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„Apps auf Rezept“ „Zukunft des Gesundheitswesens wird digital sein“

e-Health , Apps und Internet Autor: Michael Reischmann

Internetbasierte Therapien konnten schon als DiGA  umgesetzt werden. Internetbasierte Therapien konnten schon als DiGA umgesetzt werden. © elenabsl – stock.adobe.com
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„Apps auf Rezept“ – es ist gut drei Jahre her, dass der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn diese „Weltneuheit“ verkünden durfte. Wo stehen wir heute? Und wie könnte es weitergehen? DGIM-Experte Prof. Dr. Martin Möckel erwartet bei den DiGA spannende Entwicklungen.

Mitte Oktober waren im DiGA-Verzeichnis des BfArM 55 digitale Gesundheitsanwendungen gelistet. Sechs davon gibt es schon nicht mehr auf Rezept. 26 sind dauerhaft registriert. 23 haben den Status „vorläufig“, müssen also erst noch beweisen, dass sie einen positiven Versorgungseffekt haben. 24 verfügbare Anwendungen betreffen den Bereich Psyche, aber nur eine die Herzinsuffizienz, den Reizdarm und fünf Diabetes oder Adipositas. 

Für „eine völlig neue Anwendung halte ich das für ganz ordentlich“, sagt Prof. Dr. Martin Möckel. Der Internist von der Charité – Universitätsmedizin Berlin leitet die DGIM-Arbeitsgruppe Digitale Gesundheitsanwendungen/KI in Leitlinien. Sein Vergleich: Es kann auch 10 bis 15 Jahre dauern bis für ein Indikationsgebiet ein innovatives Medikament vorliegt.

Verbindung mit Sensorik bietet neue Möglichkeiten

Zudem gebe es gegen Depression und Angststörungen schon länger internetbasierte Therapien, die als DiGA umgesetzt werden konnten. Im internistischen Bereich seien es zunächst einfache Thematiken – „Stichwort Abnehmen“ – gewesen. Aber mittlerweile sei z.B. auch eine App für Herzinsuffizienz zugelassen. Durch die Kopplung von DiGA mit Wearables, die kontinuierlich Bio­signale des Trägers aufzeichnen, etwa Herzfrequenz und Blutdruck, ent­stehe perspektivisch ein Mehrwert.

So lasse sich durch telemedizinische Angebote bei Patienten mit Herzinsuffizienz die Prognose verbessern. Diese gelangten aber nicht komplett in die Breite, weil sie teuer und aufwendig seien. „Doch wenn man das mit einer DiGA machen kann, zum Beispiel im Kontext mit einer Smartwatch, die viele Biosignale misst, dann wäre das für viele Patienten ein echter Fortschritt bezüglich Lebensqualität und Lebenszeit“, ist der Internist überzeugt.

Prof. Möckel sieht dementsprechend die Marktentwicklung positiv. Er begrüßt auch die vom Gesetzgeber angekündigte Erweiterung des DiGA-Spektrums um Medizinprodukte höherer Risikoklassen, die in einen differenzierten Therapieplan eingeordnet werden können. Der Mediziner verspricht sich viel von der Kombination von Apps, die zum Teil schon jetzt Künstliche Intelligenz beinhalten, mit Sensorik und der Verarbeitung der gemessenen Werte. Recht weit ist die Entwicklung z.B. schon bei der Steuerung der Insulintherapie von Diabetespatienten.

Im Podcast „O-Ton Innere Medizin“ geht Prof. Möckel auch auf das Beispiel der Symptom-Checker ein. Wenn man künftig zum Arzt gehe und seine Symptome in einen Symptom-Checker eintippe, die der Behandelnde gut aufbereitet auf seinen Laptop angezeigt bekomme, dann könne dieser auf einem ganz anderen Niveau einsteigen als heute. Prof. Möckel schildert die Szene einer nicht unrealistischen Zukunft mit einem Roboter im Wartebereich einer Notfallaufnahme: Der Roboter reicht dem eintreffenden Patienten die Hand. Seine Sensorik misst Körpertemperatur, Blutdruck, Herzfrequenz, Sauerstoffsättigung etc. Er fragt weitere Informationen in der Sprache des Patienten, u.a. zur Registrierung, ab. Über das Krankenhausinformationssystem landen die Daten auf dem Monitor des Arztes in der Notaufnahme. Dieser entscheidet über das weitere Vorgehen.

