Mehr als LDL-C: Darum gehört Lp(a) bei Diabetespatient:innen mitgedacht.

Bislang wenig beachtet, rückt Lipoprotein(a) zunehmend ins Bewusstsein von Fachgesellschaften und Ärzt:innen: Für Menschen mit Typ-2-Diabetes, die ohnehin ein hohes kardiovaskuläres Risiko tragen, kann der genetische Marker entscheidend für die Therapieintensität sein – auch ohne bislang verfügbare gezielte Lp(a)-Senker.
Nüchternglukose, Langzeitzucker, Nierenfunktion, Blutdruck, LDL-Cholesterin – wer Diabetespatient:innen versorgt, weiß um die Relevanz der traditionellen Laborparameter. Sie regelmäßig zu kontrollieren ist elementar, sagt Prof. Dr. Ulrich Laufs vom Universitätsklinikum Leipzig. Anhand dieser Werte lasse sich ein vollständiges Risikoprofil von Diabeteskranken erstellen. „Typ-2-Diabetes mellitus (T2D) ist nicht nur eine Stoffwechselerkrankung“, betont der Kardiologe, „sondern auch ein entscheidender Treiber kardiovaskulärer Folgeerkrankungen.“ Herzinfarkt, Schlaganfall, die periphere arterielle Verschlusskrankheit oder auch Herzinsuffizienz treten bei Menschen mit Diabetes deutlich häufiger auf.1 Erst 2023 hat eine Arbeitsgruppe der European Society of Cardiology (ESC) neue Leitlinien erarbeitet, die die Relevanz einer umfassenden kardiovaskulären (CV) und atherosklerotisch-kardiovaskulären (ASCVD) Risikobewertung bei Diabetes unterstreichen.1
Lp(a): Das nächste Target im Kampf gegen CVD
Seit kurzem rückt in der Fachwelt ein weiterer unabhängiger Risikofaktor in den Fokus: das sogenannte Lipoprotein(a) – kurz: Lp(a) –, ein in der Leber gebildeter Blutfettträger, der ähnlich wie LDL-C Lipide durchs Blut transportiert. Anders als LDL ist Lp(a) jedoch zusätzlich mit einem Fortsatz versehen, dem sogenannten Apolipoprotein(a). Personen mit hohem Lp(a) – einem Wert, der genetisch determiniert ist – haben ein erhöhtes Risiko für ASCVD.2 Wie Studien zeigen konnten, fördert erhöhtes Lp(a) den Atheroskleroseprozess.3, 4 Besonders beunruhigend: Lebensstilveränderungen, mit denen sich andere Risikofaktoren wie etwa das LDL-C regulieren lassen – beispielsweise durch Rauchstopp und vermehrte sportliche Aktivität – haben auf den Lp(a)-Spiegel keinen nennenswerten Effekt. Auch bislang verfügbare Medikamente können das Lp(a) nicht relevant senken. Neue medikamentöse Therapien befinden sich zwar derzeit in der Entwicklung, Ergebnisse von Endpunktstudien sind aber nicht vor 2026 zu erwarten.
Das Gesamtrisiko ist entscheidend
Warum ist es dann also trotzdem wichtig, den Lp(a)-Spiegel zu bestimmen? „Weil sich dadurch die Einschätzung des individuellen Risikos verbessert“, so Prof. Laufs. Am Ende zählt das Gesamtrisiko: Bei den meisten Menschen überwiegen LDL-Partikel deutlich gegenüber Lp(a)-Partikeln und tragen daher den größten Anteil am gesamten CV-Risiko.5 Umso tatkräftiger können bei Personen mit bekanntem erhöhtem Lp(a)-Spiegel die klassischen Risikofaktoren angegangen werden – „vor allem über eine Cholesterin-Senkung“, so Prof. Laufs. Das Risiko für ein ASCVD-Ereignis lasse sich so verringern.6 Außerdem, so Prof. Laufs, können über den Lp(a)-Wert auch Familienangehörige mit hohem Risiko rechtzeitig identifiziert werden.
