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Arbeitsrechtliche Urteile 6 + 1-mal Mehrwert für Arbeitgeber

Praxismanagement , Praxisführung Autor: Anouschka Wasner

Einige Urteile sind für den Praxisalltag durchaus von Bedeutung. Einige Urteile sind für den Praxisalltag durchaus von Bedeutung. © fotoak80 – stock.adobe.com
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650 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, die sich auf Arbeitsrecht spezialisiert haben – wer könnte besser wissen als der Verband deutscher Arbeitsrechtsanwälte (VdAA), welche Urteile für Arbeitgeber relevant sind? Hier die Top-Seven für arbeitgebende Arztpraxen.

1. Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Das Urteil: Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) wird nicht erschüttert, wenn die Arbeitsunfähigkeit innerhalb bzw. sogar zum Ende der Kündigungsfrist liegt. Und auch eine zu Beginn einer Erkrankung angetretene mehrstündige Bahnfahrt zum Familienwohnsitz (im konkreten Fall eines Chefarztes), um dort die Hausärztin aufzusuchen, lässt die dort attestierte Arbeitsunfähigkeit nicht fragwürdig erscheinen.

Für Ihre Praxis: Ist eine AU ordnungsgemäß ausgestellt, kommt ihr weiterhin ein hoher Beweiswert zu. Dieser wird nur angegriffen, wenn schwerwiegende Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers bestehen – z.B. wenn er anderweitige Arbeitsleistungen erbringt.

Quelle: LAG Mecklenburg-Vorpommern, 13.07.2023 - 5 Sa 1/23

2. Gleicher Lohn bei gleicher Arbeit

Das Urteil: Das Bundesarbeitsgericht stellte klar, dass Frauen Anspruch auf den gleichen Lohn haben wie Männer, wenn sie die gleiche Arbeit erbringen. Dabei ist es unerheblich, ob Männer einen besseren Lohn ausgehandelt haben. 

Für Ihre Praxis: Mit Blick auf die wachsende Zahl angestellter Ärztinnen und Ärzte könnte dieses Urteil an Bedeutung gewinnen. Das Schwierige daran ist, dass im echten Leben der Grundsatz der Lohngleichheit in Konkurrenz tritt mit der Arbeitsvertragsfreiheit. Eine  Lösungsmöglichkeit: Größere Praxen, in denen sich Vergleiche zwischen den Beschäftigten anstellen lassen, können für Medizinische Fachangestellte das tarifliche Gehaltsgefüge anwenden und für Ärztinnen und Ärzte Vergütungskriterien festlegen, die Abweichungen begründbar werden lassen. 

Quelle: BAG 16. 2. 2023 – 8 AZR 450/21

3. Kein grundsätzliches Beweisverwertungsverbot bei offener Videoüberwachung 

Das Urteil: Es besteht kein grundsätzliches Verbot der Beweisverwertung im Kündigungsschutzprozess von Aufnahmen, die vorsätzliches, vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers beweisen sollen – auch dann nicht, wenn die Überwachungsmaßnahmen teilweise nicht mit dem Datenschutzrecht vereinbar sind.

Für Ihre Praxis: Arbeitgeber können im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens Aufnahmen einer offenen Videoüberwachung vorlegen. Ein Verstoß gegen das BDSG oder der DS-GVO sprechen dem nicht entgegen. Aber Achtung: Eine verdeckte Video­überwachung kann nur dann als Beweis angeführt werden, wenn z.B. der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung besteht und es keine weniger einschneidenden Mittel wie die Videoüberwachung zur Aufklärung gab. 

