Sterbehilfe Suizidassistenz: Ärztinnen und Ärzte im Dilemma zwischen Hilfe & Haftung

Gesundheitspolitik Autor: Angela Monecke

Wer seit November 2024 eine Anfrage zur Assistenz bei der Selbsttötung erhalten bzw. Suizidassistenz geleistet hat, konnte dazu 26 Fragen anonymisiert beantworten. Wer seit November 2024 eine Anfrage zur Assistenz bei der Selbsttötung erhalten bzw. Suizidassistenz geleistet hat, konnte dazu 26 Fragen anonymisiert beantworten. © volha_r - stock.adobe.com

Tödliche Narkosen, ethische Zweifel und juristische Risiken: Bei ärztlicher Suizidassistenz liegt vieles im Nebel. Ein Forschungsprojekt zeigt, wie oft Ärztinnen und Ärzte an Grenzen stoßen – ohne klare Regeln und mit hohem Risiko. 

Die juristische Lage rund um die Suizidassistenz bleibt unklar. Seit die assistierte Selbsttötung in Deutschland vermehrt diskutiert wird, ist die Zahl der assistierten Suizide jedoch stark angestiegen, wie Sterbehilfeorganisationen melden. Bisher gibt es allerdings nur wenige empirische Informationen, wie mit Anfragen nach Suizidassistenz umgegangen wird. Auch mancher hausärztlicher Kollege landete schon vor Gericht, weil er einen Menschen bei seinem Wunsch zu sterben unterstützt hat (siehe Kasten). 

„Anfragen und Praxis bezüglich Assistenz bei der Selbsttötung“ heißt ein Bericht- und Lernsystem, das diese Informationslücke schließen will. Das Projekt wurde unter Beteiligung von Mitgliedern des interdisziplinären „Forschungsnetzwerks zur Suizidassistenz“, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird, initiiert und ist unter Federführung der Universitätsmedizin in Halle im November 2024 gestartet. Zur Falldokumentation gibt es ein anonymes Register, in dem Fachleute wie Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte und Hospizmitarbeitende Fälle dokumentieren können.

Parallel dazu läuft eine Umfrage bei Personen, die schon solche Anfragen hatten, erläuterte Prof. Dr. Jan Schildmann, Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Universitätsmedizin Halle sowie Sprecher und Koordinator des Forschungsnetzwerks. Er stellte die ersten Ergebnisse unlängst bei einer Online-Veranstaltung gemeinsam mit weiteren Initiatoren des Registers vor.

Wer seit November 2024 eine Anfrage zur Assistenz bei der Selbsttötung erhalten bzw. Suizidassistenz geleistet hat, konnte dazu 26 Fragen anonymisiert beantworten. Es handele sich um selbst berichtete Daten, die sich nicht einzeln überprüfen ließen, man könne deshalb nicht von einer Repräsentativität ausgehen, so Prof. Dr. Thomas Pollmächer, Direktor des Zentrums und Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Ingolstadt.

Wegen Suizidhilfe in Haft

Für zwei Ärzte hatte ihre Mitwirkung an einer assistierten Selbsttötung jüngst strafrechtliche Konsequenzen. Einer von ihnen musste seine Haft inzwischen antreten: Der Neurologe und Psychiater Dr. Johann Spittler aus Essen wurde im Februar 2024 vom dortigen Landgericht zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt (Az. 24 Ks 22/22). Er hatte einem 42-jährigen Patienten mit paranoider Schizophrenie eine tödliche Infusion verabreicht. Das Gericht sah keine Freiverantwortlichkeit des Suizidwunsches und bewertete die Handlung als Totschlag in mittelbarer Täterschaft. Die Revision wurde vom Bundesgerichtshof im Januar 2025 abgewiesen (Az. 4 StR 265/24). Aufgrund des Alters von Dr. Spittler (81 Jahre) war der Haftantritt zunächst ausgesetzt. Im Juli musste er sich in der JVA Bielefeld einfinden und hofft nun auf einen offenen Vollzug.

Wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft wurde der Berliner Hausarzt Dr. Christoph Turowski im April 2024 vom Landgericht zu drei Jahren Haft verurteilt (Az. 540 Ks 2/23). Er hatte einer 37-jährigen Studentin mit schweren Depressionen beim Suizid assistiert. Das Gericht stellte fest, dass der Wille der Patientin nicht frei und stabil gebildet war. Dr. Turowski legte Revision ein; eine rechtskräftige Entscheidung steht noch aus. Der Haftantritt ist ebenfalls noch nicht erfolgt.

Dr. Turowski war 2018 in einem ähnlichen Fall freigesprochen worden. Damals hatte er einer chronisch kranken 44-jährigen Patientin auf deren Wunsch hin Schlaftabletten zur Selbsttötung überlassen. Sowohl das Landgericht Berlin als auch später der Bundesgerichtshof erkannten eine freiverantwortliche Entscheidung der Patientin an (Az. 5 StR 132/18).

Verlust der Selbstbestimmung beschäftigt Betroffene

Ausgewertet wurden 133 Fallberichte. Die Mehrheit der Befragten – überwiegend Ärztinnen und Ärzte – gaben an, sich unter bestimmten Bedingungen vorstellen zu können, bei der Selbsttötung zu assistieren. Die Anfragen stellten meist Personen über 70 Jahre mit onkologischen, neurologischen oder psychischen Erkrankungen. An erster Stelle stand die Sorge um den Verlust der Selbstbestimmung und der Selbstständigkeit. Erst danach nannten die Betroffenen körperliche oder konkrete Symptome wie Schmerzen. 47 Personen erhielten eine ambulante palliative, 40 eine psychiatrisch-psychotherapeutische Begleitung. 

Dr. Alfred Simon von der Universität Göttingen berichtete, dass in 22 Fällen eine Suizidassistenz erfolgte – meist per Narkoseinfusion. Bei 46 Menschen kam es trotz Anfrage nicht dazu. In drei Viertel der Fälle prüften Ärztinnen und Ärzte die Freiverantwortlichkeit. Prof. Dr. Georg Marckmann, Vorstand des Instituts für Ethik der LMU München, betonte, dass die Prüfung der Freiverantwortlichkeit – eine zentrale Voraussetzung für jede Suizidassistenz – sehr unterschiedlich gehandhabt wurde. Meist umfasste sie mehrere Gespräche mit verschiedenen Beteiligten, darunter Haus- und Fachärztinnen bzw. -ärzte sowie Kolleginnen und Kollegen aus der Psychologie. Teils gab es auch juristischen Rat. Häufig wurden medizinische Unterlagen gesichtet, Alternativen besprochen und die Dauerhaftigkeit des Sterbewunsches geprüft. Teilweise erfolgte auch eine Einschätzung zur Plausibilität des Wunsches, obwohl dies rechtlich nicht gefordert ist.

Weitere Gespräche geführt und Symptome kontrolliert

In den Fällen, in denen sich keine Suizidassistenz ergab, erfolgten überwiegend weitere Gespräche bzw. eine intensivierte Symptomkontrolle oder Schmerztherapie. 10 % der Personen verstarben in dem Zeitraum an ihrer Erkrankung. 

Um mit solchen Anfragen besser umgehen zu können, wünschen sich die Befragten vor allem klare rechtliche Regelungen und Leitlinien. Kritik gab es auch an der „Diskriminierung“ bei psychiatrischen Diagnosen und kognitiven Einschränkungen.