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Notfallversorgung Zur Not auch telemedizinisch

Abrechnung und ärztliche Vergütung , Kassenabrechnung Autor: Dr. Gerd W. Zimmermann

Haftungsrechtlich ist die Videosprechstunde nicht ganz unbedenklich. Haftungsrechtlich ist die Videosprechstunde nicht ganz unbedenklich. © iStock/CARME PARRAMON
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Kassenärztliche Bundesvereinigung und gesetzliche Kassen wollen die Videosprechstunde attraktiv(er) machen. Jetzt soll ihr Einsatz bei Notfällen und im organisierten Notdienst möglich werden.

Anfangs wurde die Video­sprechstunde (VS) noch über eine Anschubfinanzierung gefördert, die dann aber im September 2021 ausgelaufen ist. Stattdessen wurden Leistungen, die eigentlich einen (höchst-)persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt (APK) erfordern wie die Versicherten- und Grundpauschalen in die Abrechnungsmöglichkeiten aufgenommen. Auch Gesprächsleistungen, die telefonisch ausgeschlossen sind, wie etwa die Gebührenordnungsposition (GOP) 03230 und die meisten psychotherapeutischen Leistungen können mittlerweile per Videosprechstunde berechnet werden. Eingeschränkt ist nur die Zahl der Video-Behandlungsfälle auf 30 %. Diese Grenze wurde in der Pandemie vorübergehend aufgehoben, ist seit dem 1. April 2022 aber wieder gültig – ausgenommen im „Video-Notdienst“.

Im Juni 2022 hat der (ergänzte) Bewertungsausschuss Beschlüsse zur Abrechnung von Leistungen bei Patienten im Notdienst per Video­sprechstunde gefasst. Dabei gilt eine Art Zweiklassenrecht: Nur an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Ärzte dürfen im Notfall oder organisierten Not(-fall)dienst Videosprechstunden durchführen. Nicht-Vertragsärzte, Institute, Krankenhäuser können die GOP 01210 und 01212 nur bei einem persönlichen APK berechnen.

Bei einer ersten Inanspruchnahme im Rahmen einer VS kommen diese GOP entsprechend den vorgegebenen Zeiten im Behandlungsfall zum Ansatz. Jede weitere Inanspruchnahme im Notfall oder im organisierten Not(-fall)dienst kann im Behandlungsfall – wie auch bei einem persönlichen APK – nach den GOP 01214, 01216 bzw. 01218 berechnet werden. Lediglich der Ansatz der GOP 01223, 01224 und 01226 ist für eine Videosprechstunde ausgeschlossen.

Patienten haben keinen Anspruch auf Video-AU

Bereits seit dem 19.01.2022 ist es möglich, selbst bei einem unbekannten Patienten – wie es im Notdienst die Regel sein dürfte – eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) von bis zu drei Kalendertagen via Video zu bescheinigen. Bereits hier gibt es aber die Einschränkung, „wenn dies im Rahmen einer Video­sprechstunde feststellbar ist“. Auch haben Patienten ausdrücklich keinen Anspruch darauf. Die Entscheidung trifft ausdrücklich der Arzt (und haftet entsprechend). Bei bekannten Patienten kann im Rahmen einer VS sogar eine AU von bis zu sieben Tagen ausgesprochen werden.

Hier könnte das erste Umsetzungsproblem auftreten: Denn seit dem 1. Juli 2022 muss eine AU – auch im Rahmen der VS – auf elektronischem Weg an die Kasse übermittelt werden. Der Videopatient erhält ein Stylesheet der AU postalisch zugeschickt, dessen Versand nach der GOP 40128 EBM berechnet werden kann. Die Abrechnung dieser Leistung ist aber im „Video-Notdienst“ überhaupt nicht vorgesehen.

EBM-Ziffern für Videosprechstunde bei Notfällen bzw. im organisierten Not(-fall)dienst

EBM

Legende

Euro

Bemerkungen

Notfallpauschale im organisierten Not(-fall)dienst für die Abklärung der Behandlungsnotwendigkeit
im Rahmen einer Videosprechstunde (VS)

01205

bei Inanspruchnahme zwischen 7 und 19 Uhr (außer an Samstagen, Sonntagen, gesetzl. Feiertagen und am 24.12. und 31.12.)

5,07

  • Daneben können im Rahmen einer VS die GOP 01450 und 01444 nicht berechnet werden.

