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Praxiskolumne Einzigartig, unersetzbar, unentbehrlich?

Autor: Dr. Nicolas Kahl

Die Patientenversorgung wird zunehmend außerhalb der Praxis im Alltagsleben des Patienten stattfinden. Die Patientenversorgung wird zunehmend außerhalb der Praxis im Alltagsleben des Patienten stattfinden. © dhiraj – stock.adobe.com; MTD
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Auf dem Nikolausempfang des bayerischen Hausärzteverbandes war als Festredner Prof. Dr. Ferdinand Gerlach eingeladen. Er sollte mit seinem Vortrag zur Primärversorgung der Zukunft aufrütteln. Den Teilnehmenden zufolge ist ihm das auch gelungen.

Prof. Gerlach formulierte an diesem Abend acht Thesen, wie wohl die Primärversorgung im Jahr 2040 aussehen wird. Sieben der acht Thesen finde ich sehr einleuchtend. Wir Hausärzt:innen werden Patientenkontakte an Tech-Giganten verlieren (These 1) und Plattformen werden sich auch in hochregulierten Versicherungs- und Gesundheitssys­temen wie in Deutschland langfristig durchsetzen (These 2). Klinikaufenthalte werden durch zunehmend ambulantisiertes Arbeiten zur Ausnahme, während die Primärversorgung stark mit ambulant-stationären Pflegeeinrichtungen verbunden sein wird (These 3). Und Primärversorgungszentren können sich zu multiprofessionellen Teampraxen unterschiedlicher Größe entwickeln (These 4). 

Die Patientenversorgung wird zunehmend außerhalb der Praxis im Alltagsleben des Patienten stattfinden (These 5). Sprachbasierte KI-Programme werden dabei Teile der Patientenversorgung übernehmen (These 6). Und die Berufsverbände und wissenschaftlichen Fachgesellschaften wie der Hausärzteverband und DEGAM, die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin können diese Transformation aktuell noch mitgestalten (These 8).

Und These 7? An ihr stoße ich mich etwas. Denn in der These mit der magischen Nummer 7 formuliert Prof. Gerlach die Hoffnung bzw. den Wunsch, dass „empathische Haus­ärztinnen und Hausärzte“, die nun wichtiger seien denn je, gemeinsam mit dem Patienten über partizipative Entscheidungsfindung dessen Gesundheitsversorgung gestalten und planen.

Was den „human touch“ betrifft, würde ich mich lieber auf die Physios verlassen als auf uns

Was passt mir daran nicht? Immer wieder vertreten Kol­leg:innen in Diskussionen den Standpunkt, wir Ärzt:innen seien besonders empathisch und „nah am Menschen“. Ja, nun. Sind wir Ärztinnen und Ärzte denn empathischer als Krankenpfleger:innen? Sind wir empathischer als unsere MFA? 

Es gibt Evidenz dafür, dass wir Ärztinnen und Ärzte durch unser Studium unsere Fähigkeit zur Empathie eher verlieren als weiter aufbauen (bit.ly/doc.empathy). Weder die Auswahl der Studierenden über den Nummerus Clausus noch der „kollegiale“ Umgang miteinander in Studium, Weiterbildung und Beruf stimmen mich positiv, dass es hier eine Verbesserung geben wird in den nächsten Jahren.

Mit „wem“ stehen wir aber im Wettbewerb? Ich hatte vor Kurzem ein Gespräch mit einem Softwarehersteller, der mir beiläufig von der Masterarbeit einer Studentin berichtete. Sie hatte überprüft, wie ein Puppen-Torso durch Hologrammtechnik so verändert werden kann, dass Menschen den „Avatar“ oder das Hologramm als menschlich und „angenehm“ wahrnehmen würden. Ziel war es auch, den Patient:innen einen „Berater“ aus dem gleichen soziokulturellen Umfeld anzu­bieten.

Meiner Einschätzung nach werden wir in den nächsten Jahren zunehmend Avatare sehen, die als „Chat-Bots“ unter Verwendung von Sprachmodellen wie ChatGPT einen Großteil repetitiver Patientenaufklärungen durchführen, zum Beispiel Aufklärungen für radiologische Untersuchungen, Aufklärungen über chronische Erkrankungen wie Diabetes etc. Aus diesen Anwendungen werden die Einsatzgebiete immer breiter werden.

Cave: Wir stehen jetzt Im Wettbewerb mit der KI

Dabei haben diese Sprachmodelle den Vorteil, dass sie immer die Muttersprache des Patienten nutzen können und sich bei Sprechgeschwindigkeit und Wortschatz flexibel und dauerhaft an den Patienten anpassen können. Die Dauer des Gesprächs wird dabei vom Patienten bestimmt und nicht vom Arzt. 

Zudem wird sich das äußerliche Erscheinungsbild des Avaters in Bezug auf Geschlecht, Gewicht, Hautfarbe, Kleidungsstil, Frisur und Religion an den Vorlieben des Patienten orientieren. Solche Lösungen werden vielleicht für viele Menschen deutlich empathischer wirken als manche gebrochene, empathisch leere Seele, die unser Gesundheitssystem aktuell an Ärzt:innen 
„ausspuckt“. 

Und dann? Bleibt uns Ärzt:innen nur noch der „human touch“ als Alleinstellungsmerkmal und Daseinsberechtigung im Jahr 2040? Müsste ich wetten, würde ich mich für diesen „touch“ vielleicht doch lieber auf unsere Physios verlassen als auf uns ärztlich Tätige – Smiley. 

Was heißt das also? Wir müssen uns dringend flexibel auf neu entstehende Rollen vorbereiten. Keiner kann sagen, welche Qualität man uns Ärzt:innen 2040 abverlangen wird. Also: Bitte nicht nur auf Wünschen und Hoffnungen ausruhen, liebe These 7. Lasst uns immer wieder hinterfragen, was uns eigentlich einzigartig macht. Und das fördern.

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