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Multimedikation bei Senioren Auf Risiken und Nebenwirkungen achtet der Fallmanager

Praxismanagement , Patientenmanagement Autor: Michael Reischmann

Senioren ab 65 nehmen im Schnitt 4,4 Medikamente pro Tag ein, berichtet die AOK für das Jahr 2021. Senioren ab 65 nehmen im Schnitt 4,4 Medikamente pro Tag ein, berichtet die AOK für das Jahr 2021. © pikselstock – stock.adobe.com
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Rund 12 % aller an ältere Menschen verordneten Arznei-Tagesdosen sind potenziell ungeeignet; nahezu jeder zweite gesetzlich Versicherte im Alter von 65+ ist laut AOK davon betroffen. Das klingt bedrohlich. Läuft da etwas schief in den Praxen? Ein Hausarzt schildert seine Erfahrungen mit Patienten, Kollegen, Apotheken und der Arzneisoftware.

Dr. Dieter Burchert führt in Mainz eine hausärztlich-internistische Diabetes-Schwerpunktpraxis. Ungefähr 60 % seiner Patienten haben das Alter von 65 Jahren überschritten. Das sind Patienten, die aufgrund von Übergewicht, einer Nierenerkrankung, eingeschränkter Leberfunktion, Bluthochdruck, Diabetes, Schmerzen, Schwindel, Osteoporose und anderen Beschwerden einen komplexen Behandlungsbedarf haben. Durch die Betreuung im DMP, akute Erkrankungen, parallele fachärztliche Behandlungen und Selbstmedikation kann es durchaus passieren, dass diese Patienten acht bis zwölf Tabletten am Tag einnehmen. Der vom Case-Manager Dr. Burchert geführte Medikationsplan wird länger und länger. 

Von den Abertausenden Medikamenten, die in seiner Arzneimitteldatenbank gelistet sind, verordnet er etwa 80 häufig, schätzt der Hausarzt. Das basiert vor allem auf Erfahrung und festen Schemata. „Zum Glück sind nicht alle Medikamente mit starken Nebenwirkungen behaftet“, sagt Dr. Burchert. „Eine der Aufgaben, die wir zu gewährleisten haben, ist es, die Leber- und Nierenfunktion unserer Patienten im Blick haben und die Patienten zu fragen, wie es ihnen geht.“ 

Praxismanagement im Podcastformat

Die erste Staffel des Pod­casts O-Ton Innere Medizin ist ein gemeinsames Projekt von Medical Tribune und der AG Hausärztliche Internisten der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM). Bisherige Folgen in der Reihe „Praxis­management“ sind: 

  • Medizintechnik – rechnet sich das?
  • Klimaschutz in der Arztpraxis
  • Wie eine gute Teamleitung zu einem guten Team führt
  • Volles Wartezimmer – voll das Problem?
  • Ärztliche Angestellte in der Praxis – für wen sich das lohnt

Jetzt anhören und kostenfreie Tipps fürs hausärztliche Management abholen »

„Ich habe noch nie einen Labor­bonus bekommen“, berichtet der Internist. „Den Laborbonus kriegt ein Hausarzt, der wenig macht. Ich habe Regresse gekriegt – mit der Begründung ,Du machst zu viel‘.“ Das lag am Diabetes-Schwerpunkt. Heute sind Regresse kein Thema mehr.

Die sog. Priscusliste führt mittlerweile über 170 Wirkstoffe auf, die für Menschen über 65 potenziell ungeeignet sein können. Dr. Buchert ordnet „potenziell inadäquat“ so ein: Die Eignung hängt beim konkreten Patienten nicht nur von dessen Alter ab, sondern z.B. auch von Dosierung, Zeitabständen, Körpergewicht, Leber- und Nierenleistung. Zudem besagt eine Verordnungsregel: „Start slow and go slow.“

„Ein Patient läuft nicht stabil durchs Leben. Es geht auf und ab“, schildert Dr. Buchert in unserem Podcast O-Ton Innere Medizin Erlebnisse aus seiner Praxis. Ein Patient nimmt vielleicht wegen eines Infekts zusätzlich ein Schmerzmittel ein, das zu einer Wechselwirkung mit einem seiner Dauermedikamente führt. Oder er hat Durchfall, woraufhin seine Medikamente nicht wie gewünscht resorbiert werden. Es gibt viele Faktoren, von denen der Hausarzt zunächst nichts mitbekommt, die aber zu plötzlichen Problemen führen, bei denen dann der Kliniker in der Notaufnahme die Hände über dem Kopf zusammenschlägt: Ja, hat denn der Hausarzt nicht aufgepasst?!

Auch seitens der Apotheken werden Zweifel an der Kompetenz des Hausarztes gestreut. „Mir ist es schon passiert, dass ein Patient mit vier DIN-A4-Seiten zu mir zurückkam. Ich soll noch mal drüber gucken. Es sei potenziell tödlich, was er da zusammen einnimmt“, erzählt Dr. Burchert. Dabei könne der Apotheker mit seiner Neben- und Wechsel­wirkungsanalyse die Situation des Patienten mangels medizinischer Daten gar nicht einschätzen.

„Ich drucke bestimmt bis zu 800 Medikamentenpläne pro Quartal aus und versuche immer, sie zu aktualisieren. Das kostet Zeit.“, sagt der Arzt. „Und was macht der Patient? Er lässt die Dokumente schön zu Hause und geht allein mit seinem Überweisungsschein zum Facharzt, weil er glaubt, er habe nur den Zielauftrag, sich das Herz oder die Nieren untersuchen zu lassen. Er versteht gar nicht, dass der dortige Kollege auch eine Pflicht hat, die ganze Pharmakotherapie abzufragen.“ 

Der Medikationsplan in der Cloud würde viel helfen

Dr. Burchert plädiert für einen standardisierten Medikationsplan in einer Cloud, auf den Ärzte, Therapeuten und Apotheker mit Zustimmung des Patienten zugreifen können. Denn bei allen anderen Lösungen sei die Wahrscheinlichkeit, dass ein Großteil der Patienten die erforderliche Information nicht mit sich führen wird, sehr hoch.

Wenn Sie mehr erfahren möchten, wie der Kollege mit der Herausforderung Polypharmazie beim älteren Patienten umgeht, hören Sie sich bitte die gut halbstündige Podcastfolge „Medikamente im Alter“ an. Angesprochen wird darin auch:

  • Was für die elektronische Patientenakte spricht.
  • Warum es wichtig ist, dass die Hausärzte die Hoheit bei der Betreuung behalten und die Verantwortung für den Medikationsplan übernehmen. Und welche Kontrollaufgaben MFA und Assistenzberufe übernehmen können.
  • Wenn Angehörige von Patienten den zehnseitigen Entlassbrief des Krankenhauses in der Hausarztpraxis auf den Tresen knallen und rufen: „Ich brauche die Tabletten, die da drinstehen!“
  • Therapietreue: Welche Absprachen kann der Hausarzt mit Angehörigen und Pflegekräften treffen?
  • Der Einfluss der Arzneimittelsoftware auf das Verordnungsverhalten – und der Overkill an Warnmeldungen.
  • Vorteile, Risiken und Nebenwirkungen von Apps und DiGA.

Medical-Tribune-Bericht

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