  • Wenn nach Ansatz der GOP 01205 oder 01207 im gleichen Behandlungsfall eine Versicherten-, Grund- oder Konsiliarpauschale zum Ansatz kommen soll, ist ein weiterer persönlicher APK bzw. ein APK im Rahmen einer VS erforderlich.

01207

bei Inanspruchnahme zwischen 19 und 7 Uhr des Folgetages und ganztägig an Samstagen, Sonn- und gesetzl. Feiertagen und am 24. und 31.12.

9,01

Notfallpauschale im organisierten Not(-fall)dienst im Rahmen einer Videosprechstunde

01210

bei Inanspruchnahme zwischen 7 und 19 Uhr (außer an Samstagen, Sonn- und gesetzl. Feiertagen und am 24. und 31.12.)

13,52

  • Erfolgt die Behandlung ausschließlich im Rahmen einer Videosprechstunde, erfolgt ein Abschlag von 10 % auf die Punktzahl.

  • Die Abrechnung muss in diesem Fall mit der Kennziffer 88220 gekennzeichnet werden.

  • GOP 01450 und 01444 (bei unbekannten Patienten) sind zusätzlich berechnungsfähig.

01212

bei Inanspruchnahme zwischen 19 und 7 Uhr des Folgetages und ganztägig an Samstagen, Sonn- und gesetzl. Feiertagen und am 24. und 31.12.

21,97

Weiterer persönlicher oder anderer Arzt-Patienten-Kontakt im organisierten Not(-fall)dienst im Rahmen
einer Videosprechstunde

01214

bei Inanspruchnahme außerhalb der in den GOP 01216 und 01218 angegebenen Zeiten

5,63

  • Nach einer ersten Inanspruchnahme im Notfall oder im organisierten Not(-fall)dienst nach den GOP 01205 oder 01207, können die GOP 01214, 01216 und 01218 nur mit ausführlicher schrift­licher medizinischer Begründung berechnet werden.

  • Die GOP 01450 ist im Rahmen einer Videosprechstunde zusätzlich berechnungsfähig. Der (erneute) Ansatz der GOP 01444 ist ausgeschlossen.

01216

bei Inanspruchnahme zwischen 19 und 22 Uhr, an Samstagen, Sonn- und gesetzlichen Feiertagen, am 24. und 31.12 zwischen 7 und 19 Uhr

15,77

01218

bei Inanspruchnahme zwischen 22 und 7 Uhr, an Samstagen, Sonn- und gesetzl. Feiertagen, am 24. und 31.12. zwischen 19 und 7 Uhr

19,15

Zuschlag im Zusammenhang mit den Versichertenpauschalen und fachgruppenspezifischen Grundpauschalen

01450

für die Betreuung eines Patienten im Rahmen einer Videosprechstunde

4,51

Der Höchstwert für das Punktzahlvolumen für die Gebührenordnungsposition 01450 beträgt 1.899 Punkte je abrechnendem Vertragsarzt.

01444

für Authentifizierung unbekannter Patienten im Rahmen einer VS durch Praxispersonal

1,13

Die Berechnung der GOP ist bis zum 31.12.2022 möglich.

Quelle: KBV

Ein zweites Problem dürfte eine Änderung in der technischen Vereinbarung zur VS darstellen. Video­dienstanbieter, die vertragsärztlich eingesetzt werden, müssen ab 2023 von unabhängigen Zertifizierungsstellen den Nachweis erhalten, dass sie bzw. der angebotene Videodienst einen ausreichenden Standard an IT-Sicherheit und Datenschutz gewährleisten. Außerdem müssen sie kenntlich machen, für welches Angebot die Zertifizierung gilt. 

Fazit: Haftungsrechtlich unbedenklich ist der Einsatz einer Videosprechstunde im Notfall und organisierten Not(-fall)dienst allenfalls bei leichten Erkrankungen, wie dies zuletzt im Rahmen der Pandemie bei der Telefonsprechstunde der Fall war. Hier könnte aus rein seuchenhygienischen Gründen die Notfall-Videosprechstunde künftig (wieder) eine Rolle spielen. In allen anderen Fällen wäre das Angebot aber ein zusätzlicher Service für GKV-Versicherte, der bekanntlich extrabudgetär aus der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) bezahlt wird und bei einer Leistungsausweitung das in den Praxen zur Verfügung stehende Budget erheblich einschränken kann. So gesehen wäre eine Finanzierung dieser neuen Leistung nur direkt durch die gesetzlichen Krankenkassen tolerabel – und nicht wie hier „durch die Hintertür“.

Medical-Tribune-Bericht

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