Anzeige

Alternativmedizin beliebt bei Verschwörungstheoretikern

Interview Autor: Anouschka Wasner

Die Flat-Earth-Theorie ist wohl eine der skurrilsten Verschwörungstheorien. Die Flat-Earth-Theorie ist wohl eine der skurrilsten Verschwörungstheorien. © iStock.com/Cokada
Anzeige

Je stärker jemand mit Verschwörungstheorien sympathisiert, desto mehr befürwortet die Person alternative Verfahren. Und desto mehr lehnt sie konventionelle Heilmethoden sowie Impfungen ab. So das Ergebnis einer Studie von Pia Lamberty der Universität Mainz. Was könnte das für den Umgang mit Patienten bedeuten?

Frau Lamberty, Sie sagen, seit Längerem kursieren gerade in Deutschland und im Gesundheitsbereich viele Verschwörungstheorien, etwa in Bezug auf das Impfen. Woran machen Sie das fest?

Pia Lamberty: Deutschland gehörte 2017 zu den vier Ländern in Europa mit den meisten Masernfällen – und wir konnten für Deutschland einen sehr starken Zusammenhang zwischen Verschwörungsmentalität und Impfskepsis finden. Wenn Menschen im Internet nach Informationen zu Impfungen suchen, kommen sie meist sehr schnell auf „impfkritische“ Seiten. Dort findet man dann „Die Wahrheit über Impfen“ oder „Impfen löst Allergien und Autismus aus“. Verschiedene Studien zeigen, dass solche Informationen sich negativ auf Impfintentionen auswirken. In Deutschland werden insbesondere Kinder aus höher gebildeten Familien sowie Kinder in wirtschaftsstarken Regionen weniger geimpft: Da Eltern mit akademischem Hintergrund vermutlich verstärkt selber nach Informationen suchen, werden sie auch eher mit Impf-Verschwörungen konfrontiert.

Was ist „Verschwörungsmentalität“ und wie misst man sie?

Lamberty: Menschen mit einer starken Tendenz, an Verschwörungstheorien zu glauben, denken, dass die Welt von verborgenen Mächten beherrscht wird. Forschung zeigt, dass Menschen, die einer Verschwörungstheorie zustimmen, eher dazu neigen, einer weiteren zuzustimmen – sogar wenn diese sich logisch ausschließen. Aus diesem Grund gehen wir davon aus, dass es sich der Verschwörungsmentalität um ein stabiles Persönlichkeitsmerkmal handelt. Verschwörungsmentalität kann auch als generalisiertes Misstrauen gegenüber Personen und Gruppen verstanden werden, die als mächtig wahrgenommen werden. Dies erklärt zum Beispiel, warum Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, insgesamt eher vorurteilsbehaftet sind gegenüber der Wissenschaft, Medizin und Politik1.

Wie sollte der Hausarzt mit einem Patienten mit Verschwörungsmentalität umgehen? Steht er hier nicht vor einem Phänomen, das eigentlich an der Wurzel angegangen werden muss?

Lamberty: Die psychologische Forschung zu Verschwörungstheorien existiert noch nicht lange. Aus der Grundlagenforschung lässt sich aber ableiten, dass Kontrollverlust und Misstrauen eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Verschwörungsdenken spielen. Hier könnte auch bereits ein Hausarzt ansetzen und gezielt an dem Vertrauensverhältnis zum Patienten arbeiten und diesem das Gefühl vermitteln, Kontrolle über die Behandlung zu haben – soweit möglich. Insgesamt wäre es wichtig, hier mehr Forschung zu betreiben, um herauszufinden, wie Ärzte mit diesem Thema umgehen können.

Sehen Sie hier auch einen Auftrag an den Hausarzt? Oder eher an die Politik und die Selbstverwaltung? 

Lamberty: Die wahrgenommene Macht ist nur der Faktor, der erklärt, wie es zur Bewertung von medizinischen Systemen und Medikamenten kommt. Aber warum vertrauen Menschen Heilpraktikern oft mehr als Ärzten? Liegt es daran, dass Heilpraktiker – im Vergleich zu Kassenärzten – viel Zeit mit ihren Patienten verbringen können, da diese ja privat bezahlen? Und wie lässt sich dann Vertrauen stärken? Ich denke, hier ist es wichtig, weitere Forschung zu betreiben. Ein anderer Aspekt ist aber auch: Wenn Apotheken Homöopathie verkaufen und Krankenkassen das fördern – welchen Einfluss hat das dann auf Verschwörungsmythen in der Medizin? Vermutlich muss man davon ausgehen, dass die Förderung von homöopathischen Mitteln die Anhänger bestärkt, während Kritiker das Vertrauen in Krankenkassen verlieren können.

