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Wie Mediziner rechtskonform über die Videosprechstunde informieren können

Praxismanagement , Praxisführung Autor: Isabel Aulehla

Auch viele Fragen zur Medikation können per Videosprechstunde geklärt werden. Auch viele Fragen zur Medikation können per Videosprechstunde geklärt werden. © shangarey – stock.adobe.com
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Seit rund einem halben Jahr dürfen Ärzte dafür werben, dass sie Fernbehandlungen anbieten – allerdings unter juristisch vagen Voraussetzungen. Drei Rechtsanwälte erklären, wie Mediziner auf der sicheren Seite bleiben.

In der Coronapandemie erweist sich die Telemedizin als äußerst nützlich. Seit einer Änderung des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) Ende 2019 dürfen Ärzte unter bestimmten Bedingungen sogar dafür werben, dass sie Videosprechstunden anbieten. Wobei sich „werben“ natürlich auf eine sachliche Information bezieht, wie die Berufsordnung sie zulässt. Der Gesetzgeber knüpfte damit an die Beschlüsse des Deutschen Ärztetags von 2018 an, mit denen das Verbot der Fernbehandlung gelockert wurde.

Das Problem: Die neue Formulierung des § 9 Satz 2 HWG ist relativ unkonkret. So ist Werbung überhaupt nur dann zulässig, „wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist“. Welche Leistungen darunter fallen und somit beworben werden dürfen, wird sich erst nach und nach vor Gericht entscheiden, meint Rechtsanwalt Dr. ­Christian ­Tillmanns aus München.

Juristisch auf der sicheren Seite seien Ärzte derzeit jedenfalls, wenn sie lediglich darauf hinweisen, dass eine Videosprechstunde grundsätzlich möglich ist. Beim Nennen konkreter Krankheitsbilder werde das Eis dünner. Trotzdem sieht der Jurist einige Orientierungspunkte, die Mediziner nutzen können, um darzulegen, warum eine bestimmte Fernbehandlung dem „anerkannten fachlichen Standard“ entspricht.

Besonders hilfreich seien etwa die Leitlinien zur Telemedizin, die erste Fachgesellschaften entwickelt haben. Aus ihnen geht hervor, welche Leistungen per Videosprechstunde erbracht werden können. Ein solches Dokument wurde beispielsweise von der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft und dem Berufsverband der Deutschen Dermatologen erstellt. Die DEGAM plant derzeit keine entsprechende Leitlinie. Sie arbeitet allerdings an einer Digitalstrategie, im Zuge derer sie sich mit allen Facetten der Telemedizin befassen will.

Als weiterer Anhaltspunkt kann laut Dr. Tillmanns ein telemedizinisches Modellprojekt der KV Baden-Württemberg dienen: „docdirekt“. Patienten können sich an diesen Service wenden und Termine für Videosprechstunden vereinbaren: etwa bei Erkältungen, grippalen Infekten, Allergien, Ausschlägen, Stress, Magen-Darm-Erkrankungen, Herz-Kreislauf-Beschwerden, Rückenschmerzen oder Begleiterscheinungen der Schwangerschaft.

KBV lässt Ärzten während der Pandemie relativ freie Hand

In der Coronapandemie gewährt die Kassenärztliche Bundesvereinigung ohnehin einen größeren Spielraum beim Einsatz der Telemedizin. In einer Praxisinfo heißt es: „Ärztinnen und Ärzte können die Videosprechstunde flexibel in allen Fällen nutzen, in denen sie es für therapeutisch sinnvoll halten.“

Fallzahl und Leistungsmenge sind aktuell folglich nicht limitiert. Dies legt, so Dr. Tillmanns, den Schluss nahe, dass auch nach Auffassung der KBV aktuell die Beratung der Patienten mittels Vi­deosprechstunde zur Vermeidung von Infektionsrisiken nach ärztlichem Berufsrecht zulässig sei. Damit müsse ein Arzt zum Schutz seiner Patienten und seines eigenen Praxispersonals auch auf die von ihm angebotene Videosprechstunde hinweisen können.

Trotz der eher unklaren Bestimmungen haben sich inzwischen einige telemedizinische Leistungen in der Ärzteschaft eingebürgert. So etwa Fernbehandlungen bei fieberhaften Infekten oder kleineren Hautveränderungen, berichtet Rechtsanwältin Milana ­Sönnichsen aus Mainz.

Wichtig sei, dass Ärzte sauber dokumentieren, warum sie es im individuellen Fall für vertretbar halten, den Patienten telemedizinisch zu behandeln. „Hier hapert es oft, weil Ärzten die Zeit fehlt“, meint die Juristin. Komme es zu Beanstandungen durch die KV, sei eine korrekte Dokumentation jedoch entscheidend.

