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Fehlerquellen in der Praxis: „Ich wollte Adrenalin, ich sagte Atropin, ich bekam Atosil“

Praxisführung , Praxismanagement Autor: Anouschka Wasner

Elektronische Ziffern auf dem Kopf gelesen führen zu gravierenden Fehlern. Elektronische Ziffern auf dem Kopf gelesen führen zu gravierenden Fehlern. © iStock/vchal
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Bei etwa 55 000 Hausarztpraxen in Deutschland bedeutet nur ein Irrtum pro Praxis, dass 55 000 Patienten davon betroffen sind. Devise muss also sein: Aus Fehlern lernen, eigenen wie fremden. Das lässt sich kultivieren.

Sucht man den Grund für einen Fehler in der handelnden Person, ist es schwer, wirksame Vermeidungsstrategien für die Zukunft zu finden. Denn Fehler werden selten verhindert durch „besser aufpassen“, so Dr. Armin Wunder, Allgemeinmediziner aus Frankfurt, zum Thema Fehlermanagement auf der practica. Dabei liege die Ursache eines Fehlers oft in der Kommunikation – wie z.B., als er seiner MFA sagte, er brauche Atropin, wobei er doch eigentlich Adrenalin meinte, und sie letztlich Atosil hörte. Genauso sind auch fehlende oder ignorierte bzw. umgangene Organisationsstrukturen häufige Grundlage für ein Fehlerereignis.

Aber auch ganz simple Ursachen können zu erheblichen Fehlern führen: So sei eine Mitarbeiterin zu ihm gekommen, weil eine Patientin über Schwindel geklagt habe und sie daraufhin einen Blutzuckerwert von 651 mg/dl bei ihr gemessen habe. Da hier schnelles Handeln gefragt war, wurde die Patientin umgehend in die Klinik gebracht. Von dort dann nach einer Weile der Anruf: Sie hätten mehrmals kontrolliert – aber sie würden immer wieder 160 mg/dl messen.

Es geht nicht um „Schuld“, sondern um Ursache

Schließlich sei man dem Fehler auf die Spur gekommen: Die Mitarbeiterin hatte beim Ablesen das Gerät falsch herum gehalten. Tatsächlich angezeigt worden war der Wert 159 mg/dl – die elektronischen Ziffern waren auf dem Kopf gehalten leicht anders zu interpretieren.

Grund für den Irrtum sei sicher nicht gewesen, dass die Mitarbeiterin „zu wenig aufgepasst“ habe. Die Ursache für den Fehler müsse man aus einer systemorientierten Perspektive suchen. „Spätestens nach dem vierten ‚Warum‘ landet die Frage nach den Gründen sowieso oft bei uns als Praxischef – weil wir z.B. nicht realisiert haben, dass durch Urlaub und Krankheit ein Engpass entstanden ist.“ Geht etwas schief bei der Geräteanwendung, stellt sich die Frage, wer verantwortlich dafür ist, dass die handelnde Person nicht richtig eingewiesen wurde.

Wie verhindern wir, dass sich der Fehler wiederholt?

Ein Fehlermanagement soll helfen, Fehler und Risiken zu erkennen und sowohl Zahl wie auch Folgen der Fehler zu vermindern. Voraussetzung hierfür ist eine offene, faire und lernende Sicherheitskultur – noch ein Grund, warum eine personenzentrierte Analyse nicht weit führt.

Checken Sie Fehler begünstigende Faktoren!

  • Patientenfaktoren wie Krankheitszustand, soziale, körperliche, psychische Bedinungen, Beziehung Patient-Praxis, Sprache, Ausdrucksfähigkeit, Persönlichkeit
  • Tätigkeitsfaktoren wie Gestaltung des Prozesses bzw. Ablaufes, Protokolle und Standards
  • Persönliche Faktoren wie Wissen, Fähigkeiten, Ausbildung, stress, Gesundheit, Motivation
  • Teamfaktoren wie schriftliche und mündliche Kommunikation, Teamstruktur, Supervision
  • Arbeitsbedingungen wie Personalausstattung, Qualifikation des Personals, Arbeitsbelastung, Design, Vorhandensein und Wartung von Ausrüstung und Geräten, Umgebungsbedingungen, Lärm, Ablenkung
  • Organisations- und Managementfaktoren wie Ressourcen, Beschränkungen, Praxisstruktur, Regeln, Vorschriften, Sicherheitskultur, Prioritäten
  • Kontext der Institution wie wirtschaftliche Bedingungen der Praxis, Vorgaben durch Haftpflichtversicherungen, Vorgaben durch Gesetzgeber wie z.B. QM
  • Sicherheitsbarrieren vorhanden, zuverlässig, bekannt? Hätten die Barrieren das Ereignis verhindern können?

Mit der Fehleranalyse SAFE z.B. werden die Situation, die beteiligten Akteure, die Folgen des Fehlers und schließlich die Erklärung systematisch durchgearbeitet. Bei der Betrachtung der Situation geht es um die „nackten“ Tatsachen in chronologischer Reihenfolge. Dann muss geklärt werden, welche Personen an dem Geschehen beteiltigt waren. Und wer hatte wann was verstanden? Anschließend gilt es die Folgen des Fehlers für den Patienten und für die beteiltigten Personen bzw. die Praxis genau anzuschauen. Und: Muss etwas unternommen werden, z.B. um weiteren Schaden zu vermeiden? Dann erst kann nach der Erklärung gesucht werden: Welche Handlungen haben zu dem Ereignis beigetragen? Was waren die Bedingungen in der Praxis, die den Fehler möglich gemacht haben? Bei unserem Ablesefehler scheinen Situation und beteiligte Personen klar. Doch bei genauem Hinsehen, stellt sich die Frage: Wenn doch normalerweise jeder Mitarbeitende für jedes Gerät eine Einweisung erhält sowie die Möglichkeit, die Handhabung des Gerätes zu üben – warum war das bei dieser Mitarbeitern nicht ausreichend erfolgt? Und nicht nur die Mitarbeiterin, sondern auch die Praxisleitung hätte präsent haben müssen, dass das Gerät bei Werten über 400 mg/dl nur das Wort „high“ ausgibt, keine Zahlen mehr. Es ist also wie prophezeit: Nach dem vierten ‚Warum‘ landet man oft bei der Praxisleitung. Abhilfe zu schaffen, war in diesem Fall nicht schwer. Die Mitarbeiterin wurde geschult, am Gerät wurde „oben“ und „unten“ markiert und die Praxisleitung hat nie mehr vergessen, ab welchem Wert die Angaben der Mitarbeiterinnen hinterfragt werden müssen.

Wenn andere Fehler machen, können Sie davon profitieren

Als Mediziner mit eigener Praxis, der sich seit Langem mit Fehlermanagement beschäftigt, rät Dr. Wunder: Lernen Sie nicht nur aus eigenen, sondern auch aus Fehlern der anderen! Helfen kann das Portal „Jeder Fehler zählt“ vom Institut für Allgemeinmedizin der Johann Wolfgang Goethe-Universität: Auf der Seite www.jeder-fehler-zaehlt.de stellen Praxen und medizinische Einrichtungen Fehlerberichte in verschlüsselter Form ein. Das Institut für Allgemeinmedizin entschlüsselt und anonymisiert die Berichte und veröffentlicht sie auf der Homepage. Dort können sie dann nach unterschiedlichen Abfragemustern recherchiert und kommentiert werden. Die Kommentare werden ausgewertet und fließen in die „Tipps zur Fehlervermeidung“ ein – Schwarmintelligenz zur Fehlervermeidung.

Quelle: 43. practica Bad Orb

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