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Ärztlicher Leiter im MVZ Zu viel der Ehre!

Niederlassung und Kooperation Autor: Anouschka Wasner

Wer jahrelang Chef seiner eigenen Praxis war, ist es gewohnt, Verantwortung zu übernehmen. Das ist nicht immer klug. Wer jahrelang Chef seiner eigenen Praxis war, ist es gewohnt, Verantwortung zu übernehmen. Das ist nicht immer klug. © istock/skynesher
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Die Position der ärztlichen Leitung in einem MVZ ist mit relativ hohen Risiken verbunden. Das bestätigen auch Immer mehr Urteile. Was Ärztinnen und Ärzte hinterfragen sollten, wenn ihnen diese Funktion angeboten wird.

Ein ärztlicher Leiter eines MVZ in Bayern musste eine Geldbuße von 8.000 Euro zahlen: Die KV hatte mehrere Verstöße gegen die vertragsärztlichen Pflichten festgestellt.* Dabei ging es z.B. um Implausibilität aufgrund auffallend vieler gemeinsamer Patienten mit einem nahgelegenen MVZ quasi identischer Fachrichtung, um medizinisch nicht nachvollziehbare Überweisungen von einem MVZ ins andere, um Doppelbehandlungen am selben Tag und um die Verletzung von Dokumentationspflichten im Zusammenhang mit der Überwachungs-GOP 30760 EBM.  

Der ärztliche Leiter war nicht schuld – aber verantwortlich

Angesichts dieser Pflichtverstöße hatte die Kassenärztliche Vereinigung das Honorar für das MVZ für einige Quartale aus 2012 und 2013 neu festgesetzt, außerdem eine Gesamtrückforderung in Höhe von fast 80.000 Euro geltend gemacht und eben dem ärztlichen Leiter des MVZ jene Geldbuße auferlegt.

Die Begründung des Gerichts: Der Arzt habe die Pflicht zur „peinlich genauen Abrechnung“ verletzt, die notwendige Sorgfalt außer Acht gelassen und dabei auch schuldhaft gehandelt. Die Leistungen seien zwar nicht von ihm erbracht worden – in seiner Funktion als ärztlicher Leiter habe er aber eine Überwachungspflicht.

So weit, so logisch. Schließlich liegt die volle Verantwortung für die korrekte Organisation der Behandlung und die Leistungsabrechnung beim MVZ. Da ein MVZ aber keine „Rechtsperson“ ist, muss die Verantwortung an anderer Stelle verortet werden. Das passiert in der Funktion des ärztlichen Leiters.

Aber ist das System tatsächlich so funktional wie es scheint? Die Position des ärztlichen Leiters, erklärt dazu die Rechtsanwältin Barbara Schwinn dazu, werde oft mit Ärztinnen bzw. Ärzten besetzt, die zuvor eine der übernommenen Praxen geführt haben. Sie sind oft trotz Praxisabgabe noch nicht in der Situation, alle Verantwortung abgeben zu wollen, und in der Regel durchaus in der Lage, die umfangreiche und auch disziplinarrechtliche Verantwortung für einen größeren Betrieb zu tragen. Bei der Übernahme einer Praxis durch Investoren gilt es heute sogar fast schon als selbstverständliche Bedingung, dass der frühere Praxisinhaber oder einer der früheren Geschäftsführer die ärztliche Leitung der neuen Einrichtung übernimmt.

Doch daraus können sich ungeahnte Probleme ergeben. Denn anders als in der eigenen Praxis hat der ärztliche Leiter einer MVZ-Struktur viel zu oft wenig oder sogar gar keinen Einblick in jene Organisation und Abrechnung, für die er doch geradestehen soll. Denn Nicht-Wissen befreit die Person in der Stellung nicht davon, die komplette Regressverantwortung  zu tragen und persönlich zu haften.

