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Barmer-Analyse zeigt Fehler in der Arzneimitteltherapie

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Mehr als zehn chronische Erkrankungen, drei parallel behandelnde Ärzte und über fünf verschiedene verschriebene Arzneimittel – und das nur bei einem Patienten. Wer behält da noch den Überblick? Mehr als zehn chronische Erkrankungen, drei parallel behandelnde Ärzte und über fünf verschiedene verschriebene Arzneimittel – und das nur bei einem Patienten. Wer behält da noch den Überblick? © fotolia/Ingo Bartussek
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Die Autoren des Barmer-Arzneimittelreports machen vermeidbare Risiken in der Arzneimitteltherapie deutlich. Patienten müssten besser geschützt werden, sagt Barmer-Vorstandschef Professor Dr. Christoph Straub.

Die Analyse und Hochrechnung der Barmer-Daten aus 2016 ergab, dass jeder siebte Versicherte im Alter ab 80 Jahren unter zehn oder mehr chronischen Erkrankungen leidet, was regelhaft zur Behandlung mit fünf oder mehr Arzneimitteln führt, verordnet durch drei oder mehr Ärzte.

Vollständige Medikationspläne könnten Ärzten helfen

Die Häufung führt zu Risiken für die Patienten, denn je mehr Medikamente ein Patient einnimmt, umso wahrscheinlicher werden Probleme durch Wechselwirkungen, verdeut­licht der Report. Ärzte seien gefordert, solche Risiken auszuschließen, aber auch Patienten und Angehörige, Pflegekräfte und Apotheker müssten mit Informationen helfen, damit Ärzte den Überblick über die Arzneimitteltherapie ihrer Patienten behielten, erklärte dazu der Barmer-Vorstandschef und Arzt Prof. Straub mit Verweis auf unvollständige Medikationspläne und die oft nicht berücksichtigte Selbstmedikation.

Zudem beachten Mediziner offenbar auch Kontraindikationen nicht immer. Prof. Straub nannte hierzu konkrete Beispiele: So hatte 2016 jeder vierte Versicherte der Krankenkasse im Alter von mindestens 65 Jahren ein Arzneimittel von der sog. Priscus-Liste erhalten, also eine für ältere Menschen potenziell inadäquate Medikation (siehe www.priscus.net). Als im Einzelfall „unnötig gefährlich“ bezeichnete der Kassenchef zudem die Behandlung mit dem oft gegen Harnwegsinfektionen verordneten Antibiotikum Trimethoprim, denn jeder dritte Patient nahm gleichzeitig andere Arzneimittel ein, wodurch sich für ihn das Risiko einer Notfallbehandlung vervielfachte.

Varianten der Therapie sind kaum zu überblicken

Drittes Beispiel: Methotrexat. Dieser Arzneistoff wurde bei mehr als 1400 Barmer-Versicherten genutzt, obwohl er wegen stark eingeschränkter Nierenfunktion gar nicht hätte eingesetzt werden dürfen. „Das darf nicht passieren! Jede Patientin, jeder Patient hat einen Anspruch auf eine Behandlung, die frei von Fehlern ist“, betonte Prof. Straub.

Koautor des Reports Professor Dr. Daniel Grandt, Chefarzt am Klinikum Saarbrücken und Mitglied im Vorstand der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, nahm die Kollegen in Schutz: „Die Komplexität der Erkrankungskonstellationen, der Arzneitherapie und der Behandlungsprozesse macht verständlich, warum Patienten durch vermeidbare Risiken der Arzneitherapie gefährdet sind.“ Als Teil des Problems bezeichnete er die Unübersichtlichkeit möglicher Varianten bei der Arzneimitteltherapie. 2016 mussten Ärzte bei Verordnungen für Barmer-Versicherte insgesamt 454 012 verschiedene Kombinationen bei 1860 verschiedenen Wirkstoffen berücksichtigen – und das bei gleichzeitiger Beachtung von Verordnungen anderer Ärzte. Diese Risiken ohne Hilfsmittel immer korrekt einzuschätzen sei „schlichtweg nicht realistisch“, so Prof. Grandt.

Er kritisierte, dass Sicherheitsmechanismen in der Arzneitherapie – anders als etwa bei Pkw – nicht dem medizinischen Fortschritt entsprechend weiterentwickelt wurden. Er sprach sich deshalb für die Einführung einer adäquaten elektronischen Unterstützung für die Ärzte aus. Eine solche erprobt die Barmer derzeit mit der KV Westfalen-Lippe im Projekt „AdAM“.

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