Derzeit steht der Lp(a)-Spiegel noch nicht im Fokus der Allgemeinmediziner:innen. Eine Analyse von Registerdaten zeigte jüngst, dass in Hausarztpraxen bei lediglich 3% der ASCVD-Patient:innen der Lp(a)-Spiegel gemessen worden ist.7 Das mag auch an den unterschiedlichen Leitlinien liegen, die für ASCVD-Patient:innen in Deutschland gelten: Die ESC/EAS-Leitlinie, die auch von der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) anerkannt ist, empfiehlt die Lp(a)-Testung einmal im Leben, um Menschen mit sehr hohen Lp(a)-Spiegeln (>180 mg/dL; >430 nmol/L) auszumachen.8 Zuletzt unterstrich außerdem ein EAS-Konsenspapier, dass die Einbeziehung von Lp(a) die kardiovaskuläre Risikostratifizierung verbessern kann.2 Die Nationale Versorgungsleitlinie hingegen enthält bislang keine solche Empfehlung.9
Der Versorgungsalgorithmus
Das Lp(a) gehört einmal im Leben bestimmt, bekräftigt auch der ehemalige DGK-Vorstand Prof. Laufs, und verweist auf einen Algorithmus:
Ein Lp(a)-Wert über 75 nmol/L oder 30 mg/dL sei ein Indikator für ein erhöhtes Risiko. Infolge sollten alle anderen Risikofaktoren, insbesondere das LDL-C, optimiert werden. Hat der Patient bereits eine Atherosklerose, lautet das Ziel, den LDL-C-Spiegel auf unter 55 mg/dL bzw. 1,4 mmol/L zu senken. Außerdem empfiehlt sich dann – insbesondere bei Patienten mit hohem Lp(a) und dem Nachweis einer Atherosklerose – ein Familienscreening.10
Zweierlei Maß
Unbedingt sollten Ärzt:innen beachten, dass für das Lp(a) zwei Maßeinheiten verbreitet sind – ein Umstand, der in der Praxis für Verwirrung sorgen kann. Hintergrund sind zwei verschiedene Methoden zur Quantifizierung von Lp(a): Während die eine Methode das Gewicht in Bezug auf das Volumen des Bluts misst (mg/dL), zählt die andere die Anzahl der Partikel pro Volumen (nmol/L). „Beide Werte können zwar grob orientierend, aber nicht wissenschaftlich genau ineinander umgerechnet werden“, warnt Prof. Laufs. Je nach Größe des Apolipoproteins kann ein Patient bei gleichem Lp(a)-Gewicht mehr oder weniger Partikel im Blut haben. Aber so lang müssen Ärzt:innen vielleicht auch nicht mehr mit zwei Maßeinheiten hantieren: Nach Laufs Beobachtung setzt sich die Angabe in nmol/L, also nach der Molarität, zunehmend durch. Auch Fachgesellschaften wie die EAS sprechen sich für eine Messung aus, die die tatsächliche Partikelanzahl widerspiegelt und somit eine präzisere Aussage ermöglicht.2
Mehr dazu finden Sie im Artikel „Lipoprotein(a) besser messen: Molarität statt Masse!“
Diabetes? Der ganzheitliche Blick entscheidet
Es bleibt dabei: Eine sorgfältige Risikoerfassung von T2D-Patient:innen umfasst die klassischen Lipid- und Glukoseparameter; auch die Nierenfunktion, der Blutdruck und kardiovaskuläre Faktoren gehören zu einer umfassenden Risikoabschätzung dazu. Das Lp(a) aber, bislang häufig übersehen oder unterschätzt, liefert eine wichtige zusätzliche Komponente. Denn, und auch das sagt Laufs: „Eine moderne, patientenorientierte kardiovaskuläre Prävention hat – in der Diabetesversorgung und auch sonst – alle Organsysteme und relevanten Werte im Blick.“ Das Lp(a) sollte ab sofort dazugehören.
Was hohes Lp(a) so gefährlich macht
Lp(a)-Moleküle sind atherogener als LDL-C-Partikel – unter anderem deshalb, weil sie neben Cholesterin auch das Apolipoprotein(a), kurz Apo(a), enthalten. Lp(a) besitzt pro-inflammatorische Eigenschaften, die zur Entstehung von Atherosklerose beitragen können. Zusätzlich enthalten Lp(a)-Partikel pro Teilchen mehr oxidierte Phospholipide, die als entzündungsfördernde Moleküle gelten.11, 12
Literatur
- Marx N et al. „2023 ESC Guidelines for the management of cardiovascular disease in patients with diabetes: Developed by the task force on the management of cardiovascular disease in patients with diabetes of the European Society of Cardiology (ESC).“ Eur Heart J. 2023 Oct 14;44(39):4043–4140.
- Kronenberg F et al. „Lipoprotein(a) in atherosclerotic cardiovascular disease and aortic stenosis: a European Atherosclerosis Society consensus statement.“ Eur Heart J. 2022 Oct 14;43(39):3925–3946.
- Kaiser Y et al. „Association of lipoprotein(a) with atherosclerotic plaque progression.“ J Am Coll Cardiol. 2022 Jan 25;79(3):223–233.
- Leistner DM et al. „Impact of elevated lipoprotein(a) on coronary artery disease phenotype and severity.“ Eur J Prev Cardiol. 2024 May 11;31(7):856–865.
- Tsimikas S et al. „Particle number and characteristics of lipoprotein(a), LDL, and apoB: perspectives on contributions to ASCVD.“ J Am Coll Cardiol. 2024 Jan 23;83(3):396–400.
- Kronenberg F. „Lipoprotein(a): from causality to treatment.“ Curr Atheroscler Rep. 2024;26(3):e1187.
- Weingärtner O, et al. „Comparison of Lp(a) assessment in patients with atherosclerotic cardiovascular disease between office-based cardiologists and general practitioners.“ Präsentation/Abstract ESC-Kongress 2024, London, UK.
- Mach F et al. „2019 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias: lipid modification to reduce cardiovascular risk.“ Eur Heart J. 2020 Jan 1;41(1):111–188.
- Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ). „Nationale VersorgungsLeitlinie Chronische KHK – Langfassung.“ Version 7. 2024. https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/nvl-004 (zuletzt zugegriffen: 26. Mai 2025)
- Parhofer KG, Laufs U. „Lipiddiagnostik unter besonderer Berücksichtigung von Lipoprotein(a) (Lipid profile and lipoprotein(a) testing).“ Dtsch Arztebl Int. 2023 Sep 4;120(35-36):582–588.
- Björnson E et al. „Lipoprotein(a) is markedly more atherogenic than LDL: An Apolipoprotein B-Based Genetic Analysis.“ J Am Coll Cardiol. 2024 Jan 23;83(3):385–395.
- Tsimikas S et al. „In search of an accurate measurement of LDL-C: correction for Lp(a)-cholesterol to predict clinical outcomes.“ J Am Coll Cardiol. 2024 Jul 9;84(2):178–181.