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Krieg in der Ukraine Geflüchtete kommen in den Praxen an

Praxismanagement , Patientenmanagement Autor: Isabel Aulehla

Viele Ärzte haben ihrer KV gemeldet, dass sie Geflüchtete auch kostenlos versorgen. Viele Ärzte haben ihrer KV gemeldet, dass sie Geflüchtete auch kostenlos versorgen. © visivasnc – stock.adobe.com
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Immer mehr Ukrainerinnen und Ukrainer werden in den Praxen vorstellig. Welche medizinischen Bedürfnisse haben sie und wie klappt es mit der Verständigung? Ein Hausarzt und eine Diabetologin berichten.

Viele der Patienten, die Dr. ­Wladislaw Korenblum derzeit versorgt, sind kilometerweit zu Fuß gegangen, um die ukrainische Grenze zu erreichen. Es sind überwiegend Frauen und Kinder, dehydriert oder unterernährt, oft haben sie Magen-Darm-Beschwerden. Und sie sind traumatisiert, von dem, was sie in den Kriegsgebieten erlebt haben. Eine Patientin ist kürzlich mit zwei Kindern aus einem brennenden Haus geflohen. Auch unbegleitete Kinder, die nicht wissen, was mit ihren Eltern passiert ist, saßen schon vor dem Hausarzt.

Dr. Korenblum spricht Russisch und kann sich daher gut mit den Geflüchteten verständigen, die ebenfalls oft Russisch beherrschen. Derzeit versorgt er in seinen beiden Praxen in Düsseldorf und Ratingen pro Woche etwa 50 bis 100 ukrainische Frauen, Kinder und Jugendliche. Von fluchtbedingten Erkrankungen abgesehen, liegen die üblichen Zivilisationskrankheiten vor, berichtet er. Etwa Bluthochdruck und Diabetes, auch mehrere COVID-19-Fälle gab es schon. 

Behandlung in der Ukraine mit anderen Medikamenten

„Teilweise unterscheiden sich die Behandlungsmethoden in der Ukraine und hier“, erklärt der Arzt. Manche Patientinnen seien auf Medikamente eingestellt gewesen, die hierzulande nicht mehr üblich seien, etwa veraltete Betablocker. Das hänge aber auch davon ab, ob Geflüchtete eher aus ländlichen Regionen mit schwächerer Versorgung stammen oder aus Städten mit hochmodernen Kliniken. „Bis vor dem Krieg war die Versorgung in der Ukraine nicht viel schlechter als hier.“ 

Die Vergütung der Behandlung sei noch nicht gut geregelt, meint der Mediziner. „Ich weiß, dass ich einiges von dem, was ich mache, nicht bezahlt bekommen werde. Aber darum geht es nicht. Hauptsache, die Leute sind versorgt.“ Laut Bundesgesundheitsministerium sollen Ärzte nach Asylbewerberleistungsgesetz versorgen. Dieses besagt, dass bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen die erforderliche Behandlung zu gewähren sei, einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen. Auch Schutzimpfungen und Vorsorgeuntersuchungen sind möglich. Wie diese Bestimmungen letztlich ausgelegt werden, muss sich jedoch noch zeigen. 

Medikamente muss Dr. Korenblum oft neu verordnen, denn die Betroffenen hatten vor der Flucht keine Zeit, lange zu überlegen, was sie einpacken. „Sie müssen innerhalb von zwei Minuten entscheiden, ob sie sich nun mit in den Bus setzen, der Richtung Grenze fährt, oder ob sie bleiben.“ 

Der Hausarzt kümmert sich auch um Patientinnen, deren medizinische Bedürfnisse weit über das hausärztliche Spektrum hinausgehen. Er hat ein Netzwerk von Kollegen und Kliniken aufgebaut, die zur schnellen Behandlung bereit sind. So kann er Personen, die beispielsweise eine Dialyse brauchen oder eine Chemotherapie fortsetzen müssen, an geeignete Stellen verweisen. „Es ist wie in einem Notfall. Wir bekommen den Anruf, dass eine hochschwangere Frau auf dem Weg ist. Dann planen wir schnell, wo sie untersucht werden kann.“ 