Quelle: BAG, 29. Juni 2023 – 2 AZR 296/22

4. Außerordentliche Kündigung wegen Beleidigung in privater Chatgruppe 

Das Urteil: Ein Arbeitnehmer, der sich in einer privaten Chatgruppe mit sieben Mitgliedern in stark beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise über Vorgesetzte und Kollegen äußert, kann sich gegen eine außerordentliche Kündigung nur im Ausnahmefall auf eine Vertraulichkeitserwartung berufen. Entscheidend ist, ob die Mitglieder des Chat den persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen können. Das wiederum ist abhängig vom Inhalt der Nachrichten sowie der Größe und Zusammensetzung der Chatgruppe. Enthalten die Nachrichten beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige, muss dargelegt werden, warum der Arbeitnehmer hätte erwarten können, der Inhalt werde von niemandem in der Gruppe an einen Dritten weitergegeben.

Für Ihre Praxis: Mit der durch das „Whistleblower-Gesetz“ erhöhten Sensibilisierung für das Melden von Missständen könnte es zu mehr Meldungen im Zusammenhang mit vermeintlich privater Kommunikationen kommen. Arbeitgeber können dann auf der Grundlage dieses Urteils gegen Mitarbeitende, die das Betriebsklima schädigen, vorgehen und so ihr Team schützen. 

Quelle: BAG 24. 8. 2023 – 2 AZR 17/23

5. Kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Verbot privater Handynutzung

Das Urteil: Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat nicht anhören, wenn er die private Nutzung des Handys verbietet. Ein entsprechendes Verbot ist nicht mitbestimmungspflichtig, weil es das unmittelbare Arbeitsverhalten der Beschäftigten betrifft.

Für Ihre Praxis: Sie sagen, Sie haben sowieso keinen Betriebsrat und das Urteil erlaubt das Verbot der Nutzung von privaten Mobiltelefonen ja auch? Trotzdem: Sprechen Sie als Praxisleitung kein unüberlegtes generelles Handyverbot während der Arbeitszeit aus. Denn ein solches Verbot muss als arbeitsrechtliche Weisung dem „billigen Ermessen“ entsprechen – das könnte beispielsweise vorliegen, wenn die Nutzung des Gerätes medizinische Gerätschaften stört. Unter normalen Umständen dagegen müssen Praxischefs und andere Arbeitgeber auch die berechtigten Interessen der Arbeitnehmer berücksichtigen. Und das heißt der Rechtsprechung zufolge: Etwa 10 bis 15 Minuten private Nutzung des Mobiltelefons müssen geduldet werden

Quelle: BAG 17. 10. 2023 – 1 ABR 24/22

6. Außerordentliche Kündigung bei Arbeitszeitbetrug

Das Urteil: Auch bei einem Arbeitszeitbetrug in Höhe von zehn Minuten kann der Arbeitgeber eine außerordentliche Kündigung aussprechen. Es bedarf keiner vorherigen Abmahnung.

Für Ihre Praxis: Dieses Urteil ist selbsterklärend. Entscheidend dürfte in konkreten Fällen die Beweislage sein – im verhandelten Fall war diese eindeutig. 

Quelle: LAG Hamm 27. 1. 2023 – 13 Sa 1007/22

+1. Der Extra-Tipp vom VdAA zum Verfall von Urlaubsansprüchen und den Obliegenheiten des Arbeitgebers 

Das Urteil: Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Jahresurlaub erlischt am Ende des Kalenderjahres nur, wenn der Arbeitgeber ihn zuvor über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. 

Für Ihre Praxis: In kleineren Einheiten wie Arztpraxen dauert es manchmal, bis sich neue Regelungen durchsetzen. Beachten Sie: Seit 2019 hat sich die Situation zur Ur­laubs­über­tra­gung ge­än­dert. Seitdem obliegt dem Ar­beit­ge­ber „die Initia­tiv­last für die Ver­wirk­li­chung des Ur­laubs­an­spruchs“. Dazu gehört die kon­kre­te Auf­for­de­rung zum Ur­laub und der recht­zei­ti­ge Hin­weis auf möglichen Ur­laubs­ver­fall. 

Quelle: BAG 19. 2. 2019 – 9 AZR 541/15

Medical-Tribune-Bericht

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