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Sicherheit im Straßenverkehr Ärztliches Attest für Rentner:innen

Gesundheitspolitik Autor: Petra Spielberg 

In vielen Ländern Europas ist eine verpflichtende Prüfung der Fahrtauglichkeit im Alter bereits etabliert. In vielen Ländern Europas ist eine verpflichtende Prüfung der Fahrtauglichkeit im Alter bereits etabliert. © Andrey Bandurenko – stock.adobe.com
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Führerscheine könnten künftig nicht mehr für alle Verkehrsteilnehmer uneingeschränkt gelten. Vor allem Autofahrer über 70 müssen damit rechnen, dass sie sich spätestens ab 2030 alle fünf Jahre ihre Fahrtüchtigkeit medizinisch bestätigen lassen müssen. Das plant die Europäische Kommission bei der Revision der EU-Führerscheinrichtlinie.

Die Verkehrssicherheit auf Europas Straßen soll besser werden. Die Idee, dass sich ältere Verkehrsteilnehmer wiederholten Gesundheitschecks zu unterziehen haben, ist allerdings nur ein Baustein, mit dem die EU-Kommission die Anforderungen an den Erwerb und Erhalt eines Führerscheins erhöhen will. So ist vorgesehen, das begleitete Fahren ab 17 Jahren in Pkw und Lkw künftig zwei Jahre lang EU-weit verpflichtend zu machen, ebenso wie die Null-Promille-Grenze am Steuer.  

Außerdem soll die geplante Revision der EU-Führerscheinrichtlinie dazu beitragen, den Strafverfolgungsbehörden Zugang zu natio­nalen Führerscheinregistern zu verschaffen, um Verkehrssünder grenzüberschreitend besser belangen zu können. Mit der Einführung digitaler Führerscheine will man den Ersatz, Tausch oder die Verlängerung der Fahrerlaubnis erleichtern.  

Regeln könnten 2025 in Kraft treten und ab 2030 greifen 

Ob sich die EU-Kommission mit ihren Plänen beim EU-Parlament und dem Ministerrat durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Der Zeitplan sieht vor, dass die neuen Regeln 2025 in Kraft treten und spätestens ab 2030 in allen Mitgliedstaaten greifen sollen. 

„Es ist noch viel zu früh, um zu sagen, wie die von der EU-Kommission angedachten Fahrtauglichkeitsprüfungen in Deutschland aussehen werden und welche neuen Pflichten auf Ärztinnen und Ärzte unter Umständen zukommen könnten“, erklärt der Stuttgarter Rechtsanwalt Oliver Ebert, der für die Deutsche Diabetes Gesellschaft die S2e-Leitlinie Diabetes & Straßenverkehr mitkoordiniert hat. „Letztlich hängt es davon ab, wie viel Spielraum den Mitgliedstaaten bei der nationalen Ausgestaltung der Vorschriften im weiteren Gesetzgebungsverfahren eingeräumt wird.“  

Von einer reinen Selbsteinschätzung z.B. des Seh-, Hör- oder Reaktionsvermögens bis hin zu umfassenden medizinischen Checks sei alles denkbar. Aus Eberts Sicht wären verpflichtende ärztliche Atteste allerdings ein zweischneidiges Schwert, da sie die Antragsteller womöglich in einer falschen Sicherheit wiegen könnten. 

In etlichen Ländern sind altersbezogene Pflichtuntersuchungen von Autofahrern dennoch längst gebräuchlich. In Spanien beispielsweise müssen sich bis 65-jährige Führerscheininhaber alle zehn Jahre einem medizinisch-psychologischen Check unterziehen, danach alle fünf Jahre. In Dänemark benötigen Verkehrsteilnehmer über 70 ebenfalls alle fünf Jahre ein ärztliches Attest über ihre Verkehrstauglichkeit. In Portugal bedürfen Pkw-Fahrer bereits ab 50 Jahren alle zehn Jahre eines medizinischen Gesundheitszeugnisses über ihre psychische und mentale Fahreignung. Ab dem 61. Lebensjahr reduziert sich der Zeitraum auf fünf Jahre, ab 70 Jahren sogar auf alle zwei Jahre. Eine Fahrerlaubnis ohne Einschränkungen gilt in Frankreich, der Türkei, Schweden, Belgien, Bulgarien, Polen, Österreich und Deutschland. 

Das Fazit, das Verkehrspsychologen und -mediziner aus internationalen Evaluationsstudien zu den Gesundheitschecks, inklusive der von der EU 2013 initiierten CONSOL-Studie sowie Untersuchungen der dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft angehörenden Unfallforscher der Versicherer ziehen, ist eindeutig: Das Lebensalter allein sei kein ausreichender Indikator für eine mangelnde Fahreignung, da die meisten älteren Fahrer ihre Fahrweise ihrer Leistungsfähigkeit anpassten.  

Verlust von Lebensqualität als Folge von Versagensängsten 

Altersbezogene Überprüfungen verbesserten weder die Sicherheit betagter Autofahrer noch die allgemeine Verkehrssicherheit. Vielmehr ergäben sich negative Effekte für die Senioren, betont die Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie (DGVP). „Sie entwickeln Versagens­ängste vor der Überprüfung und geben verfrüht ihre Fahrerlaubnis zurück. Dadurch verlieren sie an autonomer Mobilität und damit Lebensqualität und/oder setzen sich den – derzeit – viel größeren Gefährdungen als Fußgänger oder Radfahrer aus“, schreibt die DGVP in einem Positionspapier.  