Es gibt auch Schulmediziner, die mit Homöopathie arbeiten – wie erklären Sie sich dieses Phänomen, das sich in Ihren Augen als Widerspruch darstellen muss?

Lamberty: Hierzu kann ich nur eine persönliche Vermutung äußern, keine gesicherten Erkenntnisse. Ich denke, alle Menschen unterliegen irgendwo kognitiven Verzerrungen. Wir glauben gerne, was im Einklang mit unseren Einstellungen ist. Das tun wir alle. Und natürlich gibt es ja zum Beispiel auch einige Studien, die einen Effekt von Homöopathie über den Placeboeffekt hinaus finden. Das ist normal, bei jeder empirischen Wissenschaft gibt es eine gewisse Anzahl an Studien, die Effekte finden – selbst wenn ein Medikament nicht wirkt. Das hat etwas mit statistischer Wahrscheinlichkeit zu tun. Deswegen sind Metaanalysen so wichtig, da diese das „große Ganze“ sehen. Wie auch immer: Ich kann mir vorstellen, dass Ärzte, wenn sie an Homöopathie glauben, sich insbesondere auf die Studien beziehen, die zu ihrer eigenen Meinung passen und andere Ergebnisse außer Acht lassen. Und an diesem Punkt ist es wichtig zu betonen: Umgekehrt wird kein Schuh daraus: Nicht jeder, der Alternativmedizin gut findet, neigt deswegen auch zu Verschwörungstheorien.

Wenn es sich bei der Verschwörungsmentalität um ein stabiles Persönlichkeitsmerkmal handelt, wie Sie sagen, heißt das, das Merkmal ist in der Bevölkerung immer gleich ausgeprägt? Was ist mit den äußeren Einflüsse?

Lamberty: Als ein Persönlichkeitsmerkmal bezeichnen Psychologen eine Eigenschaft, in der sich Menschen voneinander unterscheiden und die zeitlich relativ stabil ist. Wie sozial oder wie konservativ ein Mensch ist, sind andere Beispiele für Persönlichkeitsmerkmale. Eine solche Eigenschaft kann sich graduell ändern, meistens ist sie aber über einen langen Zeitraum vergleichsweise stabil. Bei der Verschwörungsmentalität zeigen Studien, dass sich die Werte nach einem Jahr kaum verändert haben. Dennoch gibt es natürlich Faktoren, die sich auf den Glauben an Verschwörungstheorien auswirken können. Das subjektive Gefühl von Machtlosigkeit und auch Arbeitslosigkeit sind beispielweise Faktoren, die mit dem Glauben an Verschwörungstheorien korrelieren. Insgesamt gibt es aktuell außer in den ‚Mitte-Studien'2 noch relativ wenig Forschung, die die Entwicklung vom Glauben an Verschwörungstheorien über die Jahre betrachtet.

Was mit Macht in Verbindung gebracht wird wie die Pharmaindustrie, wird von Verschwörungstheoretikern skeptisch beurteilt, sagen Sie. Wo sehen Sie die Grenze zwischen einer kritischen Haltung gegenüber Institutionen bzw. Unternehmen einerseits und Verschwörungsmentalität andererseits? 

Lamberty: Insgesamt sagt der Begriff Verschwörungstheorie nur wenig über den Wahrheitsgehalt der Annahme aus. Manche dieser Theorien sind dabei plausibler als andere, manche an Plausibilität kaum zu unterbieten, wie etwa die Idee der ‚Flachen Erde‘. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass Verschwörungstheoretiker nicht auch Recht behalten können. Die Überwachung durch Geheimdienste galt lange Zeit als Verschwörungstheorie. Sie hat sich jedoch letztendlich bewahrheitet – zumindest in Teilen. Eine Grenze zwischen „kritischer Haltung“ und Verschwörungsdenken ist also nicht leicht zu ziehen. Der Unterschied dürfte im Kern darin liegen, dass eine Verschwörungstheorie als Erklärung von gesellschaftlichen Ereignissen dient, wobei davon ausgegangen wird, dass böse Mächte im Verborgenen Schlechtes tun. Ein kritischer Geist dagegen prüft und beurteilt die Fakten – im besten Fall in alle Richtungen.

