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Bundesverfassungsgericht: Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe verfassungswidrig

Gesundheitspolitik Autor: Isabel Aulehla

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts warnen viele Verbände vor einer Normalisierung des Suizids. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts warnen viele Verbände vor einer Normalisierung des Suizids. © iStock/Barcin
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Das Bundesverfassungsgericht hat das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe für nichtig erklärt. Ohne Dritte könne der Einzelne seine Entscheidung zur Selbsttötung nicht umsetzen. Dies müsse rechtlich auch möglich sein. Ärztliche Gremien und Politiker reagieren gespalten.

„Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen.“ Mit dieser Begründung hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) den § 217 Strafgesetzbuch, das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe, für verfassungswidrig erklärt.

Damit entfällt die Strafandrohung für Mediziner, die wiederholt Beihilfe zum Suizid leisten, etwa indem sie tödliche Medikamente zur Verfügung stellen. Einnehmen müssen Patienten diese weiterhin selbst, die aktive Sterbehilfe bleibt verboten.

Dem Gesetzgeber sei es nicht von Verfassungs wegen untersagt, die Suizidhilfe zu regulieren, so das BVerfG. „Er muss dabei aber sicherstellen, dass dem Recht des Einzelnen, sein Leben selbstbestimmt zu beenden, hinreichend Raum zur Entfaltung und Umsetzung verbleibt.“

Organisierte Beihilfe zur Selbsttötung muss verhindert werden

Die Reaktionen auf das Urteil sind geteilt. Die SPD im Bundestag forderte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn dazu auf, die Abgabe der notwendigen Medikamente zu ermöglichen und Rechtssicherheit für Ärzte zu schaffen. Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, betonte, dass der Gesetzgeber nun ausloten müsse, wie weit die Suizidhilfe juristisch reguliert werden muss. Zudem müsse die Gesellschaft „Mittel und Wege finden, die verhindern, dass die organisierte Beihilfe zur Selbsttötung zu einer Normalisierung des Suizids führt.“ Vor Verkündung des Urteils hatte Dr. Reinhardt erklärt, die Regelung nach § 217 sei ausreichend, da dieser nur die wiederholte, geschäftliche Sterbehilfe eines Arztes untersage. In einem Radio­interview sagte er: „Aus unserer Sicht ist der Suizid etwas, das in krankhaften Zuständen erfolgt, wenn Menschen depressiv oder lebensmüde sind oder weil ihre soziale Situation vielleicht Vereinsamung bedeutet. Das sind Dinge, bei denen wir der Auffassung sind, dass wir anders helfen sollten als den Menschen die Möglichkeit zu verschaffen, sich das Leben zu nehmen.“ Der Präsident der Bundesärztekammer warnte davor, dass eine Legalisierung des assistierten Suizids ein Schritt in Richtung des niederländischen Modells des Tötens auf Verlangen sein könnte.

„Angebot schafft Nachfrage“

Auch die Diakonie fürchtet, dass die Debatte nun eine unkontrollierbare Dynamik entwickelt. Ältere Menschen dürften sich nicht unter Druck gesetzt fühlen, auf medizinische Maßnahmen zu verzichten, weil sie Angst haben, ihre Behandlung sei zu teuer für die Angehörigen, meint der Präsident Ulrich Lilie. Der Vorsitzende der Deutschen Palliativ-Stiftung, Dr. Thomas Sitte, argumentiert ähnlich. „Angebot schafft Nachfrage“, warnte er in verschiedenen Medien. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP), Professor Dr. Lukas Radbruch, hatte vor Verkündung des Urteils betont, dass Mediziner und schwerkranke Patienten oft nicht wüssten, welchen juristischen Freiraum sie im Fall eines Sterbewunschs haben. „Wir brauchen deshalb mehr Informationen über die bestehenden Möglichkeiten, keine offene Tür für geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid“, erklärte der Palliativmediziner in einer Pressemitteilung.

Zuerst alle Optionen anbieten

Die Fachgesellschaft fordert Ärzte dazu auf, gründlich zu eruieren, warum ein Patient sterben möchte. Die Forschung weise darauf hin, dass Todes- und Lebenswunsch oft nebeneinander existieren. Der Wunsch, nicht mehr leben zu wollen, sei vor allem ein Wunsch, „so“ nicht mehr leben zu wollen, heißt es in der Pressemitteilung. „Die häufigste Begründung für einen Sterbewunsch, die ich höre, ist, niemandem zur Last fallen zu wollen“, berichtet Prof. Radbruch. Mediziner sollten Betroffenen zunächst alle Optionen anbieten, die das Leiden abmildern, empfiehlt die DGP. So etwa palliativmedizinische, psychosoziale und seelsorgerische Angebote. Ärzte müssen nicht gegen ihre Überzeugungen beim Suizid assistieren, ebenso wenig sollten sie ihn als Option empfehlen. Patienten müssen ihren Sterbewunsch zudem freiverantwortlich äußern, nicht etwa aufgrund einer psychischen Erkrankung oder äußeren Drucks.

Medical-Tribune-Bericht

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