„Solche Tests sind altersdiskriminierend und stellen angesichts der wachsenden individuellen Unterschiede eine übergeneralisierte Ungleichbehandlung da“, moniert der Psychologe und Altersforscher Prof. Dr. Georg Rudinger von der Gesellschaft für empirische Sozialforschung und Evaluation in Bonn. 

Neue geplante medizinische Mindestanforderungen 

Der Gesetzentwurf der EU-Kommission „COM (2023)127“ bringt folgende Regelungen für Verkehrsteilnehmer ins Spiel: 

  • Bei einer Augenkrankheit muss der Autofahrer regelmäßig die Sehfähigkeit ärztlich prüfen lassen. 

  • Wer regelmäßig Alkohol oder Drogen konsumiert, bekommt künftig keinen Führerschein. 

  • Autofahrer mit neurologischen Beschwerden brauchen eine Bescheinigung vom Arzt über die Fahrtauglichkeit. 

  • Bei Krankheiten des Bewegungsapparates, die das Nutzen eines Fahrzeugs erschweren, wird kein Führerschein ausgestellt. 

  • Bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen muss ein Arzt die Fahrtauglichkeit bescheinigen. 

  • Bei Diabetes muss alle zehn Jahre die Fahrtauglichkeit überprüft werden. 

  • Wer regelmäßig unter einer schweren Unterzuckerung leidet, bekommt keinen Führerschein mehr. 

  • Autofahrer mit Epilepsie können einen Führerschein nur dann haben oder behalten, wenn sie seit einem Jahr keinen Anfall hatten. 

  • Führerscheine werden nicht an Personen ausgestellt, die schwere kognitive oder intellektuelle Störungen aufweisen. 

  • Altersbedingte Veränderungen oder Störungen haben zur Folge, dass kein Führerschein ausgestellt wird. 

Prof. Rudinger und andere Verkehrsexperten setzen lieber auf das Prinzip Freiwilligkeit bei der Überprüfung der individuellen Fahrtauglichkeit. „Es gibt diesbezüglich bereits zahlreiche Maßnahmen, die erprobt sind und nachweislich positive Effekte zeigen“, so die DGVP. Bewährt hätten sich beispielsweise sog. qualifizierte Rückmeldefahrten, bei denen Fahrschwächen durch versierte Fahrtrainer ausgelotet und korrigiert würden. „Der Trainingseffekt hält in der Regel ein bis zwei Jahre an“, bekräftigt Prof. Rudinger. Arztpraxen sieht er in der Pflicht, auf entsprechende Angebote hinzuweisen.  

„Es gehört zu den Aufklärungspflichten, dass Ärztinnen und Ärzte ihre Patientinnen und Patienten über mögliche krankheits- oder medikamentenbedingte Leistungsbeeinträchtigungen informieren und diese gegebenenfalls auf die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen hinweisen müssen“, macht auch Jurist Ebert deutlich. Dies gelte z.B. für Menschen, die an Diabetes, Epilepsie oder Demenz litten.  

Umgekehrt könnten die geplanten Änderungen vielleicht auch für Entlastung sorgen, merkt der Rechtsanwalt an, denn die EU-Kommission verlange, dass Ärzte bei der Beurteilung der individuellen Verkehrstauglichkeit moderne Behandlungsmethoden berücksichtigen sollen.  

Um die Beratungskompetenz von Hausärzten hinsichtlich der Aufklärung älterer Kraftfahrer über medizinisch relevante Aspekte einer sicheren Verkehrsteilnahme zu stärken, hat Prof. Rudinger zusammen mit der Bundesanstalt für Straßenwesen bereits im Jahr 2007 ein modular aufgebautes ärztliches Fortbildungskonzept entwickelt. Ärzte sollten das Thema einfühlsam, aber direkt und offen ansprechen und an die Eigenverantwortung des Betreffenden appellieren sowie auf mögliche persönliche Konsequenzen im Falle einer unzureichenden Fahrtauglichkeit hinweisen, ohne mit der Gefahr eines möglichen Führerscheinentzugs zu drohen, fasst Prof. Rudinger die Kernbotschaft zusammen. 

Ist der Kommissionsvorschlag altersdiskriminierend? 

Die Fraktionen der Grünen und der SPD im Deutschen Bundestag bewerten den Vorstoß der EU-Kommission positiv. Es sei unstrittig, dass die Wahrscheinlichkeit von gesundheitlichen Problemen mit Einfluss auf die Fahrtauglichkeit mit zunehmendem Alter steigt, so der SPD-Verkehrspolitiker ­Mathias Stein gegenüber der „dts Nachrichtenagentur“. Es sei daher sinnvoll, auch ältere Führerscheininhaber in den Blick zu nehmen. Freiwilligkeit sollte aber Vorrang vor Zwang haben.  

Widerstand gibt es dagegen aus der Opposition. Die CDU/CSU-Fraktion spricht sich für das Beibehalten der gegenwärtigen Standards aus. Die Linken lehnen den Kommissionsvorschlag wegen „Altersdiskriminierung“ ab. Stattdessen sollten sich alle Verkehrsteilnehmer mit Führerschein ab 50 Jahren regelmäßig von ihrem Hausarzt auf Fahrtüchtigkeit untersuchen und beraten lassen, meint Thomas Lutze, der verkehrspolitische Sprecher der Fraktion.

Medical-Tribune-Recherche

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