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Rezeptpflichtige Medikamente Verschreibung ohne jeden Patientenkontakt

Verordnungen Autor: Isabel Aulehla

Falscher Name, erlogene Erkrankung und ­fiktive Angaben zur Medikation – das genügt oft, um an Rx-Arzneimittel zu gelangen. Falscher Name, erlogene Erkrankung und ­fiktive Angaben zur Medikation – das genügt oft, um an Rx-Arzneimittel zu gelangen. © exclusive-design – stock.adobe.com
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Rx-Arzneimittel sind eigentlich nur nach gründlicher Anamnese und Diagnostik zu verordnen. Doch inzwischen gelangen Patienten online unkompliziert selbst an die Präparate. Ärzte und Apotheker sind empört.

Um verschreibungspflichtige Medikamente zu erhalten, müssen Patienten erst mal einen Arzt konsultieren? Fehlanzeige. Verschiedene Onlineanbieter stellen Rezepte aus, samt Zustellung der Medikamente. Der Nutzer muss sich bloß durch einen Fragebogen klicken, anschließend erhält er eine Liste verschreibungspflichtiger Präparate, die infrage kommen. Eines davon wählt er aus, wenig später findet er Rezept oder Medikament im Briefkasten. Gezahlt wird privat.

Zu den Erkrankungen, für die Verordnungen angeboten werden gehören etwa Asthma, COPD, Bluthochdruck oder Diabetes. Auch Kontrazeptiva und Hormontherapien sind erhältlich. Und natürlich eröffnen Probleme, über die Patienten nicht gerne sprechen, ebenfalls einen Markt, etwa Geschlechtskrankheiten oder Erektionsstörungen.

Mögliche Gefahren für die Patienten sollen durch den Fragebogen ausgeschlossen werden. Dieser erhebt mögliche Begleiterkrankungen sowie die bisherige Medikation. Laut den Geschäftsbedingungen der Portale sind Nutzer verpflichtet, gewissenhaft und wahrheitsgetreu zu antworten. Trotzdem liegen einige Risiken auf der Hand: Ein Fragebogen kann nicht unbedingt ein komplexes Krankheitsbild erfassen, zudem besteht die Möglichkeit des gezielten Missbrauchs. Ganz zu schweigen davon, dass vorab nicht mal klar ist, ob eine medikamentöse Behandlung überhaupt die sinnvollste Option ist.

Um Gefahren auszuschließen, müssten die verschreibenden Ärzte die Patienten bei Unklarheiten kontaktieren. Bei einzelnen Portalen geschieht dies offenbar auch. Doch einige der großen Anbieter wurden auf ihr Gefahrenpotenzial hin getestet. So gelangten Reporter des Norddeutschen Rundfunks mithilfe frei erfundener Angaben an Antibiotika, Abnehmmittel und sogar ein Opiat.

Der Apotheker und Gesundheitswissenschaftler Professor Dr. Gerd Glaeske kommt zu einem klaren Urteil: „Aus meiner Sicht sind die Gefahren gar nicht hoch genug einzuschätzen. Ich halte diese Portale für eine Gefährdung der Patient:innen, der Vertrieb rezeptpflichtiger Arzneimittel ohne Rezept sollte dringend untersagt werden. Und solche – aus meiner Sicht illegalen – Apothekenportale sollten verboten werden, auch wenn sie mit fernärztlicher Beratung werben.“

Potenzmittel trotz koronarer Herzkrankheit

Der Pharmazeut hat einige der Angebote in Zusammenarbeit mit Stiftung Warentest untersucht und dabei ernüchternde Erfahrungen gemacht. So wurden bei der Bestellung von Viagra® keine Einwände gegen die Auslieferung erhoben, obwohl eine koronare Herzkrankheit als Kontraindikation angegeben worden war. Auch an Ritalin® gelangte er leicht. „Im Zusammenhang mit Ritalin ist immer wieder gefordert worden, dass eine ausreichend kompetente Diagnostik vor der Verordnung stehen muss, damit unerwünschte Wirkungen, wie zum Beispiel Schlaflosigkeit und Abhängigkeit bei Erwachsenen nicht zur Gefahr werden.“