Gerade bei großen MVZ sei außerdem die Diskrepanz zwischen Leistung und Gegenleistung oft problematisch, erklärt die Medizinrechtlerin Schwinn. Die Ärztinnen und Ärzte würden angesichts der großen Verantwortung nicht adäquat entlohnt, nicht ausreichend freigestellt und hätten nicht nur zu wenig Einblicke, sondern auch zu wenig Befugnisse in den relevanten Geschäftsbereichen. „Manche Ärztinnen und Ärzte übernehmen die Funktion, ohne die Verantwortung zu realisieren – weil sie sich geehrt fühlen“, erzählt die Rechtsanwältin. Andere Anwälte beschreiben es deutlicher: Oft würde die Position von Menschen ausgefüllt, die mit dem Rollenwechsel vom Chef zum Angestellten nicht klarkommen und das Chef-Schild gerne noch ein wenig länger auf der Brust tragen möchten.

Der Irrtum der Ärztinnen und Ärzte in dieser Position: Sie denken, mit dem Titel werde man zum „Frühstücksdirektor“ – habe also ein Amt ohne Funktion – oder man besetze eine vergleichbare Position wie im Krankenhaus. Diese Positionen sind aber tatsächlich nur theoretisch vergleichbar, denn Verantwortliche im Krankenhaus werden nicht persönlich in Regress genommen.

Ohne Schutz ist Kritik am Arbeitgeber schwierig

Neben Entlohnung und Risiko stellt sich auch die Gestaltung des Arbeitsverhältnisses als solches problematisch dar. Denn damit der Arbeitnehmer nicht bei jeder Kritik um sein Arbeitsverhältnis fürchten muss, müssten Verantwortungsträger in dieser Position eigentlich einem besonderen Kündigungsschutz unterliegen, vergleichbar etwa mit einem Datenschutzbeauftragten oder einem Betriebsratsmitglied. Andererseits sind aber manche Arbeitsverträge sogar so gestaltet, dass die ärztliche Leitung nur aus ihrem Vertrag rauskommt, wenn ein Ersatz für die Position gefunden wird.

„Ich rate meistens von diesem Amt ab“, zieht Anwältin Schwinn ihr Fazit. Leider würden ihre Warnungen vor der unvorteilhaften Position nicht immer ernst genommen. „Wenn jemand Gründe dafür hat, diese Rolle trotzdem zu übernehmen, sollte er sich wenigstens unbedingt vertraglich gut absichern.“ Geregelt werden muss nach ihren Erfahrungen:

  • Die ärztliche Leitung muss sich den Einblick in alle relevanten Dokumentationen sichern.
  • Sie muss entsprechende Eingriffsmöglichkeiten in Organisation und Abrechnungsmethoden haben.
  • Die Person muss für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben als ärztlicher Leiter von ärztlichen Aufgaben freigestellt werden.
  • Es muss eine dem Risiko entsprechende Vergütung geregelt werden.
  • Im Arbeitsvertrag müssen Kündigungsmöglichkeiten wie auch Kündigungsschutz festgeschrieben werden.
  • Im Übernahme- bzw. Arbeitsvertrag muss festgehalten werden, dass das Risiko des Funktionsträgers über eine Versicherung abgefangen wird.

Wolfgang Schweikert von der Ärzte Service GmbH des Gesundheitsnetzes Süd warnt zu diesem Punkt: Die klassischen Arzthaftungsversicherungen sind hier nicht ausreichend. Stattdessen empfiehlt er für angestellte ärztliche Leiter eine Directors-and-Officers-Versicherung (D&O). Dabei handelt es sich um eine Vermögensschadenhaftpflichtversicherung, die ein Unternehmen für seine leitenden Angestellten abschließt und die als Berufshaftpflicht fungiert.

Regressversicherung deckt auch behördliches Verfahren

Darüber hinaus rät der Experte auch zu einer Ärzteregressversicherung, die bei unwissentlichem Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot bzw. bei unwissentlichem Überschreiten des Arznei- und Heilmittelbudgets eintritt. Sie kann ggf. auch Kosten für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers im behördlichen Verfahren übernehmen. Die aktuelle Standarddeckungssumme einer Ärzteregressversicherung liegt bei 100.000 Euro.

*    SG München, Gerichtsbescheid v. 22.1.2021, Az.: S 38 KA 165/19

Medical-Tribune-Recherche

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