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Modellprojekt „Medibus“ der KV Hessen kommt bei Patienten und Politikern gut an

Niederlassung und Kooperation Autor: Maya Hüss

Sechs nordhessische Gemeinden fährt der Medibus der KV Hessen an. Meistens steht er zentral im Ort, wie hier in Nentershausen. Innen gleicht der umgebaute Bus einer Arztpraxis. Sechs nordhessische Gemeinden fährt der Medibus der KV Hessen an. Meistens steht er zentral im Ort, wie hier in Nentershausen. Innen gleicht der umgebaute Bus einer Arztpraxis. © Maya Hüss
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Allgemeinmediziner Dr. Matthias Roth hat seinen Brötchengeber gewechselt: Jetzt unterstützt er als angestellter Arzt der KV Hessen mit dem „Medibus“ die Landärzte in besonders mager versorgten Gebieten in Nordhessen. Die rollende Arztpraxis weckt nicht nur das Interesse der Einwohner und Medien.

Fünf Menschen warten vor einem rot-orange lackierten Linienbus. Für die kleine Gemeinde Nentershausen in Nordhessen ein noch ungewohntes Bild. Der Bus steht mitten auf dem Marktplatz, neben dem Rathaus und einer großen, alten Linde. Es ist der „Medibus“ der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Hessen.

Die Körperschaft will in Kooperation mit der DB Regio die vertragsärztliche Versorgung in den Landkreisen Werra-Meißner und Hersfeld-Rotenburg ergänzen und die ortsansässigen Hausärzte mit einem zwei Jahre andauernden Projekt unterstützen. Seit dem 1. Juli fährt deshalb ein speziell zu einer Arztpraxis umgebauter Bus viermal die Woche die sechs Gemeinden Sontra, Cornberg, Weißenborn, Ringgau, Nentershausen und Herleshausen für jeweils 3,5 Stunden an.

Hessenweit 170 freie Arztsitze in ländlichen Gebieten

Diese Hilfe kommt nicht von ungefähr. Nach Berechnungen der KV sind 3,5 Hausarztsitze im Versorgungsgebiet um Sontra, Nentershauen, Cornberg und Herleshausen unbesetzt; hessenweit gibt es in den ländlichen Regionen bereits über 170 freie Arztsitze. Seit Jahren arbeitet in der Gemeinde Cornberg kein Hausarzt mehr; es droht Unterversorgung. In der Gemeinde Nentershausen gibt es noch zwei Haus­ärzte, der eine habe das Alter von 70 Jahren aber bereits überschritten, die andere stehe kurz davor, heißt es. Patienten müssten oft entweder lange Wege bis zur nächsten Praxis zurücklegen oder lange Wartezeiten in Kauf nehmen, weil es immer weniger Ärzte gebe, die die Betreuung vor Ort schultern könnten.

„Das Projekt soll diejenigen Ärzte unterstützen, die schon bis zum Rande der Erschöpfung arbeiten“, erzählt Dr. Eckhard Starke, Vize-Chef der KV Hessen, vor Ort. Dabei soll die rollende Arztpraxis keinesfalls die vorhandenen Strukturen ersetzen. Die ortsansässigen Hausärzte sollen durch ihren neuen Kollegen vertreten werden, z.B. wenn sie sich im Urlaub befinden. Auch können Aufgaben und Untersuchungen an den Medibus-Kollegen delegiert werden. „Es ist keine Konkurrenzpraxis“, betont Dr. Starke.

Erfahrungen in Niedersachsen

2013/2014 hat die KV Niedersachsen ein Projekt erprobt, das die Versorgung auf dem Land ergänzen sollte. Das „Arztmobil“, eine rollende, umgebaute Arztpraxis mit einem dreiköpfigen Ärzteteam, fuhr sechs Gemeinden im Landkreis Wolfenbüttel an. Zwar wurde das Ziel, vor allem ältere und wenig mobile Patienten zu versorgen, erreicht, das Projekt wurde aber nicht fortgesetzt. Die Gründe sind laut KV zum einen, dass sich nun alle drei Ärzte im Ruhestand befinden, zum andern sei die Auslastung der mobilen Arztpraxis aus wirtschaftlicher Sicht zu gering gewesen.

