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Bedarfsplanung: Für 100 % fehlen 4000 Hausärzte

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Eine reine Berechnung des Arztbedarfs nach Köpfen hat ausgedient.
Eine reine Berechnung des Arztbedarfs nach Köpfen hat ausgedient. © Fotolia/bakhtiarzein
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Wie berechnet sich der Bevölkerungsbedarf an ambulant tätigen Ärzten? Die bisherigen Methoden scheinen angesichts regionaler Versorgungsdefizite überholt zu sein. Alternativen zeigt ein Gutachten zur Weiterentwicklung der Bedarfsplanung auf.

Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz war der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beauftragt worden, die Bedarfsplanung weiterzuentwickeln. Dafür wurde ein umfangreiches Gutachten bestellt, das nun öffentlich als „Meilenstein“ präsentiert wurde. 2019 soll die dann angepasste Bedarfsplanungs-Richtlinie in Kraft treten.

Das Gutachter-Konsortium schlägt in seinem mehr als 700 Seiten dicken Werk „einen neuen Rahmen der Planung vor, der die wissenschaftlich begründete Ermittlung des Versorgungsbedarfs und dessen regionale Ausweisung in Arztkapazitäten in einem Konzept vereint“. Was das konkret bedeutet, erläuterte Konsortialführerin Professor Dr. Leonie Sundmacher von der Ludwig-Maximilians-Universität München bei der KBV-Herbsttagung.

Diverse Befragungen zeigen, dass Patienten im Wesentlichen zufrieden mit dem ambulanten Gesundheitssystem sind. Die Mehrheit sagte z.B. bei der KBV-Versichertenbefragung und im Gesundheitsmonitor, dass sie innerhalb weniger Tage einen Termin beim Arzt erhält.

Versorgungsplanung trotz Nachbesserung unzureichend

Dennoch hakt es, wie das Gutachten für den G-BA verdeutlicht: „Trotz eines akuten Problems warteten 14,3 %, 19,7 % bzw. 26,7 % der Befragten länger als 28 Tage auf einen Termin beim Augenarzt, Hautarzt bzw. Nervenarzt.“ Allerdings habe keine der ausgewerteten Studien und der verwendeten Datenquellen die Dringlichkeit des Arzttermins präzise abgebildet. Es gebe jedoch Hinweise darauf, dass andere Faktoren als die Dringlichkeit des Termins die Länge der Wartezeit beeinflussten. Die Autoren empfehlen deshalb ein „bundesweites und regionales Monitoring des Zugangs, von Ressourcen und Versorgungszielen“. Regionale Planer könnten ein solches Monitoring nutzen, um mögliche Defizite in der Gesundheitsversorgung einer Region zu identifizieren und korrigierende Maßnahmen zu ergreifen.

Zuerst einmal ist es notwendig, den Versorgungsbedarf zu definieren. Die 1977 eingeführte Bedarfsplanung wurde in den 1990er-Jahren weiterentwickelt mit dem Ziel, die Zahl der niedergelassenen Ärzte regional zu begrenzen. Das funktionierte aber nicht wie gewünscht. Die Gutachter verweisen auf weitere Nachbesserungen an der Bedarfsplanung durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz und das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz, etwa die Einführung des Demografiefaktors.

Sie empfehlen darüber hinaus, signifikante Veränderungen des Versorgungsbedarfs je Einwohner hinsichtlich der Alterung sowie die Zu- und Abnahme von Krankheitsbildern zu berücksichtigen. Patienten mit vergleichbarer Morbidität sollte unabhängig vom Wohnort ein vergleichbarer Versorgungsbedarf zugewiesen werden.

Vorschläge von GKV und Sachverständigenrat

„Das Gutachten lässt dem G-BA Spielraum bei seinen Entscheidungen und bildet eine gute Grundlage für die Weiterentwicklung der Bedarfsplanung. Gleichzeitig werden aber auch die Grenzen des bestehenden Rechtsrahmens deutlich“, sagt Dr. Thomas Uhlemann vom GKV-Spitzenverband. Für eine grundlegende Neuorientierung wäre es erforderlich, vor allem die Wiederbesetzungsregelung abzuschaffen. Das derzeitige Nachbesetzungsverfahren ist auch aus Sicht von Professor Dr. Wolfgang Greiner, Mitglied des Sachverständigenrates Gesundheit, zu reformieren. So sei z.B. eine zeitliche Limitierung der kassenärztlichen Zulassung bei Medizinischen Versorgungszentren oder Berufsausübungsgemeinschaften (z.B. auf 30 Jahre) erforderlich, um ein dauerhaftes Entziehen von Sitzen aus der Bedarfsplanung zu vermeiden. Prof. Greiner regt zudem eine stärkere Leistungsorientierung an, z.B. durch Betrachten geleisteter Arztstunden oder die Kopplung der Arztsitzvergabe an die Verpflichtung zum Erbringen eines bestimmten (Grund-)Leistungsspektrums.

