Anzeige

COVID-19: KBV und Ärzteverbände fordern neue Strategie der Eindämmung

Gesundheitspolitik Autor: Isabel Aulehla

Das Positionspapier wies auf die schweren Folgen eines Lockdowns hin. Das Positionspapier wies auf die schweren Folgen eines Lockdowns hin. © iStock/brightstars
Anzeige

Viele Vertreter der Ärzteschaft sprachen sich in einem Positionspapier gegen einen Lockdown aus. Sie forderten eine einheitliche Corona-Ampel, den konsequenten Schutz von Risikopersonen und mehr Eigenverantwortung. In sozialen Medien kritisierten andere Ärzte dieses Manöver.

Ein Tag, drei Virologen, zwei grundverschiedene Ansätze: Am Mittwoch beschloss die Politik bekanntlich einen neuen Lockdown, auch Virologe Professor Dr. Christian Drosten hatte sich zuvor dafür ausgesprochen. Am selben Tag veröffentlichte die KBV ein Positionspapier, in dem sie quasi das Gegenteil forderte, unterstützt von den Virologen Professor Dr. Hendrik Streeck und Professor Dr. Jonas Schmidt-Chanasit. Auch zahlreiche Ärzteverbände haben unterzeichnet, darunter der Deutsche Hausärzteverband, der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands, der NAV-Virchow-Bund sowie die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin.

Einige der Akteure betonen mittlerweile, dass sie den Lockdown natürlich trotzdem unterstützen. Der NAV-Virchowbund unterstreicht: „Das Positionspapier ist keine Unterstützung für Vertreter eines ,Laufenlassens zur Erreichung einer Herdenimmunität‘. Es eignet sich auch nicht dafür, einen plumpen Gegensatz zwischen Regierung und Ärzteschaft zu konstruieren“.

Autoren fordern Strategiewechsel

In dem Papier hieß es, der Rückgang der Fallzahlen sei politisch zwar eine dringende Aufgabe, aber nicht um jeden Preis. Es wies auf die schweren Folgen eines Lockdowns hin: Brüche in Bildungs- und Berufsausbildungsgängen, die Schädigung von Wirtschaft und kulturellen Einrichtungen, eine zunehmende soziale Schieflage. Die Autoren forderten daher einen Strategiewechsel: Statt auf Verbote müsse man auf mehr Eigenverantwortung setzen, mit Verordnungen, die als widersprüchlich empfunden oder von Gerichten entkräftet würden, erzeuge man nur Akzeptanz- und Glaubwürdigkeitsprobleme.

Die KBV, Prof. Streeck und Prof. Schmidt-Chanasit schlugen vor, das Infektionsgeschehen auf Kreis- und Bundesebene künftig mittels einer einheitlichen Ampel abzubilden. Berücksichtigt werden sollten dabei relevante Kennzahlen wie Infektionszahlen, die Anzahl der durchgeführten Tests sowie die stationären und intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten. Zudem befürworteten sie die derzeit geltende „AHA+A+L“-Regel (Abstand/Hygiene/Alltagsmaske + App + regelmäßiges Lüften). Die Kontaktnachverfolgung würde ihrer Meinung nach besser funktionieren, wenn sie nicht von den Gesundheitsämtern, übernommen würde, sondern eigenverantwortlich erfolgte. Dies erlaube den Ämtern, ihre Ressourcen auf Risikopersonen zu fokussieren, argumentieren die Autoren. Die Kontaktnachverfolgung solle zudem priorisiert werden, etwa nach dem Bezug zu medizinisch/pflegerischen Einrichtungen, der Teilnahme der Kontaktperson an potenziellen Super-Spreader-Events und der Nutzung der Corona-Warn-App.

Es reicht nicht, auf einen Impfstoff zu vertrauen

Im weiteren Verlauf der Pandemie müsste laut des Papiers darüber nachgedacht werden, wie sich die Isolation ganzer Bevölkerungsgruppen vermeiden lasse: „Aus unserer Sicht wurde es über die Sommermonate leider versäumt, analog zu den Konzepten der Arztpraxen maßgeschneiderte und allgemeingültige Präventionskonzepte für vulnerable Gruppen zu entwickeln.“ Für deren Schutz schlugen sie folgende Maßnahmen vor:

  • Besucher in Seniorenheimen, Pflegeheimen und Krankenhäusern erhalten in einem „Schleusen“-Modell nur nach negativem Antigen-Schnelltest Zutritt.
  • Das ärztliche und pflegerische Personal sowie das Reinigungspersonal werden regelmäßig getestet.
  • Das ärztliche und pflegerische Personal sowie das Reinigungspersonal und auch die Besucher tragen beim Kontakt mit den Patienten/Bewohnern FFP2-Masken.
  • Der Aufbau und die Unterstützung von Nachbarschaftshilfen für Personen, die der Risikogruppe angehören, aber zu Hause leben, wird durch Städte, Kreise und Kommunen etabliert. Personen, die sich selbst isolieren, sollen dabei unterstützt werden. Gleichzeitig muss ihre medizinische Versorgung gewährleistet werden.

Die Unterzeichnenden halten es grundsätzlich für sinnvoller, wenn Menschen sich mit guten Hygienekonzepten in öffentlichen Räumen treffen statt zu Hause. Einige Veranstaltungen sollten daher wissenschaftlich und gesundheitlich begleitet stattfinden, um die Konzepte zu evaluieren. Sie erinnerten zudem daran, dass es nicht reiche, auf einen Impfstoff zu vertrauen. Er könne nur ein Mittel von vielen sein, zudem es in der Vergangenheit erst einmal gelungen sei, ein Virus auszurotten, und zwar nach einer jahrzehntelangen Impfkampagne.

Nicht alle Ärzte stimmen Positionspapier zu

Anders als die Verbände der Ärzteschaft sprachen sich wichtige deutsche Forschungsorganisationen zu Beginn der Woche für drastische Kontaktbeschränkungen aus. Und auch bei den Niedergelassenen stieß das Manöver der KBV offensichtlich teilweise auf Kritik. Auf Twitter und Facebook äußerten sich Ärzte deutlich dazu, dass sie sich von dem Papier nicht repräsentiert fühlen.

Medical-Tribune-Bericht

Anzeige