Anzeige

Arzneiverordnungs-Report kritisiert Hochpreispolitik der Pharma-Industrie

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Vor allem Patentarzneimittel sind teuer. Vor allem Patentarzneimittel sind teuer. © iStock/esemelwe
Anzeige

Die Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenkassen steigen jedes Jahr, allerdings nicht exorbitant. Es gibt jedoch hoch-preisige Kostentreiber, vor allem unter den Patentarzneimitteln – und Einsparpotenziale, die längst nicht ausgeschöpft sind.

Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für Arzneimittel – inklusive der Zuzahlungen der Versicherten – betrugen im vergangenen Jahr 41,2 Mrd. Euro. Das waren 1,2 Mrd. Euro (+ 3,2 %)mehr als im Vorjahr. Verglichen mit dem Ausgabenanstieg der GKV von insgesamt 3,9 % zum Vorjahr scheint der Anstieg moderat, sagt Jürgen Klauber, Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WidO) und Herausgeber des Arzneiverordnungs-Reports (AVR) 2019. Dies dürfe „nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit der Preispolitik der pharmazeutischen Industrie für patentgeschützte Arzneimittel eine Zeitbombe tickt, die schnell beitragssatzrelevant werden kann“.

Ein Blick auf den Apothekenumsatz zulasten der GKV zeigt die Brisanz: Mit 19,8 Mrd. Euro machen die patentgeschützten Medikamente fast die Hälfte des Umsatzes aus. Die Versorgung bezieht sich aber lediglich auf 6,4 % der Arzneimittelpackungen. Der Umsatz je Verordnung stieg 2008 bis 2018 von 163 Euro auf 471 Euro. Bei nicht-patentierten Präparaten ist der Umsatz pro Verordnung lediglich von 29 auf 37 Euro geklettert. „Hier greifen die zentralen Steuerungsinstrumente der Festbeträge und Rabattverträge“, erklärt Klauber.

Noch deutlicher wird das Problem an den Preisen der teuersten Marktneueinführungen der letzten drei Jahre. 2008 bewegten sich diese zwischen 3000 und 23 000 Euro. 2018 waren es 10 000 bis 320 000 Euro. Die Jahrestherapiekosten können mittlerweile sogar siebenstellige Beträge erreichen.

Kommission: Orphan Drugs oft mit geringer Evidenz am Start

Ein Blick auf die Jahrestherapiekos­ten der 30 nutzenbewerteten Arzneimittel des Jahres 2018 machen Extremfälle deutlich. So kostet ein Orphan-Arzneimittel zur Behandlung einer lysosomalen Speicherkrankheit jährlich 1,1 Mio. Euro in der Therapie. Bei zwei bis sieben Patienten zahlt die GKV zwar „nur“ 4,8 Mio Euro. Professor Dr. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), kritisiert jedoch, dass die Zulassung von Orphan Drugs nicht selten auf unzureichender oder eher geringer Evidenz zu Nutzen und Risiken basiere. Bei mehr als der Hälfte der vom G-BA bewerteten Präparate sei der Zusatznutzen nicht quantifizierbar.

Erenumab: „Ein krasser Fall“

Mit 12 000 Euro Jahrestherapiekosten könnte der Antikörper Erenumab, ein Biologikum zur Prophylaxe der Migräne, für die GKV zur Herausforderung werden, meint Prof. Schwabe. Er spricht von einem „krassen Fall“. Würde das Präparat bei 2,4 Mio. Migräne-Patienten eingesetzt, würde das die GKV „unvorstellbare“ 30,3 Mrd. Euro kosten. Dabei sei der Zusatznutzen – im Vergleich zu Placebo – nur für 14 500 Patienten belegt, die auf keines der verfügbaren Migräneprophylaktika ansprächen. Eine Einschränkung auf diese Gruppe habe der G-BA jedoch nicht vorgenommen, so Prof. Schwabe. „Wir dürfen daher gespannt sein, wie dieses Problem von der GKV gelöst wird.“

Einsparpotenzial auch bei „uralten“ Medikamenten

Führend bei umsatzstärksten Indikationsgruppen sind Onkologika, Immunsuppressiva, Antidiabetika und Antithrombotika. Patentarzneimittel würden inzwischen 20 Mal mehr kosten als Generika, sagt AVR-Herausgeber Professor Dr. ­Ulrich Schwabe. Er hob drei wichtige Steuerungsinstrumente für Einsparungen hervor: Festbeträge, die vor allem Generika betreffen (2018: 8,2 Mrd. Euro), Rabattverträge (4,5 Mrd. Euro) zu Generika und Biosimilars sowie die im Rahmen des AMNOG verhandelten Erstattungsbeträge (2,65 Mrd. Euro). Deutlich macht der Report auch, dass weitere Maßnahmen erforderlich sind. 500 Mio. Euro lassen sich laut Prof. Schwabe bei „uralten umstrittenen Arzneimitteln, die niemals richtig bewertet wurden, darunter Expektorantien, Antacida und Homöopathika“, einsparen.

Pressekonferenz AkdÄ und WidO

Anzeige