Praxiskolumne Auch in unseren Praxen: #Niewiederistjetzt!

Kolumnen Autor: Dr. Nicolas Kahl

Eine halbherzige Bekämpfung von Rechtsextremismus wird auch Auswirkungen auf unser Gesundheitssystem haben. Eine halbherzige Bekämpfung von Rechtsextremismus wird auch Auswirkungen auf unser Gesundheitssystem haben. © lembergvector – stock.adobe.com

Seit Wochen versammelt sich die deutsche Zivilgesellschaft in Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und für Toleranz. Nachdem es erst bedrückend Schweigen vonseiten der Ärzteschaft gab, erschienen dann endlich Stellungnahmen z.B. der DEGAM und von verschiedenen Landesverbänden des Hausärzteverbandes zu diesem Thema.

Ich hatte das Gefühl, dass es eine mühsame Diskussion in den Verbänden gab, wie man sich „gegen rechts“ positionieren kann, ohne zu viel interne Diskussionen auszulösen. Dieses Zögern meiner Standesvertretung hat mich in meinem Dasein als Hausarzt deutlich mehr frustriert, als sämtliche Impf-, TI- oder Abrechnungsdiskussionen der letzten drei Jahre.

Bei der Positionierung gegen Rechtsextremismus geht es für mich nicht um die Ausgrenzungen einzelner Patient:innen mit anderer Weltanschauung aus meiner Praxis. Jeder, der sich respektvoll gegenüber den Praxismitarbeiter:innen und den anderen Patient:innen verhält, wird bei uns respektvoll behandelt. Aber insbesondere die angeblichen „Protestwähler“ sollten auch in ihren Hausarztpraxen spüren „gegen wen“ sie wählen, wenn sie rechtsextreme Parteien wählen. Daher sollten wir in unseren Wartezimmern Flagge zeigen, wie bunt wir sind und für wen wir da sind! 

In unseren Praxen arbeiten Menschen vieler Hautfarben, Religionen, Geschlechter, Kulturen und Muttersprachen. Jeder berufspolitische Landesverband, der sich nicht klar gegen Rechtsextremismus positioniert, fällt also unseren bunten Praxen in den Rücken. Mehrfach ging es bei unseren Praxis-Mittagessen schon um das Thema „Umgang mit Alltagsrassismus in der Praxis“. Seit Kurzem wird nun auch das Thema „Wann ist der richtige Zeitpunkt, das Land zu verlassen?“ diskutiert. Wie schrecklich ist das denn? Dabei ist meine Praxis in keinem sozialen Brennpunkt, sondern in einem gut situierten Vorort. Wie geht es wohl Mitarbeitenden mit Migrationshintergrund, die in Gebieten mit verbreiteterem Rechtsextremismus leben, die täglich mit dem unerträglichen Menschenbild der Rechtsextremen konfrontiert sind?

Sollte eine politische Partei mit Deportationsfantasien weiter erstarken, muss sie nicht zwingend in Regierungsverantwortung, um unsere Praxen zu schwächen. Denn man muss unsere Mitarbeitenden nicht „deportieren“, damit sie in unseren Praxen fehlen – sie werden schon vorher von allein gehen!

Eine nur halbherzige Bekämpfung von Populismus und Rechtsextremismus wird sich direkt auf unsere Gesundheitsversorgung auswirken. Welche Praxis, Notaufnahme, Geburtsstation, welches Krankenhaus, Pflegeheim, mobile Pflegeteam könnte ohne Menschen mit Migrationshintergrund funktionieren? 

Sollte sich der Populismus und der Rechtsextremismus weiter im öffentlichen Diskurs verbreiten, zerstören wir allein damit unsere eigene Gesundheitsfürsorge und damit einen Garanten für soziale Stabilität. Daher ist es die Pflicht unserer Berufsvertretung, beständig und mit aller Kraft gegen Rechtsextremismus anzukämpfen.

Jeder berufspolitische Landesverband, der sich nicht klar gegen Rechtsextremismus positioniert, schützt auch stillschweigend mögliches rechtes Gedankengut in den Reihen des eigenen Verbands. Beim Bundesverfassungsgericht wird gerade geprüft, wie gut es gegen erstarkenden Rechtsextremismus geschützt ist. Viele Vorläufer-Strukturen unserer Selbstverwaltung stammen aus den 1930er-Jahren und wurden mit dem Ziel der Gleichschaltung geschaffen – wie gut ist unser Berufsstand gegen eine erneute Gleichschaltung geschützt? Wie transparent ist die Entstehungsgeschichte aufgearbeitet? Wie gut schützen uns die Nachfolge-Organisationen vor einer erneuten politischen Instrumentalisierung? 

Ich finde, darüber sollten wir Ärztinnen und Ärzte diskutieren. Gerne auch laut.