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Arbeitszeiterfassung Müssen jetzt alle in der Praxis stempeln?

Praxismanagement , Team Autor: Anouschka Wasner

Digitale Systeme können zur Erfassung von Arbeitszeiten hilfreich sein. Digitale Systeme können zur Erfassung von Arbeitszeiten hilfreich sein. © Ralf Geithe – stock.adobe.com
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Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeitenden zu erfassen. Das sagt das Bundesarbeitsgericht. Experten rechnen damit, dass das Grundsatzurteil sehr große Auswirkungen haben wird. 

Eigentlich ging es vor dem Bundesarbeitsgericht um die Frage, ob ein Betriebsrat Verhandlungen für eine elektronische Arbeitszeiterfassung erzwingen kann. Die Antwort auf diese Frage interessierte dann aber nur wenige. Stattdessen elektrisierte die Aussage des Gerichts, dass – bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz – jeder Arbeitgeber gesetzlich die Pflicht hat, die Arbeitszeiten seiner Mitarbeiter zu erfassen.

Dieser Paragraf, den das Gericht zur Begründung heranzog, verpflichtet Arbeitgeber dazu, für die Organisation und die Mittel zu sorgen, welche die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten gewährleisten. In diesen Zusammenhang verortet das Gericht auch die Arbeitszeiten. 

Das – noch nicht in Gänze veröffentlichte – Urteil des BAG fällt in eine Zeit, in der die Bundesregierung zwar begonnen hat, über das Arbeitszeitgesetz zu diskutieren, aber dafür kritisiert wird, mit den Überlegungen nicht zu Potte zu kommen. Dabei liegt die Notwendigkeit einer Reform schon lange auf dem Tisch: Bereits 2019 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Mitgliedsländer in einem Urteil verpflichtet, eine objektive, verlässliche und zugängliche Arbeitszeiterfassung zu installieren. 

Eine Entscheidung auf dieser Ebene hat für die Mitgliedsländer verpflichtenden Charakter. Trotzdem gilt in Deutschland bislang immer noch nur eine Pflicht der Arbeitszeiterfassung bei bestimmten Konstellationen wie etwa Sonntagsarbeit, Überstunden und 450-Euro-Jobs. 

Worauf sollten sich die Praxen einstellen?

Für die Praxen beinhalten die Vorstöße auf die Arbeitszeiterfassung aus den diversen Richtungen vor allem einen sicheren Hinweis darauf, dass in Zukunft kein Arbeitgeber um diese Pflicht herumkommen wird – auch wenn der bisher bekannt gewordene Satz des BAG noch keine Hinweise darauf enthält, wie genau die Erfassung aussehen muss. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat jetzt Vorschläge für die konkrete Umsetzung in Aussicht gestellt. Zunächst müsse man aber das Urteil und die Begründung dazu auswerten.

Wahrscheinlich ist, dass in Zukunft Anfang und Ende der Arbeitszeit festgehalten werden müssen und dass es im Ermessen des Arbeitgebers liegen wird, ob er die Erfassung  übernimmt – z.B. mithilfe eines digitalen Systems – oder ob er das seinen Beschäftigten überlässt. In jedem Fall gilt: Die Verantwortung zur Einhaltung der gesetzlichen Arbeitszeitregelungen liegt beim Arbeitgeber

In der Ärzteschaft sind die Reaktionen noch verhalten. KBV und BÄK – bei Letzterer ist die Arbeitsgemeinschaft zur Regelung der Arbeitsbedingungen der Medizinischen Fachangestellten (AAA) angesiedelt – wollen die Urteilsbegründung abwarten; ggf. kann diese weitere Umsetzungsvorgaben enthalten. Viele Praxischefs fürchten einen Anstieg von Bürokratie durch das Urteil. 

Die KV Nordrhein betont dagegen den Aspekt, dass es um den Schutz von Arbeitnehmern gehe. Das könne zwar zu mehr Bürokratie führen und möglicherweise auch mit Investitionen z.B. in technische Systeme verbunden sein. Die Regelung soll aber zu mehr Compliance beim Einhalten von Arbeitszeiten führen – mit Blick auf die Zufriedenheit der Mitarbeiter biete das auch Chancen. 

Die Rechtsberatung des Virchowbundes unterstreicht den Handlungsbedarf in den Praxen: „Wenn eine Arztpraxis noch kein System hat, um die Arbeitszeit aufzuzeichnen, ist es jetzt höchste Zeit, eines einzuführen. Bislang mussten Überstunden erfasst werden, jetzt auch die reguläre Arbeitszeit.“ Man werde baldmöglichst detaillierte Empfehlungen an die Mitglieder geben. 

MFA hoffen auf ein Ende der unbezahlten Überstunden

Der Verband der medizinischen Fach­angestellten (VmF) will zunächst abwarten, inwiefern den Arbeitgebern in der Umsetzung noch Freiheiten zugebilligt werden. Zunächst mal sei die Entscheidung aber zu begrüßen. Sie werde „den zahlreichen unbezahlten Überstunden, die unsere Mitglieder regelmäßig leisten, hoffentlich ein baldiges Ende setzen“, kommentiert die Rechtsabteilung.

Auch der Marburger Bund begrüßt die Entscheidung. Sie bedeute, dass jene Krankenhäuser, die einen transparenten Umgang mit der geleisteten Arbeitszeit verwehren, klar rechts- und gesetzeswidrig handeln. Auch in den Bereichen, in denen tarifliche Regelungen des Marburger Bundes nicht konsequent umgesetzt werden, werde es den Druck auf die Arbeitgeber erhöhen. Insgesamt werde mehr Transparenz zur tatsächlichen Arbeitslast der Ärzteschaft hergestellt und die Durchsetzung von Vergütungsansprüchen für überobligatorische Arbeitsleistungen vereinfacht.

Ach ja: Ein Initiativrecht zur Zeiterfassung hat das BAG dem Betriebsrat übrigens nicht eingeräumt. Aber nur, weil die Angelegenheit nach dem aktuellen Urteil als gesetzlich geregelt gilt. Damit sei das Mitbestimmungsrecht an dieser Stelle unsinnig.

Medical-Tribune-Bericht

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