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Mehr Lobby pro Gesundheit: Politischer Ruck durch Überzeugungsarbeit und Druck

Gesundheitspolitik Autor: Heike Dierbach

Gesundheitsexperten sollen Druck auf die Politik machen, damit sich etwas verändert. Gesundheitsexperten sollen Druck auf die Politik machen, damit sich etwas verändert. © Spectral-Design – stock.adobe.com
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Müssen Wissenschaftler aktiver in die Öffentlichkeit gehen, um vor ungesunden Entwicklungen zu warnen – und wenn ja, wie? Experten diskutierten diese Fragen in Berlin.

Viele Entscheidungen, die großen Einfluss auf die Gesundheit der Bevölkerung haben, werden in Politikfeldern außerhalb der Gesundheitspolitik getroffen, etwa in der Verkehrspolitik, Stadtplanung oder im Verbraucherschutz. Der Einfluss von Gesundheitsexperten ist hier oft gering. Wie lässt er sich steigern? Reicht es, allein durch Daten und Analysen die Politik – hoffentlich – zu überzeugen? Oder kann man aktiver werden und sollte es auch, als anwaltliche Vertretung von gesundheitlich benachteiligten Bevölkerungsgruppen?

Diese Fragen diskutierte das Fachforum „Ohne Druck kein Ruck – Wie Public Health in Deutschland lauter werden kann“ auf dem Kongress „Armut und Gesundheit“ in Berlin.

Ungesundes ist überall verfügbar und oft billig

Auch Diabetes ist eine gesellschaftliche Herausforderung, erläuterte Professor Dr. Rüdiger Landgraf, ehemaliger Präsident und Vorstandsmitglied der DDG sowie Oberarzt und Leiter der Abteilung Endokrinologie und Diabetologie in der Medizinischen Klinik Innenstadt Klinikum der Universität München. Bis zum Jahr 2040 wird es in Deutschland 10 bis 12 Millionen Patienten mit Typ-2-Diabetes geben.

Dabei wäre ein Großteil der Risikofaktoren für diese Krankheit vermeidbar, etwa energiereiche Nahrung, Rauchen oder übermäßiger Alkoholkonsum. „Aber die Patienten haben schlechte Chancen, das im Alltag umzusetzen“, sagte Prof. Landgraf. Etwa, weil sie nicht auf einen Blick erkennen können, wie gesund oder ungesund ein Lebensmittel ist. Und weil Ungesundes überall verfügbar und oft billig ist. „Wir haben insofern eine diabetogene Umwelt.“

Um diese zu verändern, müssten viele Institutionen an einem Strang ziehen – vor allem aber die Politik. Doch aus Plänen wie dem Nationalen Aktionsplan oder dem Nationalen Diabetesplan seien bislang keine Maßnahmen gefolgt.

Dr. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, erläuterte, warum sich der BVKJ explizit eine „politische Kinder- und Jugendmedizin“ auf die Fahnen geschrieben hat: „Wir haben durch die Vorsorgeuntersuchungen Zugang zu allen sozialen Schichten und wir erfahren viel.“

Nötig: Softdrinks besteuern, Lebensmittel klar kennzeichnen

Armut sei ein klarer Risikofaktor für Kinder, gesundheitliche Einschränkungen zu entwickeln. So habe ein Junge aus einer sozial schwachen Familie hierzulande ein 4,4-fach höheres Risiko, adipös zu werden, als ein Junge aus einer wohlhabenden Familie. Der BVKJ fordert deshalb unter anderem eine einfache Kennzeichnung von Lebensmitteln und eine Besteuerung zuckerhaltiger Getränke. „Ohne Druck“, so Dr. Fischbach, „wird es keinen Ruck für Gesundheit geben.“

Die Geschäftsführerin der DDG, Barbara Bitzer, stellte auf dem Forum vor, mit welchen Strategien die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) ein wissenschaftliches Gegengewicht zur „Ungesundheits“-Lobby bildet. „Nach unserer Erfahrung schließen sich Druck und Überzeugungsarbeit nicht aus. Im Gegenteil: Beides verstärkt sich.“ Was möglich wäre, wenn die Politik entschlossen handelt, zeigt das Beispiel Chile, das der Politikwissenschaftler Tim Dorlach von der Universität Koç in Istanbul erforscht. In dem südamerikanischen Land müssen Produkte mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt seit 2016 schwarze Warnhinweise in Stoppschildform auf der Vorderseite der Verpackung tragen: „viel Zucker“, „viel Fett“ oder „viele Kalorien“. Produkte mit einem Stoppschild dürfen tagsüber nicht im Fernsehen beworben, nicht im Umfeld von Schulen verkauft und nicht an Kinder vermarktet werden – deshalb sind etwa auch Überraschungseier in Chile verboten.

Öffentliche Kommunikation auf den Schutz der Kinder auslegen

Politisch möglich wurden diese Maßnahmen, weil sich ein engagierter Wissenschaftler und ein Politiker dafür öffentlich einsetzten. „In der Kommunikation wurde von Beginn an ein Schwerpunkt auf den Schutz von Kindern gelegt“, berichtete Dorlach. „Das hat es deutlich schwerer gemacht, gegen die Maßnahmen zu argumentieren.“ Das in Deutschland beliebte Argument des „mündigen Bürgers“, den man nicht bevormunden dürfe, war damit entkräftet.

Quelle: Kongress „Armut und Gesundheit“

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