabe für sich selbst. Man dürfe nicht ewig dem Lobbydruck der Hersteller nachgeben: „Kinder schützen, nicht Konzerne!“

Auch der jüngst vorgestellte Entwurf des Wahlprogramms 2021 der Grünen zielt auf weitere Einschränkungen für gefährliche Stoffe. Giftige Chemikalien, die Erkrankungen wie Krebs, Diabetes oder eine ungewollte Kinderlosigkeit auslösen, sollen aus Alltagsprodukten verbannt werden. „Besonderes Augenmerk richten wir auf Spielzeug, Kinderpflegeprodukte und andere Alltagsprodukte wie Textilien, Möbel oder Elektronik“, so die Programmidee.

Quelle: „Schadstoffe im Essen“ – Online-Veranstaltung von Bündnis 90/Die Grünen

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