Dass das geplante Digitalgesetz ferner eine anwendungsbegleitende Erfolgsmessung vorsieht, die bei der DiGA-Vergütung berücksichtigt werden soll, könnte ein probates Mittel sein, um die Kosten im Griff zu behalten und zu verhindern, dass unwirksame DiGA produziert werden, meint Prof. Möckel. „Man sollte das aber nicht blind ausrollen, sondern pilotieren. Das heißt, dass man es zum Beispiel bei ein, zwei DiGA ausprobiert und schaut, was das dann ökonomisch bedeuten würde.“

„Wir gehen davon aus, dass die Zukunft des Gesundheitswesens digital ist – werden aber weiterhin beobachten, wie sich die Evidenzlage bei den DiGA entwickelt“, verspricht Prof. Möckel für seine DGIM-Arbeitsgruppe. Man habe sich dafür entschieden, keine DiGA direkt zu empfehlen oder von einer abzuraten. Stattdessen wurden Kriterien entwickelt, anhand derer Kollegen Anwendungen selber einschätzen können. Es sei auch eine Aufgabe der Fachgesellschaft, ihre Mitglieder vorzubereiten, also auf Versprechungen, Möglichkeiten und Grenzen hinzuweisen. Die Arbeitsgruppe erwägt deshalb die Konzeption einer Schulung für Praxisteams. Damit diese in die Lage versetzt werden, die Verordnung von DiGA mit vernünftigem Aufwand in den Praxisalltag zu integrieren.

Die DGIM hat bereits ein Konzept für DiGA-Hersteller entwickelt, wie diese hilfreiche Schulungsvideos von 15 bis 20 Minuten Dauer erstellen könnten. Gezeigt werden sollten z.B. der Zweck der Anwendung und die wissenschaftlichen Grundlagen. Interessant sei zudem, wie Patienten die Arbeit und Gesundung mit der DiGA erleben. Prof. Möckel rechnet damit, dass es in den nächsten Monaten erste Kurzvideos geben wird. 

Fachgesellschaft legt Wert auf den Nachweis der Evidenz

Zweifellos legen Ärzte besonderen Wert auf das Urteil von Kollegen. Was können diese empfehlen? Prof. Möckel gibt zu: „Da hört man Gemischtes.“ Niedergelassene, die sich schon länger intensiv mit DiGA beschäftigen, berichteten, dass man dafür auch die „richtigen“ Patienten brauche. Nach der Verordnungs­statistik sind dies meist Menschen im Alter zwischen 40 und 60. 

Beklagt werde, dass der Einsatz von DiGA im therapeutischen Kontext nicht vergütet werde. Das sei auch das Haupthindernis, warum nicht mehr Anwendungen verordnen werden, meint der Internist.

Hinzu komme die Grundsatzkritik der wissenschaftlich-ärztlichen Community: „Wir gehen hier mit einem Therapeutikum an Patienten heran, das vielleicht noch gar nicht wissenschaftlich ausreichend validiert ist.“ Der Gesetzgeber wollte das so wegen des Tempos der Entwicklung, erklärt Prof. Möckel. „Wir als wissenschaftliche Fachgesellschaft plädieren natürlich dafür, dass auf jeden Fall ausreichend Evidenz nachträglich vorgelegt werden muss. Dennoch bin auch ich der Überzeugung, dass dieses Fast-Track-Verfahren zumindest mit der Einführung 2020 seine Berechtigung gehabt hat.“

Welche Rolle DiGA für die Forschung spielen können, wie die kommende Ärzte-Generation an die digitale Medizin herangeführt wird und was Besucher des nächsten Internistenkongress 2024 Spannendes erwarten dürfen, erzählt Prof. ­Möckel im Podcast O-Ton ­Innere Medizin (siehe Kasten). Einfach reinhören und bei Gefallen gratis abonnieren!

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O-Ton Innere Medizin gibt es alle 14 Tage donnerstags auf den gängigen Podcast-Plattformen.
So vielfältig wie das Fach: Gesundheitspolitik, Innovationen, Management aktuelle Themen aus Praxis und Klinik. 

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