Die Gefährdung der Patientensicherheit ist allerdings nicht das einzige Problem, findet Professor Dr. Martin Scherer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM). „Ein weiteres Hauptproblem ist, dass der Grundgedanke der Medizin pervertiert und ein unterkomplexes Bild von medizinischem Handeln suggeriert wird. Laien bekommen den Eindruck, dass es in der Medizin um die monokausale Behandlung von Symptomen geht, einem simplen Reizreaktionsschema folgend. Die internetgestützte Verschreibung von Medikamenten zäumt das Pferd quasi von hinten auf.“

Beim Deutschen Apothekertag im September bezog auch Gabriele Regina ­Overwiening Stellung, die Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA). „Arzneimittel dürfen nicht in Umgehung der Verschreibungspflicht bagatellisiert und wie Smarties im Internet bestellt werden können. Wir in der ABDA, wir suchen gemeinsam mit der Ärzteschaft und der Politik nach Lösungen, die diese Umgehungs­tatbestände, verhindern werden!“

Obwohl die Angebote medizinisch gesehen nicht unbedingt seriös wirken, sind sie juristisch schwer anzugehen. Zwar ist fraglich, ob die Verordnung eines Medikaments anhand eines Fragebogens dem deutschen Berufsrecht, insbesondere der ärztlichen Sorgfaltspflicht, entspricht. Die Bundesärztekammer teilt mit, hier seien „starke Zweifel“ angebracht. Allerdings lassen viele der Onlineportale die Rezepte von Medizinern in anderen EU-Ländern unterschreiben, deren Recht diese Art der Fernbehandlung zulässt. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und die Bundes­ärztekammer sehen sich daher nicht zuständig. Das Handeln ausländischer Ärzte entziehe sich hiesigem Recht, im Fall deutscher Mediziner obliege den Landes­ärztekammern die Wahrung der Berufsordnung.

Bis vor einigen Jahren war Apotheken die Abgabe von Arzneimitteln bei ausschließlicher Fernbehandlung noch verboten. Dies sei jedoch „nicht mehr sachgerecht“ gewesen, nachdem das Fernbehandlungsverbot in der Musterberufsordnung der Ärzte 2018 gelockert wurde, erklärt das BMG. Daher habe man das Verbot mit dem „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung“ aufgehoben.

Nach derzeitiger Rechtslage ist eine ausschließliche Behandlung über Kommunikationsmedien im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche Sorgfalt durch die Art der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird. Zudem muss der Patient über die Besonderheiten der ausschließlichen Fernbehandlung aufgeklärt werden.

Fernbehandlung sollte nur der Ersteinschätzung dienen

„Ziel dieser Öffnung ist, den Patientinnen und Patienten zukünftig mit der Fort- und Weiterentwicklung telemedizinischer, digitaler, diagnostischer und anderer vergleichbarer Möglichkeiten eine dem anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse entsprechende ärztliche Versorgung anbieten zu können,“ argumentiert das BMG.

Tatsächlich gibt es Bereiche, in denen eine Fernbehandlung zumindest bedingt infrage kommen kann. „Was partiell denkbar ist, sind dermatologische Fotodiagnosen,“ meint Prof. Scherer. „Allerdings muss auch hier einschränkend gesagt werden, dass es sich immer nur um eine orientierende dermatologische Ersteinschätz­ung handeln kann. Eine genaue Anamneseerhebung ist auch in der Dermatologie unerlässlich und oft sind weitere Untersuchungen zur Diagnosestellung erforderlich.“

Ob sich künftig Möglichkeiten einer Regulierung finden, bleibt abzuwarten. Die ABDA-Präsidentin äußerte sich jedenfalls kämpferisch: „Jeder, der gegen die Interessen der Menschen in diesem Lande das Geschäft der Trivialisierung von Arzneimitteln betreibt, der bekommt es mit uns zu tun!“

Medical-Tribune-Bericht

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