Obwohl es technisch möglich wäre, einen vorgefertigten Textbaustein in ein Dokument einzufügen, sei dies nicht unbedingt empfehlenswert. „Für die Gerichte ist es glaubhafter, dass die Video­sprechstunde nur in begründeten Einzelfällen erbracht wird, wenn Mediziner einen handschriftlichen Vermerk machen. Denn das ist aufwendiger“, erklärt Sönnichsen. Der Eindruck von Massenabfertigung sei zu vermeiden. In Pandemiezeiten könne man natürlich argumentieren, dass es nicht zumutbar sei, ständig handschriftliche Einfügungen zu machen.

Das Risiko von Kontrollen oder Beanstandungen sei derzeit aber faktisch sehr gering, meint die Fach­anwältin. Niemand werde Ärzten während der Coronapandemie vorwerfen, zu viele Video­sprechstunden durchzuführen. Wie streng die Regelungen nach der Krise gehandhabt werden, sei allerdings nicht abzusehen. Sönnichsen empfiehlt daher, schon jetzt ein System zur sauberen Dokumentation zu implementieren.

Einige große Unternehmen, die Telemedizin zu ihrem Geschäftsmodell gemacht haben, legen die Regelungen zur Fernbehandlung sehr weit aus. Sie versuchen, auch die Änderungen des HWG für sich zu nutzen. „Sie meinen, dass nun nahezu jede Form von Werbung für Fernbehandlungen bei allen Krankheitsbildern möglich ist“, berichtet Dr. Tillmanns. Die ersten Prozesse würden bereits geführt, im Herbst sei mit Entscheidungen zu rechnen. Der Rechtsanwalt befürchtet, dass das übertriebene Handeln einiger Anbieter dazu führen könnte, dass die neuen Möglichkeiten für die Fernbehandlung wieder zur Disposition gestellt werden könnten.

Nach Ansicht der Wettbewerbszentrale, einem Selbstkontrollorgan der deutschen Wirtschaft, eröffnen die unklaren Formulierungen zur Fernbehandlung großes Missbrauchspotenzial. „Man hat Verbote voreilig gelockert, ohne darüber nachzudenken, was man konkret erlauben möchte“, meint die Rechtsanwältin Christiane Köber, Expertin für den Bereich Gesundheit. Sie kann die Slogans der Anbieter, in Zeiten der Pandemie seien Video­sprechstunden besonders sinnvoll, nicht nachvollziehen. „Es besteht die Gefahr, einen grippalen Effekt mit COVID-19 zu verwechseln“, sagt Köber. „Gerade während der Coronapandemie offenbaren sich doch die Mängel der Telemedizin.“

Derzeit führt die Wettbewerbszentrale einen Prozess gegen Ottonova, eine digitale private Krankenversicherung, die Versicherten anbietet, per Video­sprechstunde mit Schweizer Ärzten in Kontakt zu treten. Werbung für diese Leistung sei auch nach Änderung des HWG noch unzulässig, meint die Kontrollinstitution. Grundsätzlich komme nach den Beschlüssen des Ärztetags eine Primärversorgung per Telemedizin nicht infrage. Es sei ausdrücklich festgehalten worden, dass der persönliche Arzt-Patienten-Kontakt „Goldstandard“ bleibe. Am 9. Juli wird eine Entscheidung des Oberlandesgerichts München erwartet.

AU-Schein ohne Kontakt zu Patient rechtlich fraglich

Ein ähnlicher Musterprozess läuft gegen au-schein.de, einen Anbieter digitaler Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Kunden können auf der Homepage Symptome auswählen, unter denen sie angeblich leiden und angeben, wie lange sie krankgeschrieben werden möchten. Gegen Zahlung wird dann ein entsprechender AU-Schein ausgestellt. Unter anderem stört sich die Wettbewerbszentrale am Werbeslogan „100 % gültiger AU-Schein“. Viele Juristen würden bezweifeln, dass eine ohne Arzt-Patienten-Kontakt ausgestellte Krankschreibung rechtlichen Anforderungen genügt.

Derweil scheint die Nachfrage nach Videosprechstunden groß zu sein: Das Unternehmen Teleclinic meldete für das erste Quartal 2020 einen Zuwachs der Konsultationen von 1000 % gegenüber dem Vorjahresquar­tal. Für ­Niedergelassene dürfte es also eine gute Zeit sein, Telemedizin in der Praxis zu etablieren und in ärztlich vertretbaren Fällen anzubieten.

Medical-Tribune-Recherche

Dr. Christian Tillmanns, Rechtsanwalt, Schwerpunkte: Wettbewerbsrecht und ­Pharmarecht Dr. Christian Tillmanns, Rechtsanwalt, Schwerpunkte: Wettbewerbsrecht und ­Pharmarecht © privat
Milana Sönnichsen, Fachanwältin für ­Medizinrecht Milana Sönnichsen, Fachanwältin für ­Medizinrecht © Messner Rechtsanwälte
Christiane Köber, Rechtsanwältin und ­Mitglied der Geschäftsführung der Wettbewerbszentrale Christiane Köber, Rechtsanwältin und ­Mitglied der Geschäftsführung der Wettbewerbszentrale © Wettbewerbszentrale
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