Reizdarm: Psyche mitbehandeln

Wie reagiert der Darm auf akuten Stress? Welche Signalwege zwischen Darm und Hirn sind beschrieben? Und können Therapieansätze für Reizdarm-Betroffene abgeleitet werden?

Ursachenforschung: Reizdarmsyndrom und akuter Stress

Bereits 1951 entdeckten Forschende, dass sich der kontraktile Zustand des Dickdarms bei akutem Stress verändern kann. Hierzu wurde die Darmmotilität bei Probandinnen und Probanden vor, während und nachdem sie in eine akute Stresssituation gebracht worden sind, gemessen.1

Heute sind verschiedene Mechanismen bekannt, die das Zusammenspiel des „Bauchhirns“ (enterisches Nervensystem) und des Gehirns erklären. So wurde beobachtet, dass Patientinnen und Patienten mit Reizdarmsyndrom (RDS) eine veränderte Reaktion auf akuten Stress aufweisen:

  • Erhöhte Freisetzung von CRF (Corticotropin Releasing Faktor), ACTH (Adrenocorticotropin) und Norepinephrin.2
  • Eine gesteigerte ACTH-Antwort auf CRF-Gabe.3
  • Stärkere Zunahme der durch Stress und CRF induzierten Kolonmotilität.4
  • Verstärkte Stress-induzierte Steigerung der viszeralen Sensitivität.5

Schlussfolgerungen zur Signalübertragung zwischen Darm und Hirn

Ein aktuelles Review beschreibt drei Hauptsignalwege der bidirektionalen Verbindung von Darmmikrobiota und Gehirn:5

  • das Immunsystem (über Zytokine),
  • das Nervensystem (über den Vagusnerv) und
  • das endokrine System (über die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse).

Aus den Erkenntnissen zu veränderten Reaktionen von RDS-Betroffenen bei emotionalem Stress ziehen die Autorinnen und Autoren des Reviews folgende Schlussfolgerungen:5

  • Die überempfindliche Reaktion auf Stress bei Personen mit RDS wird durch neuroendokrine Veränderungen und Entzündungen im Darmtrakt erklärt.
  • Die Aktivität von Hirnregionen, die für die Regulation von Emotionen und Schmerzen verantwortlich sind, ist bei Personen mit RDS verändert.
  • Die erhöhte Reaktionsfähigkeit auf emotionalen Stress kann zu einer Verschlechterung der Symptome von RDS führen.

Stressreduktion im Rahmen einer Therapie

Die Zahl, der von RDS-Symptomen betroffenen Personen beläuft sich auf 1-45 % (gepoolte Prävalenz 11 %).6 Studiendaten belegen, dass chronischer Stress durch frühe Lebensereignisse mit dem Auftreten von RDS assoziiert ist. Darunter fallen beispielsweise allgemeine Traumata, körperliche Gewalt, emotionale Vernachlässigung und sexueller Missbrauch.7 Der Zusammenhang zwischen Psyche und Darm spiegelt sich auch in der hohen Prävalenz von RDS und psychischen Komorbiditäten wider.8 

Bei der Therapieentscheidung kann daher eine Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen der Allgemeinmedizin, Gastroenterologie und Psychosomatik gewinnbringend sein. Die aktuelle S3-Leitlinie zum Reizdarmsyndrom bewertet Therapieansätze im Zusammenhang mit der Psyche:9

  • Die Evidenz für Entspannungstherapien (z. B. nach Jacobson, autogenes Training) ist nicht ausreichend und sollte deshalb nicht als Monotherapie durchgeführt werden.
  • Strategien zur Stressvermeidung und/oder Krankheitsbewältigung (Coping) sollten individuell als adjuvante Maßnahmen empfohlen werden.

Psychotherapeutische Verfahren sollen bei passender Indikation (z. B. psychischer Komorbidität) als Teil des Behandlungskonzepts angeboten werden.

Individuelle Therapie für individuelle RDS-Betroffene

Dem Reizdarmsyndrom liegen mehrere Pathomechanismen und Auslöser zugrunde. Aufgrund dieser Vielseitigkeit der Erkrankung ist es sinnvoll, ein multimodales Behandlungskonzept, in dem mehrere Maßnahmen eingeschlossen werden, zu nutzen. Eine große Relevanz hat hierbei auch die Psyche, die in jedem Fall mit einbezogen werden sollte.

Evidenzbasierte Phytopharmaka wie Iberogast® Classic (STW 5) bei Beschwerden durch eher kurzfristige und situative Auslöser und Iberogast® Advance (STW 5-II) bei Beschwerden durch stressbedingte, eher langfristige Belastungen bieten eine wirksame medikamentöse Therapieoption zur Symptomlinderung. Ebenfalls können DiGA (digitale Gesundheitsanwendungen) wie Cara Care für Reizdarm multimodal unterstützen. 

Literatur: 
1.    Almy et al. Experimental studies on the irritable colon. Am J Med 1951.
2.    Posserud I et al. Altered visceral perceptual and neuroendocrine response in patients with irritable bowel syndrome during mental stress. Gut 2004;53(8):1102-8.
3.    Fukudo et al. Impact of corticotropin-releasing hormone on gastrointestinal motility and adrenocorticotropic hormone in normal controls and patients with irritable bowel syndrome. Gut 1998;42(6):845-9.
4.    Welgan et al. Is rectal pain sensitivity a biological marker for irritable bowel syndrome: Psychological influences on pain perception. Gastroenterology 1998;1263-1271.
5.    Schaper SJ & Stengel A. Emotional stress responsivity of patients with IBS - a systematic review. J Psychosom Res 2022 Feb;153:110694.
6.    Enck et al. Irritable bowel syndrome. Nat Rev Dis Primers 2016;2:16014.
7.    Bradford et al. Association between early adverse life events and irritable bowel syndrome. Clin Gastroenterol Hepatol 2012;10(4):385-90.
8.    Zamani M et al. Systematic review with meta-analysis: the prevalence of anxiety and depression in patients with irritable bowel syndrome. Aliment Pharmacol Ther. 2019;50(2):132-143.
9.    Layer P et al. Update S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom: Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des Reizdarmsyndroms der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft  für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM). AWMF-Registernummer 021-016.