„Das ist meine alte Heimat, ich kenne die Umgebung“

An Bord des Busses befindet sich ein Team, bestehend aus dem Allgemeinarzt Dr. Matthias Roth, der bei der KV Hessen in Vollzeit angestellt ist, zwei medizinischen Fach­angestellten und einem Busfahrer. Mit einer Länge von zwölf Metern erweckt der Stadtbus seit Projektstart das Interesse der Anwohner. „Am ersten Tag in Sontra und Cornberg hatten wir fast 60 Patienten“, berichtet Dr. Roth. Viele der zugestiegenen Patienten hätten gar keinen Hausarzt mehr. Am Projekt nehme er teil, weil er die Probleme der Versorgungssituation auf dem Land kenne, erklärt Dr. Roth. „Das ist meine alte Heimat, ich kenne die Umgebung und bin mit der Sprache der Patienten vertraut“, sagt der in Fulda aufgewachsene Hesse. Vor dem Medibus-Projekt war er als angestellter Arzt in einem MVZ tätig. Die Medibus-Arbeit sei zu Beginn etwas erschwert gewesen, berichtet Dr. Roth. Viele Patienten seien multimorbide, doch meist lägen keine ärztlichen Vorbefunde vor. Um einen zeitnahen Informationsaustausch zu seinen niedergelassenen Kollegen zu gewährleisten, erhält jeder Patient direkt nach der Behandlung einen schriftlichen Bericht von dem Arzt. Überrascht seien viele Patienten über die gute medizinische und technische Ausstattung des Busses. So gehört zum Interieur ein kleines Labor, ein EKG- und Lungenfunktionsgerät, ein Behandlungsraum, zwei Liegen, ein Drucker und ein PC mit der für Hausärzte benötigten Verwaltungssoftware. Ganz vorne im Bus befindet sich ein Wartebereich mit drei Sitzplätzen. Das medizinische Equipment ist an die Telematikinfrastruktur angeschlossen, sodass auch Videokonferenzen mit anderen Hausärzten möglich wären. Die Geräte werden über einen Festnetzstromanschluss am Bus betrieben und können bei fehlendem Stromanschluss mithilfe eines Generators betrieben werden, der bis zu sechs Stunden Strom erzeugen kann. Solarzellen auf dem Dach machen die mobile Praxis zumindest zum Teil umweltfreundlich. Zu den Kosten – die KV zahlt eine Miete für den Bus an die DB Regio – will die Körperschaft keine Auskunft geben. Medibus-Projektleiter Gero Sicheneder schätzt den Wert des Busses aber auf 600 000 Euro. „Im Hinblick auf die Langlebigkeit haben wir den Bus für dieses Projekt von der DB ganz neu bauen lassen“, erklärt Sicheneder. Als „Hightech auf dem Land“ bezeichnet der Staatsminister und Chef der Hessischen Staatskanzlei Axel Wintermeyer (CDU) das KV-Projekt. Er weiß von dem Problem, Praxen auf dem Land zu erhalten. Um die Situation zu verbessern, will die schwarz-grüne Landesregie­rung ­­­u.a.­ in zusätzliches Personal investieren. So sollen bis 2019 sogenannte Gemeindeschwestern, die sich um die primäre Versorgung kümmern, mit insgesamt 3,7 Millionen Euro gefördert werden. Dass der Medibus auch auf Kritik stößt, ist den Projektbeteiligten bekannt. So bezeichnete zum Beispiel eine Einwohnerin des Dorfes Nentershausen den Medibus in einem TV-Interview als „Geldverschwendung“, erzählt Dr. Roth. Sie monierte, man solle lieber in die niedergelassenen Ärzte vor Ort investieren. Der Großteil der Patienten ist allerdings froh, eine zusätzliche medizinische Anlaufstelle zu haben.

Erfahrungen in Brandenburg

Ein im Dezember 2012 gestartetes Pilotprojekt der KV Brandenburg, des Landkreises Märkisch-Oderland und der Krankenkassen zielte darauf ab, zusätzlich zum öffentlichen Nahverkehr ein Angebot in Form eines Patientenbusses zu schaffen. Der sollte die Patienten näher an eine Arztpraxis befördern. Mithilfe zusätzlicher Fahrten und Routen fuhr der „KV RegioMed Patientenbus“ dreimal an jedem Dienstag fünf Ortsteile an. Als Fazit hält die KV fest, dass das Angebot häufig als Mischung von Arztbesuch und Einkaufstour genutzt wurde. Aus diesem Grund wird der Patientenbus seither von der Kommune als Bürgerbus weitergeführt.
Hausarzt Dr. Matthias Roth ist bereit für seine ersten Patienten. Hausarzt Dr. Matthias Roth ist bereit für seine ersten Patienten. © Maya Hüss
Politiker beim Shooting: Die Bürgermeister (drei rechts und drei links) der Gemeinden Nentershausen, Sontra, Herleshausen, Cornberg, Weißenborn und Ringgau umrahmen Staatsminister Axel Wintermeyer (4.v. l.) und KV-Vorstand Dr. Eckhard Starke (4.v.r.). Politiker beim Shooting: Die Bürgermeister (drei rechts und drei links) der Gemeinden Nentershausen, Sontra, Herleshausen, Cornberg, Weißenborn und Ringgau umrahmen Staatsminister Axel Wintermeyer (4.v. l.) und KV-Vorstand Dr. Eckhard Starke (4.v.r.). © Maya Hüss
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