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Reformversprechen „Ein Versuch, die Ärzteschaft zu spalten“

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

Muss der Patient wirklich in die Praxis kommen? Mehr telefonische Hilfe soll für weniger volle Wartezimmer sorgen. Muss der Patient wirklich in die Praxis kommen? Mehr telefonische Hilfe soll für weniger volle Wartezimmer sorgen. © WavebreakMediaMicro – stock.adobe.com
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Prof. Dr. Karl Lauterbach hat sich wieder einmal als Freund und Unterstützer der Hausärzte gezeigt. Während diese sich auf Entbudgetierung und Strukturpauschalen im Rahmen des „Versorgungsstärkungsgesetz I“ freuen dürfen, bleiben die enttäuschten Fachärzte in Proteststimmung. 

Es wirkte lange harmonisch, was der TV-Sender Phoenix von der Pressekonferenz nach dem Krisengespräch im Bundesgesundheitsministerium übertrug: Der Gesundheitsminister eingerahmt von den Vorsitzenden des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes (HÄV), Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth und Dr. Markus Beier, sowie Dr. Klaus Reinhardt (BÄK). Sie dankten dem Minister für seine entgegenkommende Haltung bezüglich der künftigen EBM-Honorierung bzw. der „ergebnis­offenen Prüfung“ einer neuen GOÄ und wünschten sich weitere Treffen dieser Art. Am Rand stand die weniger zufriedene Dr. Sibylle Steiner vom KBV-Vorstand. Und gar nicht dabei waren die Sitzungsteilnehmer des GKV-Spitzenverbandes sowie SpiFa-Chef Dr. Dirk Heinrich. 

Es mangelte noch nie an Unterstützungsversprechen von Prof. Lauterbach für die Hausärzte. Tatsächlich hat er auch mit seinem politischen Einsatz für die HzV und DMP viel für die Stärkung der hausärztlichen Versorgung getan. Nun soll noch die „große Honorarreform“ kommen, die „die Art und Weise, wie in den Praxen gearbeitet wird, verändern wird“ – mit einer „verbessernden Auswirkung“.

Während der monatelangen Vorbereitungen des für Januar angekündigten Entwurfs des „Versorgungsstärkungsgesetzes I“ haben die Forderungen des HÄV Gehör im Ministerium gefunden. Eine Entbudgetierung der hausärztlichen Vergütung nach dem Vorbild der Kinder- und Jugendärzte soll noch dieses Jahr kommen – wie vom HÄV als „MGV plus“ verlangt: Reicht das Volumen nicht, müssen die Kassen nachschießen. Die Entbudgetierung dürfte vor allem für Hausärzte in Hamburg und Berlin spürbare Auswirkungen haben.

Die genaue Regelung bleibt abzuwarten. Denn der anzupassende § 87 SGB V ist laut Prof. Lauterbach einer der kompliziertesten im Sozialgesetzbuch. 

Abkehr von der Quartalslogik bei der Honorierung

Arbeitsentlastung in den Praxen erwartet der Minister von der Einführung einer Versorgungspauschale für die Betreuung von chronisch erkrankten Erwachsenen mit kontinuierlichem Arzneimittelbedarf. Diese soll jährlich einmal beim ersten Arzt-Patienten-Kontakt abrechenbar sein – und unabhängig von der Anzahl weiterer Kontakte. 

Damit ist das Vertrauen in die Haus­ärztin/den Hausarzt verbunden, selbst am besten beurteilen zu können, wann ein Praxisbesuch aus medizinischen Gründen notwendig ist und wann ein Telefonat aus­reicht, wenn es z.B. um ein Rezept oder eine AU-Bescheinigung geht. Prof. Lauterbach spricht hier von einer „Entökonomisierung“, weil dann Patienten nicht länger nur deswegen einbestellt werden, um die Quartals-Ziffern ansetzen zu können. Das ist ganz im Sinne des HÄV.

Für „echte Versorgerpraxen“, die bestimmte Kriterien erfüllen, z.B. Hausbesuche machen und eine Mindestanzahl an Versicherten behandeln, soll im Versorgungsstärkungsgesetz I eine Vorhaltepauschale vorgegeben werden. Und für eine qualifizierte Hitzeberatung wird eine einmal jährlich abrechenbare Vergütung für die Haus­ärzte vorgesehen, ähnlich wie es die AOK Baden-Württemberg bereits in der HzV tut (Zuschlag von 8 Euro auf die Chronikerpauschale). Eine Stärkung der HzV bundesweit erhofft sich der HÄV zudem von einem gesetzlich formulierten Einschreibeanreiz für die Versicherten.

