Kardiovaskuläre Diagnostik

Kardiologe Dr. Klaus Edel: “NT-proBNP und BNP sind exzellente Biomarker für eine Herzinsuffizienz”

Herr Dr. Edel, mindestens vier Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer Herzinsuffizienz (HI), die Dunkelziffer liegt laut Deutscher Herzstiftung vermutlich deutlich höher1. Wie oder wann wird diese Krankheit in der Regel erkannt?

Die Diagnose „Herzinsuffizienz“ wird sehr häufig in der Notaufnahme gestellt – dann nämlich, wenn Patient:innen akut Hilfe suchen, weil sie unter Luftnot, Herzrhythmusstörungen oder geschwollenen Beinen leiden. Die Notfallmediziner ordnen zur Abklärung kardiologische Untersuchungen an, also ein EKG, einen Herzultraschall oder einen Bluttest – und stellen daraufhin die Diagnose. Das Problem ist nur: Wenn solche Symptome auftreten, also eine erste Dekompensation vorliegt, ist die Erkrankung schon recht weit fortgeschritten. 

Wie beeinflusst die Progredienz, also das Fortschreiten einer Herzinsuffizienz die Prognose?

In einem frühen Stadium – der Stufe 1 nach dem Klassifikationssystem der New York Heart Association (NYHA) – ist die Herzinsuffizienz gut behandelbar. Mit Medikamenten, etwa ACE-Hemmern oder Betablockern, lässt sich gut gegensteuern. Je später die Diagnose Herzinsuffizienz gestellt wird, desto höher ist das NYHA-Stadium – und desto schlechter die Prognose. Ein Stadium 2 lässt sich mit einer Behandlung auf Stadium 1 zurückführen, Stadium 3 noch auf Stadium 2. Aber eine Patientin oder ein Patient im Stadium 3 erreicht sehr wahrscheinlich kein Stadium 1 mehr. 

Eine frühe Diagnose ist also entscheidend. Wie kann es aber überhaupt passieren, dass eine Herzinsuffizienz erst so spät, beispielsweise in einer Notaufnahme, festgestellt wird? Warum wird sie nicht schon vorab vom Hausarzt oder der Hausärztin erkannt? 

Eine Herzinsuffizienz ist eine schleichende Erkrankung. Sie tut nicht weh, und die Symptome – Atemnot, schnelle Erschöpfung, Müdigkeit – sind gerade im Anfangsstadium sehr unspezifisch. Zudem ist in Deutschland das Fachwissen über assoziierte Erkrankungen noch nicht weit genug verbreitet. Dabei gibt es einige Vorerkrankungen, die häufig mit HI einhergehen.

Welche sind das? 

In der Reihenfolge ihrer Häufigkeit im Zusammenhang mit HI: die koronare Herzkrankheit (KHK), Hypertonie und Diabetes. Bei diesen Erkrankungen sollten Ärzt:innen hellhörig werden und an eine etwaige begleitende Herzschwäche denken. Auch das Alter ist entscheidend: Das Risiko für eine Herzinsuffizienz steigt ab dem Alter von 50 Jahren, teilweise schon ab 40, exponentiell an. 

Was wäre – wenn der erste Verdacht vorliegt – der nächste Schritt in der Hausarztpraxis?

Im Falle von Diabetespatient:innen lässt sich der Verdacht auf eine Herzinsuffizienz mit einem von uns entwickelten Fragebogen weiter erhärten oder widerlegen (siehe auch Kasten); der Score gibt bereits eine sehr gute Orientierung. Labortechnisch und zur Absicherung rate ich jedoch eingehend, den NT-proBNP-Wert (N-terminales pro Brain natriuretisches Peptid) bzw. BNP zu bestimmen. Auch die aktuellen ESC-Leitlinien für das Management von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Patient:innen mit Diabetes empfehlen bei Menschen mit Typ-2-Diabetes und Anzeichen oder Symptomen einer Herzinsuffizienz einen dieser Werte zu erheben2. Der NT-proBNP-Wert bzw. BNP ist ein exzellenter Biomarker für eine Herzinsuffizienz. Ist der Wert normal, scheidet die Diagnose Herzinsuffizienz mit sehr hoher Sicherheit aus.

Warum gerade dieser Wert, was sagt er aus? 

