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GOÄ: Wie die Zeitangaben für die Leichenschau zu verstehen sind

Abrechnung und ärztliche Vergütung , Privatrechnung Autor: Dr. Gerd W. Zimmermann

Die neue Abrechnung der Leichenschau ist eine Mischkalkulation auf Basis von Durchschnittszeiten. Die neue Abrechnung der Leichenschau ist eine Mischkalkulation auf Basis von Durchschnittszeiten. © MQ-Illustrations – stock.adobe.com
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Die Zeitvorgaben von 20 Minuten bei der Nr. 100 GOÄ, von 40 Minuten bei der Nr. 101 und von 10 Minuten bei der Nr. 102 beziehen sich ausschließlich auf die Untersuchung der Leiche? Diese Auffassung wird seit Inkrafttreten der neuen Leichenschau-Abrechnung im Januar in etlichen Publikationen verbreitet. Doch das ist nicht richtig!

Beim neuen GOÄ-Bewertungssystem führt der Zeitfaktor auf Grundlage eines fiktiven Arztlohns zum jeweiligen Honorar der Leistung. Es handelt sich dabei um Durchschnittszeiten. Dieses Bewertungsprinzip wird bei der gesamten – noch nicht beschlossenen – Reform der GOÄ verwendet: Die Schwierigkeit einer Leistungserbringung wird nicht mehr – wie bei der noch gültigen GOÄ – über Multiplikatoren abgebildet, sondern über einen Zeitfaktor und Zuschläge.

Zeitfaktor und Zuschläge ersetzen den Multiplikator

Beides ist bei der Leichenschau bereits realisiert: Es gibt den Zeitfaktor bei den Nrn. 100 und 101 und einen Zuschlag für den Mehraufwand bei einer unbekannten Leiche. Die neuen Leistungen können deshalb – wie dies auch bei der gesamten neuen GOÄ der Fall sein wird – nur mit dem Einfachsatz berechnet werden.

Sowohl die neue Nr. 100 für die vorläufige Leichenschau, als auch die Nr. 101 für die endgültige Leichenschau beinhaltet die Untersuchung eines Toten nebst Ausstellung einer (vorläufigen) Todesbescheinigung gemäß landesrechtlicher Bestimmungen und schließt Aktenstudium sowie das Einholen von Auskünften bei Angehörigen, vorbehandelnden Ärzten, Krankenhäusern und Pflegediensten ein. Bei der Nr. 100 wird eine Dauer von mindestens 20 Minuten unterstellt, bei der Nr. 101 von 40 Minuten. Das Aufsuchen der Leiche ist integriert.

Lektüre der Fußnote sorgt für Aufklärung

Beträgt die tatsächliche Zeitspanne bei der Nr. 100 nur 10 bis 20 Minuten, ist eine Reduktion des Honorars auf 60 % vorgesehen, dasselbe bei der Nr. 101 bei 20 und 40 Minuten. Eine Fußnote zu beiden Leistungen besagt, dass beim Bemessen der reduzierten Zeiten das Aufsuchen nicht berücksichtigt werden darf. Das bedeutet, dass die beiden Zeitspannen, die zu 60 % des Honorars führen, sich ausschließlich auf die Elemente „Untersuchung eines Toten, Ausstellung einer Todesbescheinigung sowie ggf. Aktenstudium und Einholung von Auskünften“ beziehen, nicht aber aufs Aufsuchen.

Damit ist klar, dass bei den vollständigen Taktungen von mindestens 20 bzw. 40 Minuten die Zeit fürs Aufsuchen der Leiche berücksichtigt wird. Es wäre ja auch kaum nachvollziehbar, wenn eine Leichenschau nach Nr. 101 lediglich mit 60 % berechnet werden könnte, weil sie selbst samt der in der Legende enthaltenen Zusatzleistungen nur 35 Minuten gedauert hat, die Anfahrt zur Leiche aber eine Stunde oder 30 Minuten.

Das Aufsuchen der Leiche ist unmissverständlich fakultativer Bestandteil der Leistung. Es muss nicht stattgefunden haben, etwa weil man schon bei der Leiche ist. Das könnte z.B. der Fall sein, wenn man zu einem Sterbenden gerufen wird, der dann (trotz Reanimationsversuch) stirbt.

Formal kann hier der Hausbesuch zulasten der Krankenversicherung berechnet werden und bei den Angehörigen die volle GOÄ-Gebühr für die Leichenschau. Allerdings müsste gewährleistet sein, dass die geforderten mindestens 40 Minuten tatsächlich für die Leichenschau nebst Zusatzleistungen (außer dem Aufsuchen) angefallen sind.

