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Praxiskolumne Hausarztpraxen sitzen in der Ethikfalle

Autor: Dr. Ulrike Koock

Die immense Bürokratie fesselt Ärzt:innen öfter denn je an den Schreibtisch. Die immense Bürokratie fesselt Ärzt:innen öfter denn je an den Schreibtisch. © Studio Romantic – stock.adobe.com
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Es ist der 27. Dezember. Ich sitze an meinem Schreibtisch und verfasse diese Kolumne, anstatt in der Praxis meine Patienten zu behandeln.

Das liegt nicht etwa am angekündigten großflächigen „Praxis­streik“, der in den Medien breit durch den Kakao gezogen wird, sondern an der Bürokratie, die gegen Ende des Jahres wieder Überhand genommen hat und erledigt werden will. Die Abrechnung muss gemacht, Rezeptbestellungen – per E-Mail und Anrufbeantworter eingetroffen – müssen erfüllt und ein Berg an Papierkram will abgearbeitet werden. An den anderen beiden Tagen „zwischen den Jahren“ ist die Praxis für Notfälle geöffnet, bis der Ärztliche Bereitschaftsdienst übernimmt. 

Dass für den Protest die Zeit nach Weihnachten angesetzt wurde, war klug gewählt, denn viele Menschen und Praxen haben Urlaub, es werden weniger Krankschreibungen fällig.

Dass wir nicht mit vollen Engagement und wehenden Fahnen am Streik teilnehmen, liegt nicht etwa an fehlender Zustimmung zu den Streikinhalten – ganz im Gegenteil. Wir können hier auf dem Land jedoch dem Ansturm an Patienten nicht gerecht werden, wenn wir länger als wenige Tage schließen. 

Unsere Praxis hatte kürzlich aus verschiedenen Gründen (Krankheit, Urlaubstage, Überstunden) eine Woche geschlossen. In der Folgewoche haben wir feststellen müssen, dass sich die Arbeit einfach nur verlagert hatte. 160 zu beantwortende ­E-Mails, Menschenschlangen vor der Praxis und überraschte bis empörte Patienten, weil diese sich schlecht versorgt fühlten. Und das, obwohl netterweise zwei Praxen im Umfeld die Vertretung übernommen hatten. 

„Ihr macht doch nie zu!“, war ein häufig ausgesprochener Satz. Wir alle in den Hausarztpraxen sitzen also fest in der Ethikfalle, denn wir wollen unsere Patienten ja gut versorgt wissen.

Die Quintessenz war also: Nie wieder! Lieber einbeinig und mit Kopf unter dem Arm die Praxis öffnen und wenigstens die Basisversorgung erledigen, als eine Woche mit dem flauen Gefühl frei zu haben, dass die nächste Woche katastrophal wird. Eine Praxisschließung über mehrere Tage ist nicht zu bewältigen. 

Dabei gibt es so vieles, das geändert werden müsste: 

  • Das Honorar muss steigen. Die Kostenexplosion und die Inflation im letzten Jahr verschärfen die Situation zusätzlich. Mit der Entbudgetierung würden Praxen für alle durchgeführten Leistungen entlohnt werden.
  • Eine Abschaffung der Regresse nähme dem hausärztlichen Nachwuchs die Angst vor der Niederlassung, denn schließlich haftet man mit dem Privatvermögen. Ich selbst bin auch nur angestellt, weil ich die Sicherheit einer Anstellung vorziehe.
  • Mittels Entbürokratisierung hätte man wieder mehr Zeit für seine Patientinnen und Patienten. Wir sind nicht Hausärzte geworden, um dem Computer mehr Zeit als den Menschen zu widmen.
  • Die Digitalisierung sollte funktionieren. Jeden Tag ein Problem mit der Telematik, den Druckern, Firewalls oder Computern zu haben und auf den Kundenservice angewiesen zu sein, kostet Zeit, die für die Patientenversorgung fehlt, Nerven und Geld.

Um auf die Ethikfalle zurückzukommen: Genau diese Verantwortung wurde vonseiten der Politik gegen die Hausärzte ausgespielt. Als wollten wir Hausärzte unsere Patienten im Stich lassen. Als sei es uns egal, wenn diese nicht versorgt sind. Als käme es nur auf das Geld an. Am Ende wird in den sozialen Medien auch gerne auf den Hippokratischen Eid verwiesen, der uns mit der Erlangung der Approbation ein Paratstehen zum Wohle der Patienten 24/7 aufbürdet.

Im Vorfeld des Krisengipfels am 9. Januar hatte der Gesundheitsminister den Protest kritisiert: Alle Forderungen seien bekannt und müssten nicht nochmals vorgetragen werden. Finde den Fehler! Wenn bereits vorgetragenen Wünschen kein Gehör geschenkt wird, muss man zu anderen Maßnahmen greifen. Nun will er eine „große Honorarreform“ auf den Weg bringen. Ich bin sehr auf die Umsetzung gespannt. Ich hoffe auf Umstrukturierung, damit ich einer eigenen Niederlassung positiver entgegensehen kann.

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