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Apps auf Rezept müssen sich als Therapiealternative noch bewähren

e-Health , Apps und Internet Autor: Dr. Michael Feld

Kassen- und KV-Vertreter stören sich an der Höhe der Vergütung für die Hersteller von digitalen Gesundheitsanwendungen. Kassen- und KV-Vertreter stören sich an der Höhe der Vergütung für die Hersteller von digitalen Gesundheitsanwendungen. © MooseD – stock.adobe.com
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Sollen sich Vertragsärzte darauf einlassen, amtlich geprüfte Gesundheitsapps zu verordnen? Eine DiGA kann eine sinnvolle Ergänzung bewährter Therapie­optionen sein, meint der Allgemeinarzt und Schlafmediziner Dr. ­Michael Feld. Patienten vermeiden so Wartezeiten.

Das Digitale-Versorgungs-Gesetz vom 19.12.2019 brachte die „App auf Rezept“. Gesetzlich Krankenversicherte ab 18 können nun „Digitale Gesundheitsanwendungen“ (DiGA) von Ärzten und Psychotherapeuten zulasten der GKV verordnet bekommen – sofern die Apps oder browserbasierten Programme im „DiGA-Verzeichnis“ des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gelistet sind. Im PKV-Bereich sind DiGA bisher nicht erstattungspflichtig.

Aufwendiges Prüfverfahren mit hohen Hürden

Um eine DiGA-Zertifizierung zu erlangen, haben die Anbieter ein aufwendiges Prüfungsverfahren beim BfArM zu durchlaufen. Die App muss vorab als niederschwelliges Medizinprodukt CE-zertifiziert worden sein. Die der jeweiligen App zugrunde liegenden Verfahren, z.B. kognitive Verhaltenstherapie, müssen wissenschaftlich validiert sein. Es ist ein „positiver Versorgungseffekt“ nachzuweisen. Es darf keine Werbung in der App auftauchen. Die Datenschutzhürden hängen hoch.

15 DiGAs im Angebot

Bis Juni 2021 wurden insgesamt 75 DiGA-Zulassungsanträge beim BfArM gestellt. 33 davon wurden zurückgezogen, vier negativ beschieden, 23 befinden sich noch in der Prüfung und 15 Anwendungen sind aktuell verordnungsfähig. Sieben dieser 15 Apps betreffen psychische Erkrankungen (Depressionen, Ängste, Schlafstörungen, Sucht), zwei kommen aus der Onkologie (Mamma- und Schilddrüsen-Ca.-Nachsorge), eine App ist für Migräne zugelassen, eine für Multiple Sklerose, eine für Schlaganfallnachsorge, eine für Coxarthrose, eine für Tinnitus und eine für Adipositas.

Von Kassen und KVen ist Kritik an der Höhe der Vergütung für die Hersteller laut geworden. Die Kassen zahlen den Anbietern derzeit zwischen 300 und 600 Euro für eine z.B. dreimonatige Anwendung, der verordnende Arzt bekommt extrabudgetär für jede DiGA-Verordnung zwischen 2 Euro (GOP 01470) und 7,12 Euro (GOP 01471 gilt nur für die App „somnio“ bei Insomnien). Alle Preise sind zunächst bis zum 31.12.2022 befristet. Wie bei Pharmaka können die Hersteller im ers­ten Jahr nach der Zulassung ihre Preise selbst bestimmen, danach finden Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband statt. Doch was ist mit dem Nutzen? Sind DiGAs inflationäres Spielzeug oder füllen sie ggf. Lücken, die durch physische Präsenzangebote gar nicht füllbar sind? Betrachten wir das Beispiel der für Ein- und Durchschlafstörungen zugelassenen App „somnio“ der Leipziger Mementor GmbH. In Deutschland gibt es etwa acht Millionen Menschen mit chronischen, d.h. länger als sechs Monate bestehenden, Insomnien, was einer Prävalenz von ca. 10 % der Gesamtbevölkerung entspricht. Hinzu kommen etwa 15 bis 20 % Patienten mit temporären bzw. leichten bis mittelschweren Insomnien. Bei etwa 25 bis 30 % Schlafgestörten kann man von einer Volkskrankheit sprechen. Hierzulande gibt es ca. 350 von der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) akkreditierte Schlaflabore. Diese sind aber aufgrund der historischen Entwicklung hauptsächlich auf schlafbezogene Atmungsstörungen ausgerichtet. Nur etwa 20 Kliniken in Deutschland befassen sich explizit mit Insomnien. Es besteht also eine große Versorgungslücke. Die meisten Menschen, die unter Schlafstörungen leiden, werden zunächst beim Hausarzt vorstellig. Dieser hat aber meist weder die Zeit noch die Weiterbildung, um eine schlafmedizinische Diagnostik und Therapie zu leisten (ein Curriculum „Schlafmedizinische Primärversorgung“ ist seitens der DGSM in Arbeit). Die zunächst hilfreichen Z-Substanzen (Zolpidem, Zopiclon, neuerdings auch Eszopiclon) sind aufgrund des Gewöhnungspotenzials leitliniengerecht nur für eine Behandlung über zwei bis maximal vier Wochen erlaubt. Danach können mittelschwere oder chronische Insomniker entweder mit etwas Glück auf niedrig dosierte Trizyklika (Amitryptilin, Trimipramin, Doxepin) oder atypische Antidepressiva (Opipramol, Mirtazapin o.Ä.) umgestellt werden. Viele Patienten vertragen diese Präparate aber nicht oder haben Angst vor Nebenwirkungen. Psychotherapieplätze haben lange Wartezeiten und nicht jede Insomnie braucht aufgrund ihrer Genese eine lange physische Präsenz-Psychotherapie, sodass eine Insomnie-Coaching-App (ein virtueller Coach namens Albert führt die Patienten durch die durchstufte kognitiv-behaviorale „Behandlung“) für drei Monate im diesem speziellen Fall durchaus sinnvoll erscheint. Mit dem digitalen Schlaftraining für 18- bis 65-Jährige wird eine Versorgungslücke für leichte bis mittelschwere Insomnien per Homecare angegangen. Dem Haus- und Facharzt erlaubt das, zu schauen, ob die Ein- und Durchschlafstörungen nach drei Monaten App-Anwendung noch vorhanden sind oder nicht. Wenn die Insomnie weg ist, war es ein Erfolg, und wenn sie nicht weggeht, kann eine Präsenz-Psychotherapie und/oder eine Polysomnographie angestrebt werden.

Versorgungslücken mit modernen Mitteln schließen

Dieses Beispiel mag zeigen, dass DiGAs in ausgewählten Bereichen sinnvoll sein können, weil sie sonstige etablierte Behandlungsformen ergänzen. Über die Höhe der Vergütung lässt sich zwar streiten, das Schließen von Versorgungslücken mit zeitgemäßen Mitteln erscheint aber angebracht.

Medical-Tribune-Bericht

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