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Drang zur Selbstoptimierung Schönheits-OP und Leistungssteigerung: Ungesund oder völlig normal?

Gesundheitspolitik Autor: Isabel Aulehla

Bei Schönheitseingriffen sollte die Psyche der Kund:innen berücksichtigt werden. Bei Schönheitseingriffen sollte die Psyche der Kund:innen berücksichtigt werden. © Dreadlock – stock.adobe.com
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Brustvergrößerung, Faltenkorrektur, Hirn­doping: Immer mehr Patient:innen möchten ihren Körper oder ihre Psyche medizinisch optimieren. Wo kommt der Trend her? Und wie sollten Ärzt:innen damit umgehen?

Eine junge Erwachsene wünscht eine Lippenunterspritzung. Ist es verwerflich, wenn ein Arzt das umsetzt? Schließlich verdient man Geld mit einem Wunsch, der vielleicht aus Konformitätsdruck oder Unsicherheit resultiert. Andererseits können Patienten selbstbestimmt entscheiden, was sie möchten. 

Fragen wie diese plagen offenbar viele Mediziner bei Behandlungen, die der „Selbstoptimierung“ dienen. Bei einem Symposion der Ärztekammer Nordrhein wurde das Thema vor über 500 Zuschauern diskutiert.  

Patienten werden zu Kunden

Es wundert wenig, dass manche Mediziner zunächst mit Schönheitseingriffen fremdeln, schließlich weichen sie von der ärztlichen Kernaufgabe ab. Es gehe nicht mehr um die Behandlung von Erkrankten, sondern um die Wunscherfüllung bei Gesunden, betont Prof. Dr. Dr. Dr. ­Dominik Groß, Leiter des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der RWTH Aachen. Der Begriff „Patient“ sei nicht angebracht, da er sich aus dem Lateinischen von „leidend“ ableite. Vielmehr müsse man von „Kunden“ sprechen. Auch der Begriff „Therapie“ sei irreführend. Da es den Betreffenden um eine subjektiv empfundene Verbesserung ihrer Erscheinung gehe, handele es sich um „Enhancement“.  

Eine Optimierung kann auch für die Psyche gewünscht werden, erklärte der Experte. Die Betreffenden nehmen Medikamente oder Drogen, von denen sie sich eine höhere kognitive Leistungsfähigkeit erhoffen. Teils möchten sie auch Persönlichkeitsmerkmale wie Schüchternheit überwinden.  

Prof. Groß sieht medizinische Eingriffe zur Selbstoptimierung als Zeichen einer zunehmenden „Medikalisierung“ der Gesellschaft: Immer mehr physiologische Prozesse würden medizinisch gedeutet oder als behandlungsbedürftig betrachtet – und somit dem ärztlichen Bereich zugeordnet. Dies ist allerdings nicht moralisch zu bewerten. Früher habe man ein unruhiges Kind als „Zappelphilipp“ bezeichnet, einen vergesslichen Senioren als „verkalkt“. Heute prüfe man auf ADHS oder Demenz.

Ökonomisierung als Ursache 

Mit der Frage, wo der Wunsch nach Selbstoptimierung herkommt, befasste sich auch die Soziologin Dr. Anja Röcke. Das Phänomen sei gesellschaftlich nicht neu – nur in dieser Breite habe es das zuvor nicht gegeben. Die Sehnsucht der Verbesserung durchdringe alle sozialen Bereiche, ob nun Beziehung, Beruf oder Sport. 

Man verstehe immer detailreicher, wie Körper und Psyche funktionieren. Wer sich optimieren möchte, könne das erforderliche Wissen daher problemlos abrufen – egal, ob es nun um Mikronährstoffe oder die Taktung eines Trainingsplans gehe. Die technische Möglichkeit zur täglichen Selbstvermessung sei durch Fitnessapps und Wearables vorhanden. Der Ansporn zu deren Nutzung entstehe auch medial, meint Dr. ­Röcke. Etwa durch Influencer wie Pamela Reif, die Millionen Followern Tipps für den vermeintlich perfekten Körper geben. 