Mindesterreichbarkeit zukünftig berücksichtigen

Entscheidend für eine ausreichende Versorgung ist letztlich aber, wie der definierte Bedarf in der Realität umgesetzt wird, sprich wie viele Ärzte tatsächlich die notwendigen Leistungen erbringen. Dazu stellen die Gutachter ein neues Konzept zur Berechnung der Verhältniszahlen und des Versorgungsgrades vor, das auch Mitversorger berücksichtigt. Berechnet und dargestellt werden die zusätzlichen Arztkapazitäten gegenüber den Ist-Kapazitäten in der hausärztlichen und der allgemeinen fachärztlichen Versorgung – auch unter Berücksichtigung von Mindesterreichbarkeiten. Demnach beziffern die Autoren den Mehrbedarf (bezogen auf 2016) zu einem Versorgungsgrad von 100 % u.a. auf 4098 Hausärzte und 368 Augen­ärzte. Bei einem Versorgungsgrad von 110 % würden 7058 Hausärzte und 567 Augenärzte zusätzlich benötigt. Basis der Kalkulation ist eine wöchentliche Arbeitszeit von 51 Stunden und eine Mindestsprechstundenzahl von 20 Stunden. Ändern sich diese Zeiten signifikant, soll das in der Bedarfsplanung berücksichtigt werden. Die Autoren empfehlen zudem, Basisleistungen festzulegen, die je nach Fachgruppe ein Arzt in der Grundversorgung abdecken muss.

Keine Nachbesetzung bei Überversorgung

Zudem wird im Gutachten eine sektoren-übergreifende Bedarfsplanung nahegelegt, um parallel bestehende Kapazitäten gezielt für eine bedarfsgerechte Versorgung nutzen zu können. Priorisiert werden könnten in der Planung Teile der spezialisierten fachärztlichen Versorgung und der gesonderten fachärztlichen Versorgung. Auch eine Steuerung bei festgestellter Über- und Unterversorgung regen die Gutachter an. So soll ein Antrag auf Nachbesetzung ab einem Versorgungsgrad von 140 % abgelehnt werden müssen, bei 110 % abgelehnt werden können. Ihrer Ansicht nach stehen nicht am Bedarf orientierte Ausnahmeregelungen bei Zulassungen wie Status des Antragstellers (Ehepartner, Kind) zurzeit einem effektiven Abbau von Überversorgung im Weg. Nicht berücksichtigt wurde im Gutachten der Einsatz von angestellten Ärzten sowie die Auswirkungen der Alterung innerhalb der Ärzteschaft.

Zusätzliche Arztsitze durch Einbinden von NäPas

Im Gutachten für den G-BA wird auch die Delegation von Leistungen und die Kompensation von Leistungen zwischen Arztgruppen betrachtet. Empfohlen wird, dass Hausärzte sich in unterversorgten oder von Unterversorgung bedrohten Regionen statt nur auf einen Sitz künftig auf 1,25 Sitze bewerben können, wenn sie durch nicht-ärztliche Praxisassistenten (NäPa) mit mindestens einer halben Stelle unterstützt werden. Alternativ, heißt es, könnten sich vier Hausärzte, die jeweils mindestens 0,5 NäPas beschäftigen, gemeinsam auf einen weiteren Arztsitz bewerben. Die Gutachter erklären weiterhin, dass es aus organisatorischen Gründen möglich sein müsse, dass die NäPas für mehrere Praxen tätig sind. „Scheidet beispielsweise einer von fünf Hausärzten in einer Region aus, können die verbleibenden vier Hausärzte mit entsprechender Unterstützung durch nicht-ärztliche Praxisassistenten die Versorgung weiterhin aufrechterhalten.“
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