Patienten, die diabetologische Unterstützung benötigen, verweist er z.B. an die Düsseldorfer Diabetologin Dr. ­Jolanda ­Schottenfeld-Naor. Auch sie ist gewillt, Geflüchtete bestmöglich zu behandeln, obwohl die Finanzierung dies nicht unbedingt abdeckt. „Wir können die Menschen ja nicht im Regen stehen lassen“, betont sie. Zumal der Zustand einiger Patientinnen sehr akut sei – schließlich hatten sie während der Flucht oft keinen Zugang zu Medikamenten. 

Wenn die Patientinnen kein Englisch sprechen, steht das Team allerdings vor einer Herausforderung. Nur einige der Mitarbeiterinnen sprechen Russisch. Da die Diabetestherapie aber stark auf der Beratung und Schulung der Patienten basiert, dauern die Gespräche recht lang, berichtet Dr. Schottenfeld-Naor. Beispielsweise war eine Frau, deren Diabetes entgleist war, vom Ausfüllen des Anamnesebogens über die Sprechstunde bis zur Erklärung der Mitarbeiterin, die die Diabetesschulung macht, rund anderthalb Stunden in der Praxis.

 Auch herauszufinden, welche Medikamente die Geflüchteten bislang einnahmen, braucht Zeit. In der Ukraine werden Präparate offenbar teilweise unter anderen Namen vermarktet. Selbst wenn Patienten die Packung dabei haben, hilft das angesichts der kyrillischen Schrift nur bedingt. 

Über Änderungen der Medikation aufklären

Zudem sind in der Ukraine Präparate auf dem Markt, deren Zusammensetzung hier nicht mehr gängig ist. Etwa die Kombination von GLP1-Rezeptoragonist und Insulin. Die Diabetologin verabreichte die Wirkstoffe getrennt. „Natürlich muss man dann auch erklären, welche Dosen wie oft in der Woche nötig sind“, betont sie. Sofern es möglich ist, sei es daher äußerst hilfreich, wenn die Geflüchteten jemanden mitbringen, der übersetzen kann.

Sowohl Dr. Korenblum als auch Dr. Schottenfeld-Naor empfehlen Kollegen, viel Geduld und Empathie zu zeigen, um die Geflüchteten zu versorgen. Je nachdem, was diese erlebt hätten, könnten sie unruhig  sein, selten aggressiv. Meist würden sie äußerst dankbar reagieren. 

Ein Behandlungsschein der Kommune liege nicht immer vor, denn das Ausstellen dauert offenbar. „Der Schein kann bei uns nachgezeigt werden“, erklärt die Diabetologin. Sie geht davon aus, dass einige der Geflüchteten vorerst regelmäßig bei ihr in Behandlung sein werden.

Auf die Praxis von Dr. Korenblum werden viele Geflüchtete per Social Media aufmerksam. In verschiedenen Facebook-Gruppen hat er darauf hingewiesen, dass er bei Bedarf auch kostenlos behandelt. Der Arzt hat selbst Bekannte in der Ukraine. Direkt nachdem der russische Angriff begonnen hatte, gründete er mit Freunden private Initiativen, um Spenden zu sammeln und Personen von der polnischen Grenze abzuholen. Auch zwei Ukrainerinnen hat seine Familie aufgenommen. 

Es ist eine Selbstverständlichkeit für ihn, die Flüchtlinge soweit wie möglich zu unterstützen. Er hat bereits öffentliche Vorträge gehalten, um ihnen das deutsche Gesundheitssystem zu erklären – denn auch die hiesigen Versorgungsstrukturen unterscheiden sich von denen in der Ukraine.

Medical-Tribune-Bericht

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