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Bildversteigerung Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten ...

Gesundheitspolitik Autor: Isabel Aulehla

Ein stummer Schrei: Mit dem Bild „burn“ drückt Widera das Gefühl aus, trotz verzweifelten Kampfes ungehört zu ertrinken. Ein stummer Schrei: Mit dem Bild „burn“ drückt Widera das Gefühl aus, trotz verzweifelten Kampfes ungehört zu ertrinken. © Agnieszka Widera
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Das gemeinnützige „Familienhörbuch“ ermöglicht es todkranken Eltern, ihr Leben für ihre Kinder zu vertonen. Die Ärztin und Künstlerin Agnieszka Widera ruft zur Spende auf und versteigert eines ihrer Werke. Sie selbst hat ihren Vater früh verloren.

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Versteigerung beendet. Höchstgebot: 520 Euro

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Eine schreiende Frau, in schwarz und weiß. Wütend, verzweifelt, schmerzerfüllt? Sie schreit mit aller Kraft und dennoch stumm. Es ist diese Spannung, die das Bild zum Leben erweckt. 

Agnieszka Widera hat das Motiv in Linoleum geschnitten und auf Papier gedruckt. Es greift das Gefühl auf, still unterzugehen. Die Künstlerin will thematisieren, was einige ihrer ärztlichen Kolleginnen und Kollegen im Arbeitsalltag erleben: Sie verzweifeln zwischen Überlas­tung, Personalmangel, Zeitdruck und Gewissensbissen. Doch Gehör finden sie nicht. 

Widera ist Künstlerin, Internis­tin mit kardiologischem Schwerpunkt und Geflüchtete. Sie hat sich ihren Aufstieg gegen Widerstände erkämpft und lebt heute am grünen Rand Berlins. All ihre Kunstwerke versteigert sie zu wohltätigen Zwecken. Über 24.000 Euro kamen so bereits zusammen. Auch das Bild der schreienden Frau wird von ihr gemeinsam mit Medical Tribune versteigert.

Es soll Spenden für die gemeinnützige Organisation „Familienhörbuch“ einbringen. Diese ermöglicht es Menschen mit finaler Diagnose, ihre Lebensgeschichte für ihre Kinder als Hörbuch festzuhalten. „Mein eigener Vater ist früh gestorben“, erzählt Widera. „Videos von ihm und seine Stimme bringen ihn ein wenig zu mir zurück.“ 

Mitbieten für den guten Zweck: Versteigerung des Bildes „burn“

In Kooperation mit Agnieszka Widera versteigern wir eines von vier handsignierten und nummerierten Originalen des Linoldrucks „burn“. An der Versteigerung können alle Leser­innen und Leser teilnehmen. Ziel ist es, die gemeinnützige Familienhörbuch gGmbH zu unterstützen, die es Personen mit finaler Diagnose ermöglicht, ihre Lebensgeschichte als Hörbuch für ihre Kinder zu vertonen. Interessierte überweisen vorerst nichts, sondern schreiben uns per E-Mail oder über Twitter, welchen Betrag, sie dem Familienhörbuch spenden würden. Den Zuschlag – sprich das Bild – erhält dann die höchstbietende Person. Wenn Sie teilnehmen möchten, senden Sie eine E-Mail mit Ihrem Gebot und ihrem Namen bis zum 12.07.2023 um 16 Uhr an die Mailadresse mtd-kontakt@medtrix.group

Im Anschluss informieren wir den Gewinner. Er überweist seine Spende dem Familienhörbuch, weist den Spendenbeleg nach und erhält im Austausch das Bild „burn“. Über den aktuellen Stand der Gebote informieren wir hier und auf Twitter: @MedTrib_medizin, ­@MedTrib_praxis, @MT_Onkologie.

Mit der Teilnahme willigen Sie ein, dass eine anonymisierte Angabe der Gewinnerin oder des Gewinners über die Kanäle der MedTriX GmbH nach dem Muster: Vorname, N. (Nachname abgekürzt), Wohnort erfolgt. Veranstalter der Versteigerung ist die MedTriX GmbH, Unter den Eichen 5, 65915 Wiesbaden. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Teilnehmende willigen durch Senden Ihres Gebots der Datenverarbeitung gemäß den Datenschutzbestimmungen der MedTriX GmbH ein.

Wie das Bild „burn“ entstand

Wir haben Agnieszka Widera zu Hause besucht und mit ihr darüber geredet, was sie zum Werk „burn“ inspiriert hat. Jetzt reinhören:

Die 46-Jährige tritt öffentlich nie unter ihrem echten Namen in Erscheinung, auch in diesem Beitrag nicht. Bei Künstlerinnen, meint sie, werde statt der Kunstwerke oft vielmehr die Person vermarket. Das lehnt sie ab. „Ich möchte nicht das Produkt sein.“ Es gehe ihr nur darum, die wesentlichen biografischen Informationen zu liefern, die dazu beitragen, dass ihre Werke sind, wie sie sind. 