Eine wichtige strukturelle Ursache der Entwicklung sieht sie in der „Ökonomisierung der Gesellschaft“, die seit den 80er-Jahren stattfinde, ursprünglich ausgehend von Großbritannien und den USA. Der Begriff bezeichnet die Ausweitung einer wirtschaftlichen Logik auf Bereiche des Lebens, die vorher frei davon waren. Beispielweise werde auch im Bildungs- oder Gesundheitssys­tem nach Maßstäben der Effizienz gearbeitet. Durch den Abbau sozialer Sicherungssysteme und die Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen erhöhe sich zudem der Leistungsdruck auf den Einzelnen, seine Position werde unsicherer. Diese Unsicherheit führe dann zu dem Wunsch, sich zu optimieren.

Trends der ästhetischen ­Medizin

2022 war die am häufigsten durchgeführte minimalinvasive ästhetisch-plastische Behandlung die Faltenunterspritzung. Sie machte 15 % der Eingriffe aus. Dies geht aus einer Statistik der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie hervor. Auf den Plätzen zwei und drei folgen Oberlidstraffung (12,9 %) und Fettabsaugung (12,6 %). Auch Botoxbehandlungen und Brustvergrößerungen wurden oft durchgeführt (12,3 % und 11,4 %). In mehr als Dreiviertel der Fälle waren es Frauen, die sich behandeln ließen. Die Eingriffe erfolgten über fast alle Altersgruppen recht gleich verteilt, von 18 bis 60 Jahren. Das durchschnittliche Alter lag bei 43 Jahren. Jeder Zehnte gab an, dass Posts in den sozialen Medien seinen Wunsch nach einer ästhetisch-plastischen Behandlung verstärken. Bei 18- bis 30-Jährigen war dies sogar bei rund 20 % der Fall. 

Rechtliche Risiken

Da ein Markt für „selbstoptimierende“ medizinische Eingriffe vorhanden ist, halten manche Ärzte das Gebiet für finanziell interessant. Rechtlich ist allerdings einiges zu beachten. Derzeit kann sich jeder Arzt als „Schönheitschirurg“ oder „kosmetischer Chirurg“ bezeichnen und Eingriffe durchführen, ohne dass dafür eine Qualifikation besteht. Die Begriffe sind nicht geschützt. Allgemeinarzt Bernd ­Zimmer, Vizepräsident der Ärztekammer Nordrhein, warnt allerdings davor: „Immer an die Haftpflichtversicherung denken, die im Zweifel aufkommen muss.“

Wenn die Kunden mit dem Ergebnis der Behandlung nicht zufrieden seien, könne dies zu juristischen Streitigkeiten führen. Im Vorfeld sollten daher überzogene Erwartungen gedämpft werden. Außerdem müsse die psychische Situation der Kunden berücksichtigt werden: Warum stört sich die Person an einem bestimmten Merkmal? Und wird sie wirklich zufriedener, wenn der Eingriff erfolgt? Es gibt psychische Erkrankungen, die zu einer dauerhaften Unzufriedenheit mit dem eigenen Äußeren führen, etwa körperdysmorphe Störungen. Sie sind eine Kontraindikation für Schönheitseingriffe. Auch wenn sich jemand aus Unsicherheit operieren lassen möchte, sollten Ärzte besser davon abraten, erklärt Zimmer. 

Da es sich nicht um Indikationsmedizin, sondern um Wunschmedizin handle, müsse die Dokumentation noch umfassender erfolgen als üblich. Zudem sollten Klienten nicht direkt beim ersten Besuch behandelt werden, sondern erst nach einer Bedenkzeit. Dass ein Notfall vorgelegen hätte, könne man bei juristischen Schwierigkeiten nicht argumentieren, warnt Zimmer. 

Quelle: Update Ethik der Ärztekammer Nordrhein

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