Hinweise zur Auslegung finden sich in der Begründung

Was aber bewegte Autoren zu einer anderen Interpretation? Die GOÄ hat eine gesetzliche Grundlage, in diesem Fall die „Fünfte Verordnung zur Änderung der Gebührenordnung für Ärzte“. Darin werden nicht nur die neuen Positionen präsentiert, sondern auch Begründungen zum Beschluss gegeben.

Solche Texte sind jedoch nicht immer eindeutig und deshalb interpretationsbedürftig. So findet sich in der Verordnung als Begründungstext zur Nr. 100 folgende Formulierung: „Das Aufsuchen ist als fakultativer Leistungsbestandteil in die Leistung nach Nr. 100 einbezogen worden, weil es in aller Regel mit der vorläufigen Leichenschau anfällt. Die durchschnittlich für eine sorgfältige leitliniengerechte Erbringung der vorläufigen Leichenschau fachlich erforderliche Zeit beträgt rund 30 Minuten. Vor diesem Hintergrund wird für die vorläufige Leichenschau (ohne Aufsuchen) eine Mindestdauer von 20 Minuten vorgegeben. Die Mindestdauer bezieht sich auf alle inhaltlich mit der Leichenschau zusammenhängenden obligatorischen und fakultativen ärztlichen Leistungen vor Ort.“

Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man hier tatsächlich meinen, dass das Honorar einer vorläufigen Leichenschau, die nur 19 Minuten gedauert hat, auf 60 % der Summe gekürzt werden müsste. Man muss aber nur im Begründungstext weiterlesen: „Die Bewertung ergibt sich aus den durchschnittlich anzusetzenden Zeiten für die vorläufige Leichenschau und dem Aufsuchen, für die jeweils durchschnittlich 30 Minuten zu veranschlagen sind, unter Berücksichtigung eines angemessenen Arztlohnes.“

Damit wird klar, dass der Kalkulation – getrennt nach Leichenschau und Aufsuchen – Durchschnittszeiten zugrunde liegen, die im einzelnen Element über- oder unterschritten werden können. Veranschlagt sind mit Blick auf den Arztlohn für die Leichenschau und das Aufsuchen jeweils 30 Minuten. Eine Leichenschau, die insgesamt 20 Minuten gedauert hat, wobei z.B. fünf Minuten auf die Anfahrt entfallen sind, kann zu 100 % berechnet werden. Wäre das nicht der Fall, würde die Bewertung, die bei Untersuchung und Aufsuchen den gleichen Zeitfaktor ansetzt, nicht mehr stimmen.

30 Min. Untersuchung und 20 Min. Anreise – das passt

Dies gilt entsprechend auch für die Nr. 101! Der Begründungstext ist dort, abgesehen vom zeitlichen Ansatz von 40 Minuten, identisch. Die Kalkulationsgrundlage liegt dort bei rund 60 Minuten und für das Aufsuchen ebenfalls bei rund 30 Minuten. Mit Blick auf die bei einer Leichenschau natürlich zu beachtende Sorgfalt, aber auch den im Honorar gewährleisteten Arztlohn handelt es sich bei den Zeitvorgaben folgerichtig um eine Mischkalkulation.

Eine 50-minütige Leichenschau, die sich aus 20 Minuten Anfahrt und 30 Minuten Untersuchung nebst korrespondierender Leistungen zusammensetzt, kann ebenfalls zu 100 % berechnet werden. Es genügt die in § 12 Absatz 2 GOÄ geforderte Angabe aus dem Gebührenordnungstext von 40 Minuten.

Untersuchung sollte nicht kürzer als Anfahrt ausfallen

Umgekehrt wäre bei einer Leichenschau, die z.B. bei einem bekannten Patienten nur 15 Minuten bei einer Anfahrt von 10 Minuten gedauert hat, eine Kürzung auf 60 % des Honorars angemessen, da die Mindestzeit von 40 Minuten unterschritten wird. Dies gilt auch für den Zuschlag nach Nr. 102, der ohne Bezug zum Aufsuchen mit 10 Minuten bemessen ist und deshalb auch mit mindes­tens 10 Minuten in die Dauer der Leichenschau einfließen muss.

Fazit

Die neuen GOÄ-Positionen sind betriebswirtschaftlich kalkuliert und mit entsprechenden Zeitfaktoren unterlegt. Ähnlich wie mit dem Multiplikator kann jetzt auf der Ebene der Zeitfaktoren ein Ausgleich geschaffen werden. Dabei sollte lediglich der unter Qualitätsgesichtspunkten berücksichtigte Zeitanteil für die Anfahrt – so ärgerlich das sein mag – die Zeit für die Untersuchung nicht übersteigen.

Medical-Tribune-Bericht

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