Dass der Minister mit seiner Unterstützung der Hausarztpraxen politisch goldrichtig liegt, bestätigte ihm HÄV-Chefin Prof. Buhlinger-Göpfarth: Der Zugang zu einer niedrigschwelligen hausärztlichen Versorgung sei demokratiestabilisierend und für die Bürger mindes­tens genauso wichtig wie die Themen Innere Sicherheit und Bildung. Doch die Hausarztpraxen seien „am Anschlag“. Es fehlten bundesweit bereits 5.000 Kolleginnen und Kollegen. 40 % der Praktizierenden seien 60 Jahre und älter; sie gehen demnächst in Rente. „Der Versorgungsdruck wächst.“

Prof. Lauterbach will sich deshalb auch dafür einsetzen, dass die Zahl der Medizinstudierenden um 5.000 pro Jahr erhöht wird „weil wir sonst nicht die Manpower haben, um aus einer Mangelsituation in den Praxen herauszukommen!“

„Das Ganze ist noch zu wenig“, kommentierte KBV-Vorstandsmitglied Dr. Steiner die Ankündigungen noch auf dem Pressepodium. Zu vieles sei unverbindlich und offen geblieben. Auch müsse die Entbudgetierung bei den Fachärzten rasch folgen und die Entbürokratisierung entschlossen angegangen werden.

Dass Prof. Lauterbach ankündig­te, in der Wirtschaftlichkeitsprüfung eine Bagatellgrenze einführen zu wollen, die 80 % der derzeitigen Regressfälle vermeidet, reicht Dr. Steiner nicht. Sie wünscht sich einen weiteren Schritt in Richtung „Differenzkostenrechnung“ bei der Schadensermittlung.

Die KBV-Vorständin begrüßt zwar, dass es für Anbieter von Praxisverwaltungssystemen „verbindliche Vorgaben sowie Anreize“ geben soll, Funktionalitäten in ihren Programmen schneller und nutzerfreundlicher zu implementieren. Dennoch werde bei der Durchsetzung der Digitalisierung weiterhin an Sanktionen für die Ärzte festgehalten, moniert sie.

Enttäuschung wird vor allem vonseiten der Fachärzte laut. In seiner Funktion als Virchowbund-Vorsitzender kritisiert Dr. Dirk Heinrich, der Minister versuche, einseitig die hausärztliche Versorgung zu fördern und die Fachärzte zu ignorieren. Das sei „ein Versuch die Ärzteschaft zu spalten und das Gesundheitssystem komplett umzubauen“. Der Minister sehe „die Fachärzte auf mittlere Sicht in den Krankenhäusern statt in deren Praxen“, glaubt der Hamburger HNO-Arzt. Dabei bestehe die ambulante Versorgung im Miteinander aus haus- und fachärztlicher Grundversorgung, z.B. durch Gynäkologen, Internisten, Augen- oder HNO-Ärzte. 

Dem Gesundheitsminister seien drei Vorschläge gemacht worden, wie kurzfristig auf die Probleme reagiert werden könne:

1. Einrichtung eines unteren Budgetdeckels, der die Quotierung von Leistungen auf minimal 90 % begrenzt – als Einstieg in eine vollständige Entbudgetierung.

2. „Alle Leistungen, die auf eine Überweisung hin erfolgen, sollen vollständig von Budgets befreit werden.“

3. Alle Ärzte, die ihre Praxis in sozialen Brennpunkten betreiben, werden entbudgetiert.

Erneutes Bemühen um schnellere Facharzttermine

Prof. Lauterbach stellte allerdings nur in Aussicht, dass man nochmals die Koordination Hausarzt/Facharzt anpacken wolle, da es nach wie vor zu lange dauere, bis ein Patient einen Facharzttermin erhalte. „Das gilt auch für Patienten, die erstmalig bei einem Facharzt gesehen werden.“

Außerdem hält er den Fachärzten die Mohrrübe „Hybrid-DRG“ hin. Eine Rechtsverordnung dazu gibt es mittlerweile. Sogar eine GOÄ-Novellierung will Prof. Lauterbach jetzt prüfen lassen, obwohl ein „kleinerer Koalitionspartner“ der Ampel am Status quo von GKV und PKV nicht rütteln möchte, so der SPD-Politiker.

Doch das kann Dr. Heinrich nicht besänftigen. „Wir beobachten, dass die Wut an der Basis weiter steigt. Daher ist für uns klar, dass die Proteste 2024 weitergehen müssen.“ In einer Pressemitteilung des Virchowbundes heißt es: „Leistungen von Menschen zu erpressen, die nicht bezahlt werden, ist unethisch und der Offenbarungseid des Systems.“ Und: „Es muss weitere und längere Praxisschließungen geben – so lange bis die Politik reagiert.“ 

Die Finanzierung der geplanten Maßnahmen („dreistelliger Millionenbetrag“) sieht Prof. Lauterbach durch die Beitragseinnahmen der gesetzlichen Krankenkassen gedeckt. Die Mehrkosten wirkten „langfristig stabilisierend“: „Das sind Investitionen in ein effizienteres System!“

Die Vorständin des GKV-Spitzenverbandes Stefanie Stoff-Ahnis meint dagegen: „In Zeiten, in denen alle Menschen unter höheren Energiepreisen und der Inflation leiden, ist es nicht angemessen, dass die Honorare zulasten der Beitragszahlenden noch weiter steigen.“ Insgesamt sei die finanzielle Situation der Praxisbetreiber gut. „In diesem Jahr steigen die Honorare der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte bereits um rund zwei Milliarden Euro.“ Es dürfe sich keinesfalls wiederholen, dass Ärzteverbände ihren Protest auf dem Rücken der Patienten austragen.

Quelle: Medical-Tribune-Bericht

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