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MVZ Statistiken zu oberflächlich interpretiert?

Niederlassung und Kooperation Autor: Anouschka Wasner

Es arbeiten mehr ­angestellte Ärzte in ­Praxen als in MVZ. Es arbeiten mehr ­angestellte Ärzte in ­Praxen als in MVZ. © mathisworks/gettyimages
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MVZ spielen in der deutschen Versorgungslandschaft eine weit weniger brisante Rolle, als es die öffent­liche Debatte vermuten lässt. Diese Position vertritt Susanne ­Müller, Geschäftsführerin des Bundesverbandes der MVZ. Die vorliegenden Zahlen würden oft nicht richtig gelesen.

Eine grundlegende Forderung in der Diskussion um Medizinische Versorgungszentren gilt einem Register, aus dem sich die Zahl der bestehenden MVZ, Größe und Eigentumsverhältnisse entnehmen lassen. Doch auch ohne dieses Register lassen sich aus den Statis­tiken mehr Informationen zu MVZ holen, als das bislang passiert.

Das bewies Susanne Müller, Politologin und Geschäftsführerin Bundesverbandes Medizinische Versorgungszentren (BMVZ), auf dem BMVZ-Praktikerkongress. Ihre Quellen: die MVZ-Statistik der Kassenärztlichen und der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, das Bundesratsregister und das Statistische Jahrbuch. Ihr Anliegen: Bezugsgrößen und Gruppenbezüge geradezurücken, um die öffentliche Debatte auf eine reale Grundlage zu stellen.

Köpfe und Vollzeitstellen differieren immer stärker

Ende 2021 hat es 4.179 MVZ der humanmedizinischen Fachrichtungen gegeben. Dazu kommen 1.289 zahnärztlichen MVZ. Es existieren also bundesweit 5.400 MVZ, und zwar aller Größen und Sorten. „Die größte Gemeinsamkeit aller MVZ ist ihre Unterschiedlichkeit“, so Müller.

Für problematisch hält die BMVZ-Geschäftsführerin, dass das Thema Anstellung in der öffentlichen Wahrnehmung direkt mit MVZ verknüpft bzw. sogar gleichgesetzt werde. Richtig sei aber, dass es aktuell mehr angestellte Ärzte in Berufsausübungsgemeinschaften und Einzelpraxen gebe als in MVZ. Bei den Zahnärzten sei das sogar deutlich ausgeprägt. Dass das Thema Anstellung unabhängig von MVZ zu sehen sei, werde oft nicht ausreichend berücksichtigt.

Müller kritisierte außerdem, dass oft nicht sauber auf „Vollzeitäquivalente“ (VZÄ) geachtet werde. „Anstellung bedeutet auch Teilzeit – deswegen ist ein Kopfvergleich meist nicht die sinnvolle Bezugsgröße“, um die wirkliche Versorgungsleistung anzuzeigen. Entsprechend stelle sich der Anteil der in MVZ arbeitenden Ärzte bei genauer Betrachtung anders dar: So sind es zwar 16,1 % der Ärzte, die in MVZ angestellt sind, – in Vollzeitäquivalenten gerechnet sind es aber nur noch 10,7%.

Für eine saubere Interpretation der Zahlen müsse man auch die Fachgruppen einzeln betrachten. Besonders deutlich werde das, wenn man die nicht-ärztlichen Psychotherapeuten von den übrigen Fachgruppen trennt. So spielt beispielsweise das Thema Anstellung in den Praxen der psychologischen Psychotherapeuten (PP) eine marginale Rolle: Nur 8,5 % der PP sind in Anstellung, dagegen aber 30,2 % der Ärztinnen und Ärzte ohne PP. In Gesamtstatistiken erscheint dann aber die Zahl 26,2 %. Ohne einen Hinweis auf den Unterschied in den Fachgruppen verzerrt diese Zahl also die Wahrnehmung. Genauso stellt sich auch die MVZ-Thematik im Bereich der psychologischen Psychotherapeuten (3,3 % der Sitze) deutlich anders dar als bei den Ärzten (17,2 % Sitze).

Schaut man dagegen z.B. auf die Gruppe der Augenärzte, die ja häufig im Zusammenhang mit der MVZ-Entwicklung genannt wird, so fällt auf, dass bundesweit über 40 % dieser Niedergelassenen (VZÄ) in Einzelpraxen tätig sind und ein weiteres Drittel in Gemeinschaftspraxen.

Probleme machen regionale „Anbieterklumpungen“

Drei von vier Augenarztpraxen sind also klassische Niederlassungspraxen. Der Alarmismus, es gebe keine Augenarztpraxen mehr, deren Inhaber nicht auf den Seychellen sitze, sei also nicht durch die Statistik gedeckt – zumindest nicht, was die bundesweite Entwicklung betrifft.

Auf regionaler Ebene könne sich das allerdings auch anders darstellen. Die MVZ-Dichte orientiere sich offensichtlich u.a. an der Bevölkerungsdichte. So haben Bayern (878) und Nordrhein-Westfalen (778) mit Abstand die höchste MVZ-Dichte, gefolgt von Baden-Württemberg (365) und Niedersachsen (363). Es sei also nicht von einem Problem in der Fläche auszugehen, sondern eher von „Anbieterklumpungen“.

Auch die Befürchtungen zur Entwicklung der sogenannten Inves­toren-MVZ will Müller relativieren. Schließlich seien maximal 1,2 % der MVZ medizinfernen Trägern zuzurechnen, überschlägt sie aus den vorliegenden Zahlen. Dass aber jetzt für 100 % der MVZ versucht werde, eine Einschränkung per Gesetzgebung zu erreichen, sei unverhältnismäßig.

Ungeachtet der Beobachtung, dass der Anteil an angestellten Ärzten in allen Fachbereichen zunimmt, zog Müller das Fazit, dass die MVZ-Entwicklung insgesamt eher langsam abläuft. Das gelte auch für den Zahnarztbereich. Der Anschein dramatischer Dynamik entstehe aus der Fokussierung der Statistik auf einzelne Segmente, ohne das Gesamtbild im Auge zu behalten.

Medical-Tribune-Bericht
vom BMVZ-Praktikerkongress

Susanne Müller, Geschäftsführerin des Bundesverbandes ­Medizinische 
Versorgungszentren Susanne Müller, Geschäftsführerin des Bundesverbandes ­Medizinische Versorgungszentren © zVg
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