Jedes Herz, das unter Druck gerät, setzt das Eiweiß proBNP frei, welches in BNP und NT-proBNP gespalten wird. Damit sendet es eine Art Signal an den Rest des Körpers: Achtung, dem Herzen geht es nicht gut, schaltet alles etwas zurück. In der Folge wird der systemische Druck im Herzen reduziert, das Organ also entlastet. Es ist eine Art Selbstschutz des Herzens. 

Ab welcher Höhe weist der NT-proBNP- bzw. BNP-Wert auf eine Herzinsuffizienz hin?

Der Biomarker NT-proBNP und BNP hat eine hohe negativ-prädiktive Aussagekraft. Das bedeutet: Eine Plasmakonzentration des NT-proBNP von unter 125 pg/ml macht die Diagnose einer HI unwahrscheinlich. Ein höherer Wert kann auf eine HI schließen lassen – muss es jedoch nicht zwangsläufig. Für das BNP liegt der Wert bei 35 pg/ml. 

Was bedeutet das genau? 

Der NT-proBNP-Wert (bzw. BNP) kann auch bei vereinzelten anderen Erkrankungen erhöht sein, vor allem bei Vorhofflimmern oder einer Niereninsuffizienz. Hier lässt sich die Diagnose Herzschwäche nur über eine Verlaufsbeobachtung des Werts sicher detektieren. Auch Medikamente wie Betablocker können den Wert erhöhen. Bei Patient:innen mit Vorhofflimmern, die ohnehin höhere Werte aufweisen, liegt der NT-proBNP-Cut-off nicht mehr bei 125 pg/ml, sondern bei 365 pg/ml, der BNP-Cut-off bei 105 pg/ml.2 Auch bei adipösen Patient:innen ist Aufmerksamkeit geboten: Ihre NT-proBNP- bzw. BNP-Spiegel sind tendenziell eher niedriger – was die Interpretation erschwert.

Angenommen, der Hausarzt stellt nun aufgrund des NT-proBNP- bzw. BNP-Werts die Verdachtsdiagnose Herzinsuffizienz. Wie geht es dann weiter?

Der Allgemeinmediziner wird eine Überweisung zum Kardiologen veranlassen. Hier kann eine Herzinsuffizienz mittels Herzultraschall, EKG oder weiterer Untersuchungen final diagnostiziert oder ausgeschlossen werden. Für den Fall, dass Patient:innen Schwierigkeiten haben, einen solchen Facharzttermin zu bekommen – häufig gibt es ja lange Wartezeiten –, habe ich einen Tipp für meine niedergelassenen Kolleg:innen: Der Verweis auf einen hohen NT-proBNP- bzw. BNP-Wert öffnet häufig die Türen der kardiologischen Praxen.

Unbedingt bedenken: Patient:innen ab 50 Jahren entwickeln häufig eine Herzschwäche – auch ohne Symptome!

Unbedingt wissen: Koronare Herzkrankheit, Hypertonie und Diabetes sind die drei häufigsten Ursachen für eine Herzschwäche.

Unbedingt machen: Hat mein Patient eine Herzschwäche? Machen Sie mit ihm den Deutschen Herzinsuffizienztest (DeHit), einen validierten Fragebogen-Check der Initiative „Herzenssache Lebenszeit“. Der Test ist abrufbar unter: https://www.herzenssache-lebenszeit.de/download/herzschwaeche-selbsttest.pdf

Unbedingt testen: Checken Sie den NT-proBNP- bzw. den BNP-Wert! Der NT-proBNP-Wert sollte grundsätzlich (spezifische Vorerkrankungen/medikamentöse Therapien ausgenommen) nicht über 125 pg/ml liegen; der BNP-Wert nicht über 35 pg/ml.

Basierend auf folgenden Referenzen

  1. https://www.herzstiftung.de/infos-zu-herzerkrankungen/herzinsuffizienz
  2. Marx N. et al., 2023 ESC Guidelines for the management of cardiovascular disease in patients with diabetes. Eur Heart J. 2023 Oct 14;44(39):4043-4140.  https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehad192
  3. McDonagh TA et al. 2021 ESC Guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure. Eur Heart J. 2021 Sep 21;42(36):3599-3726. doi.org/10.1093/eurheartj/ehab368