Warum ist dieser Zusammenhang zwischen Verschwörungsmentalität und der Bewertung medizinischer Verfahren in Deutschland stärker ausgeprägt als etwa in den USA? 

Lamberty: Die Unterschiede zwischen den Ländern waren nicht unser eigentlich Forschungsgegenstand. Wir gehen aber davon aus, dass diese Differenzen in den Unterschieden der Gesundheitssysteme begründet liegt. In den USA haben viele Menschen keine flächendeckende Krankenversicherung. Aus diesem Grund ist es für viele erst einmal rational, alternative, und damit eben günstigere Verfahren auszuprobieren. Daten, die diese Annahme stützen, sagen, dass in den USA vermehrt Menschen mit niedrigerem Einkommen alternative Heilmethoden nutzen – im Gegensatz zu Deutschland. Die Nutzung ist also weniger ideologisch, denn monetär begründet. In Deutschland dagegen müssen Menschen diese Mittel meistens aus eigener Tasche zahlen. Hier ist es das eigene Weltbild – im Sinne der Verschwörungsmentalität –, was die Menschen antreibt, alternative oder komplementäre Ansätze zu nutzen.

„Machtvolle“ Medikamente werden von misstrauischen Typen eher abgelehnt

Fast 26 % der Europäer haben in den letzten zwölf Monaten mindestens einmal Komplementär- oder Alternativmedizin in Anspruch genommen. Und immer mehr gesetzliche Krankenkassen in Deutschland erstatten alternative Methoden wie etwa homöopathische Behandlungen. Das Forschungsteam um Pia Lamberty vom Psychologischen Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz wollte herausfinden, warum Menschen alternative Behandlungen nutzen. Unzufriedenheit mit dem Gesundheitssystem oder Misstrauen gegenüber der Wissenschaft schienen nicht ausreichend als Erklärung. „Da Verschwörungstheorien über medizinische Themen so weit verbreitet sind, haben wir uns auf einen mehr ideologischen Grund konzentriert: die Verschwörungsmentalität“, erklärt Lamberty. In zwei Studien in Deutschland und den USA (392 und 204 Studienteilnehmer)2 wurden Menschen zu ihrer Verschwörungsmentalität einerseits und ihren Einstellungen zu insgesamt 37 verschiedenen Verfahren von Impfen über Homöopathie bis zu Reiki andererseits befragt. Zusätzlich wurde in zwei Experimenten der Zusammenhang zwischen Verschwörungsmentalität und der Bewertung von medizinischen Verfahren untersucht. Dabei fiel die Bewertung der fiktiven Medikamente bei Menschen mit ausgeprägter Verschwörungsmentalität negativer aus, wenn die Medikamente als besonders „machtvoll“ und „analytisch“ dargestellt worden waren.

1 Powerful Pharma and its Marginalized Alternatives? Effect of Individual Differences in Conspiracy Mentality on Attitudes towards Medical Approaches. www.researchgate.net/publication/324210382

2 Daten zur Verteilung der Verschwörungsmentalität in Deutschland: Die enthemmte Mitte - Autoritäre und rechtsextreme Einstellung in Deutschland, Psychosozial-Verlag, 2016

Pia Lamberty, Psychologin vom Psychologischen Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, erforscht psychologische Prozesse hinter Verschwörungsdenken. Sie promoviert zum Einfluss von Verschwörungstheorien auf Radikalisierungsprozesse. Aktuell befindet sie sich für einen längeren Forschungsaufenthalt in Israel an der Ben-Gurion-Universität in Beer Sheva. Pia Lamberty, Psychologin vom Psychologischen Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, erforscht psychologische Prozesse hinter Verschwörungsdenken. Sie promoviert zum Einfluss von Verschwörungstheorien auf Radikalisierungsprozesse. Aktuell befindet sie sich für einen längeren Forschungsaufenthalt in Israel an der Ben-Gurion-Universität in Beer Sheva. © privat
Anzeige