Auch ihre Linoldrucke sind auf das Minimale reduziert, geben Betrachtern nur grob eine Deutungsrichtung vor. Sie verwenden klare schwarze Linien, ab und an Graustufen. Farbe würde schon zu viel Interpretation vorwegnehmen, findet die Künstlerin. Es geht ihr nicht um Dekoration. „Ich mache keine Ikea-Bilder. Meine Werke wollen nicht gefällig sein.“ 

Flucht von Polen nach Deutschland 

Eine Laufbahn in Kunst oder Medizin war für Widera unwahrscheinlich. Sie wurde in den 70er-Jahren im sozialistischen Polen geboren, die Mutter war Krankenpflegerin, der Vater arbeitete im Bergbau. Es war die Zeit der Solidarnosc. „Auf den Straßen standen Panzer, man blickte ängstlich nach Moskau“, erinnert sie sich. Ihre Mutter beschloss, mit dem Kind zu fliehen – der Vater blieb zurück. Ihn mitzunehmen, hätte den Behörden verraten, dass eine Rückkehr nicht geplant war. Die junge Widera vermisste ihren Vater jedoch so sehr, dass ihre  Mutter mit ihr zurück nach Polen zog. Etwas später gelang ihnen die Flucht zu dritt. 

In Deutschland angekommen, lebte die Familie in einem Auffanglager für Flüchtlinge, mit zwei weiteren Familien in einem Zimmer. Auf Drängen ihrer Eltern nahm die fünfjährige Widera einen deutschen Namen an – sie wählte den ihrer besten Freundin. Sie hatte aber das Gefühl, einen Teil ihrer polnischen Identität verloren zu haben. Eine Änderung war behördlich nicht möglich. Erst vor wenigen Jahren eroberte sie diesen Teil von sich zurück, indem sie ihren alten Namen – Agnieszka Widera – als Künstlernamen eintragen ließ. 

Da ihre Eltern kein Deutsch sprachen und ihr schulisch nicht helfen konnten, eignete sie sich vieles autodidaktisch an. Zum Beispiel sprach sie Diktate auf eine Kassette und prüfte sich selbst. Ihren Weg zur Kunst fand sie auch beim Lernen der deutschen Sprache. Sie begann, fehlende Worte in Metaphern und Vergleichen auszudrücken – eine Angewohnheit, die sie bis heute beibehalten hat. Ein Beispiel: „Die Medizin ist wie die Titanic. Es versucht jeder nur, ins Rettungsboot zu kommen.“ Nach und nach setzte sie diese sprachlichen Bilder auch künstlerisch um. Inzwischen erzählen ihre Werke ganze Geschichten. 

Widera ist sicher, dass ihre Karriere anders verlaufen wäre, wenn sie nicht immer wieder Menschen begegnet wäre, die sie unterstützten. Lehrende schrieben ihr etwa Empfehlungsbriefe für Stipendien, die sie sonst vielleicht nicht bekommen hätte. Förderer beauftragten Bilder. Besonders wichtig wurde der Rückhalt im ersten Semester des Medizinstudiums, als ihr Vater plötzlich starb. 

Die 46-Jährige greift in ihren Werken nur Themen auf, die sie emotional berühren. Oft sind sie gesellschaftspolitisch, drehen sich etwa um die Aufstände der Frauen im Iran oder die Belastungen der Coronapandemie. Solche Bilder druckt die Ärztin auf Zeitungsartikel mit ausdrucksstarker ­Schlagzeile. 

So zeigt das Bild „Die Pandemie hat ein Gesicht“ einen Mann, der ein Kind auf seinen Schultern trägt. Seine Mimik ist fast ausdruckslos. Das Kind blickt mit weichen Zügen in die Ferne, seine großen schwarzen Augen wirken ängstlich. Im bedruckten Zeitungsartikel geht es um die Inzidenz der Coronainfektionen. Widera wollte symbolisch zeigen, wie Erwachsene Kinder durch die Pandemie tragen, ohne Rücksicht auf sich zu nehmen. Gleichzeitig soll das Werk den Betrachtenden Raum für die eigene Geschichte mit der Pandemie ­lassen.

Gleichberechtigung mühsam erstritten

Auch die strukturelle Benachteiligung von Frauen in vielen Gesellschaftsbereichen thematisiert sie in ihren Werken. Sie selbst musste sich in der Medizin dagegen wehren, teils juristisch. Beispielsweise gab einer ihrer Arbeitgeber Frauen­ – anders als männlichen Kollegen – nur befristete Arbeitsverträge. Widera erklagte eine Entfristung. Anfangs habe sie die Illusion gehabt, es bestehe Gleichberechtigung in der Medizin, sie könne alles erreichen, erzählt sie. Aber dieser Eindruck schwand. Nur langsam bessere sich die Situation. 

Seit drei Jahren arbeitet die Internistin pandemiebedingt im Homeoffice, ab Herbst fängt sie in einem Medizinischen Versorgungszentrum an. In ihrer neuen Position möchte sie junge Kolleginnen fördern, insbesondere, wenn sie aus sozial unsicheren Verhältnissen stammen. Sie wünscht sich, dass weibliche Vorgesetzte nicht einfach nur versuchen, bessere Männer zu sein. Künstlerisch plant sie eine Reihe über Frauen, die die Geschichte vergessen hat.

Medical-Tribune-Bericht

© Agnieszka Widera
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