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Corona-Immunitätspass: Bei neuer Sachlage gäbe es im Ethikrat auch Befürworter

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Professor Dr. Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, mit der Stellungnahme zum Corona-Immunitätspass. Professor Dr. Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, mit der Stellungnahme zum Corona-Immunitätspass. © Deutscher Ethikrat/Reiner Zensen
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Der Corona-Immunitätspass war im Zweiten Bevölkerungsschutzgesetz vorgesehen, dann knickte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn angesichts heftiger Kritik ein und bat den Ethikrat um Stellungnahme. Der sagt nun: Hypothetisch ist ein Immunitätsausweis irgendwann denkbar, vorerst besteht aber kein Bedarf.

Der Deutsche Ethikrat lehnt in seiner Stellungnahme „Immun­itätsbescheinigungen in der COVID-19-Pandemie“ den Einsatz von Immunitätsbescheinigungen zurzeit einstimmig ab. Die Mitglieder empfehlen stattdessen, „auf andere Maßnahmen eines effektiven Infektionsschutzes“ zu setzen.

Die Bevölkerung sei über einen gemeinwohlorientierten Infektionsschutz aufzuklären und über die Aussagekraft von Antikörpertests. Frei verkäufliche Tests zum Nachweis einer Immunität gegen SARS-CoV-2 sollten hinsichtlich der Verlässlichkeit strenger reguliert werden. Logischerweise wird auch eine koordinierte Erforschung der infektiologischen und immunologischen Eigenschaften des neuartigen Coronavirus empfohlen.

Die politischen Reaktionen auf die Stellungnahme des Ethikrates sind ziemlich einhellig. SPD, Grüne und auch die Stiftung Patientenschutz äußern sich zufrieden zur Absage. Die Debatte um den Immunitätsausweis sei im Moment eine Phantomdebatte, bemerkt die Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Bärbel Bas. Aus der Union kommt ebenfalls Zustimmung. „Auch aus meiner Sicht verbietet sich eine Immunitätsbescheinigung, solange eine Immunität gegen ­COVID-19 noch nicht sicher nachgewiesen werden kann“, erklärt die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Karin Maag.

Der Auftrag zur Stellungnahme in Sachen Immunitätsausweis war kurz nach seiner ersten Sitzung des neu gebildeten Ethik­rates eingegangen. Man sei in den Disput tief eingestiegen, berichtet die Medizinethikerin Professor Dr. Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates. Es gehe hier nicht nur um eine wissenschaftliche Aufgabe, sondern auch um eine gesellschaftliche. Nie zuvor habe es auf den sozialen Plattformen des Ethikrates, u.a. bei Twitter und Facebook, so viel Resonanz und Interesse an einem Thema gegeben.

Wackelige Evidenzlage

Das Expertengremium lehnt einen Immunitätspass derzeit ab, weil noch unklar sei, wie sich die Immunität nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 entwickelt. Was ist aber, wenn sich der Sachstand ändert? Hierzu gibt es im 26-köpfigen Ethikrat zwei konträre Positionen, vertreten von jeweils zwölf Mitgliedern. Ausgehend von den beiden Positionen könne die Politik jedoch schon Maßnahmen entwickeln, dann „habe man einen Fahrplan“, sagt Prof. Buyx.

  • Gruppe A meint, dass bei günstiger Entwicklung der naturwissenschaftlich-medizinischen Voraussetzungen mindestens eine stufenweise, anlassbezogene wie bereichsspezifische Immunitätsbescheinigung verantwortbar wäre.
  • Gruppe B lehnt staatlich kontrollierte Immunitätsbescheinigungen aus praktischen, ethischen und rechtlichen Gründen ab.

Laut Philosoph Professor Carl Friedrich Gethmann, könnte die Freigabe von Immunitätspässen an die Wahrung von Interessen besonders vulnerabler Personengruppen geknüpft werden, wie Menschen in Altenheimen oder Mitarbeiter in Heil- und Pflegeberufen, bei Polizei und Feuerwehr. Angesichts einer „wackeligen“ Evidenzlage seien diese Berechtigungen aber zu begrenzen.

Grundsätzlich garantierte und unter Pandemiebedingungen verwehrte Freiheiten seien den Menschen so schnell und so weit wie möglich zurückzugeben. Risiken wie bei anderen Infektionskrankheiten seien hinzunehmen: „Null Risiko ist ein Phantasma, das es in keinem Lebensbereich gibt“, so Prof. Gethmann. Gegen Missbrauch, z.B. bei der Ausweisbeschaffung, solle der Gesetzgeber per Straf- oder Ordnungswidrigkeitenrecht tätig werden.

Die Philosophin Professor Dr. ­Judith Simon begründet die Ablehnung des Immunitätspasses seitens Gruppe B mit der Skepsis, dass eine Infektion zu einer hinreichend langen und ausreichenden Immunität führt, auch bei asymptomatisch Erkrankten. Position B sei deutlich zurückhaltender bezüglich einer Gesundheitsgefährdung für die Allgemeinheit als Position A.

Doch selbst bei gesicherten Erkenntnissen und genügend aussagefähigen Tests werden die Pässe von Gruppe B abgelehnt. Bei einer Koppelung von Rechten und Pflichten an den Status der Immunität sei von einer ungerechten Verteilung der Chancen und Risiken auszugehen, so Prof. Simon. Beispielsweise könnte einerseits Personen ohne Immunitätsbescheinigung der Besuch einer Ausbildungsstätte verwehrt werden. Andererseits könnten Personen mit Nachweis für bestimmte Tätigkeiten in die Pflicht genommen werden (z.B. im Bereich Medizin, Pflege, Reinigung, Verkauf).

Prof. Buyx hofft, dass eine Impfung den Immunitätspass überflüssig macht. „Hätten wir einen Impfstoff, wären all unsere Überlegungen für die Ablage“, bestätigt Prof. Gethmann.

Medical-Tribune-Bericht

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