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Arbeitszeiterfassung Stechen statt fühlen

Praxismanagement , Team Autor: Anouschka Wasner

Grundsätzlich gilt: Der Arbeitgeber ist verantwortlich dafür, dass die Arbeitszeitdaten bei behördlichen Kontrollen oder auf Anfrage der Mitarbeitenden eingesehen werden können. Grundsätzlich gilt: Der Arbeitgeber ist verantwortlich dafür, dass die Arbeitszeitdaten bei behördlichen Kontrollen oder auf Anfrage der Mitarbeitenden eingesehen werden können. © Quality Stock Arts – stock.adobe.com
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Arbeitszeiten müssen erfasst werden. Das hat das Bundesarbeitsgericht geklärt. Ob Kleinstbetriebe gesetzlich von der Pflicht ausgenommen werden, ist noch offen. Alle anderen sollten sich jetzt damit vertraut machen. 

Arbeitgeber müssen dafür sorgen, dass die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten systematisch und nachprüfbar erfasst werden. Das hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) im September 2022 in einem recht aufsehenerregenden Urteil klargestellt.1 Bis dato war es hierzulande ausreichend, angefallene Überstunden zu dokumentieren. Die Notwendigkeit der vollständigen Erfassung ergab sich über die unionsrechtskonforme Auslegung der bestehenden Arbeitsschutzregelung: Im Mai 2019 hatte der Europäische Gerichtshof Arbeitgeber in diesem Sinne verpflichtet.2 Der Urteilsbegründung des BAG lassen sich jetzt genauere Anforderungen entnehmen. 

Grundsätzlich gilt: Der Arbeitgeber ist verantwortlich dafür, dass die Arbeitszeitdaten bei behördlichen Kontrollen oder auf Anfrage der Mitarbeitenden eingesehen werden können. Der Arbeitgeber muss entsprechend ein „objektives, verlässliches und zugängliches System“ zur Erfassung der Arbeitszeit zur Verfügung stellen. Ob elektronisch oder nicht, ist dabei unerheblich – es kann auch einfach in einem Formular erfasst werden, mit Stift und Papier.  

Chef und Chefin müssen dabei nicht alles selbst machen: Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung kann auf den einzelnen Beschäftigten übertragen werden. Das erleichtert die Sache, setzt aber auch das Vertrauen in die Mitarbeitenden voraus, dass sie bei den Aufzeichnungen  korrekt vorgehen. 

Was wollen die Behörden von den Arbeitgebern wissen?

Der Arbeitgeber ist auch derjenige, der in erster Linie dafür verantwortlich ist, dass die geltenden Vorgaben zur Arbeitszeit eingehalten werden: Er muss seinen Betrieb entsprechend organisieren. 

Die Überwachung der gesetzlichen Bestimmungen ist dann Aufgabe der Bundesländer. Die nach Landesrecht bestimmten Arbeitsschutzbehörden (beispielsweise die Gewerbeaufsichtsämter) sind auch für die Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Vorschriften zuständig. Bei Verstößen können Bußgelder verhängt werden.

Was die Behörden im Fall einer Kontrolle interessiert, ist insbesondere die Lage der Arbeitszeit des Einzelnen wie auch das Einhalten der täglichen und wöchentlichen Höchstarbeitszeiten. Deswegen reicht es nicht, wie bislang ausgelegt wurde, nur die angefallenen Überstunden zu erfassen: Aufgezeichnet werden müssen Anfang und Ende der Arbeitszeit sowie die Pausenzeiten. 

Diese Pflicht trifft wie gesagt zunächst einmal alle Arbeitgeber in Deutschland – auch Krankenhäuser, MVZ und Arztpraxen. Allerdings gibt es Ausnahmen von der Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung für bestimmte Arbeitnehmergruppen. So gelten  abweichende Regelungen, wenn die Dauer der Arbeitszeit wegen Besonderheiten der ausgeübten Tätigkeit nicht bemessen oder vorherbestimmt werden kann. Dazu gehören nach herkömmlicher Auffassung Chefärztinnen und Chefärzte, Leitende Angestellte und Beschäftigte im öffentlichen Dienst, also etwa in den Gesundheitsämtern.

Aber auch bei anderen Beschäftigten kann weiterhin Vertrauensarbeitszeit vereinbart werden, erklärt das Bundesarbeitsministerium. Mit diesem Begriff wird im Allgemeinen ein flexibles Arbeitszeitmodell bezeichnet, bei dem die Beschäftigten eigenverantwortlich über Beginn und Ende der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit entscheiden können. Der Arbeitgeber „vertraut“ dabei darauf, dass der Mitarbeitende der vertraglichen Arbeitsverpflichtung nachkommt. 

„Eine Dokumentation der Arbeitszeit steht einer solchen Vereinbarung nicht im Wege“, so das Ministerium. Die Vorgaben des Arbeitszeitschutzes – insbesondere zur täglichen Höchstarbeitszeit und zu Ruhezeiten – seien bereits heute auch bei Vertrauensarbeitszeit einzuhalten. Unter Beachtung dieser Vorgaben sei Vertrauensarbeitszeit daher weiterhin möglich.

Eine Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit sollte für Arbeitgeber hierzulande allerdings sowieso keine Unbekannte sein. Schon heute ergibt sich aus dem Arbeitsschutzgesetz beispielsweise die Verpflichtung, eine täglich über acht Stunden hinausgehende Arbeitszeit aufzuzeichnen. Wer gegen die Aufzeichnungspflicht verstößt, musste bisher schon mit einem Bußgeld rechnen – die zuständigen Behörden sind sogar dazu verpflichtet, eine bestimmte Anzahl von Überprüfungen vorzunehmen. Kann der Arbeitgeber keine Aufzeichnungen vorweisen, drohen dem Gesetz nach im Wiederholungsfall Bußgelder von bis zu 30.000 Euro.

Für viele besteht wohl kein Handlungsbedarf

Für manchen Arbeitgeber bedeutet die Aufzeichnungspflicht sicher eine unliebsame Umstellung. Doch für die große Masse wird sich nichts ändern: Nur 21 % der Beschäftigten gaben in der Arbeitsbefragung 2021 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin an, dass die Arbeitszeit ihrer Kenntnis nach nicht erfasst wird. Bei fast der Hälfte der Beschäftigten (47 %) wird die Arbeitszeit betrieblich erfasst, von weiteren 32 % wird sie selbst dokumentiert. 

Für 2023 hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen „praxistauglichen Vorschlag“ für die Ausgestaltung der Erfassungspflicht im Gesetz angekündigt. Der Gesetzgeber könnte dann eventuell auch Ausnahmen für Kleinbetriebe schaffen.

Quellen:
1. Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 13.09.2022 – 1 ABR 22/21
2. Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 14.05.2019 – C-55/18 

Medical-Tribune-Bericht

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