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Malnutrition Mögliche Mangelernährung von Senioren im Blick behalten

Autor: Dr. Anne Benckendorff

Um Malnutrition unter älteren Erwachsenen zu erkennen, sollten routinemäßige Screenings zum Standard gehören. (Agenturfoto) Um Malnutrition unter älteren Erwachsenen zu erkennen, sollten routinemäßige Screenings zum Standard gehören. (Agenturfoto) © zinkevych – stock.adobe.com
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Viele ältere Menschen weltweit sind mangel­ernährt, vor allem in Heimen und Krankenhäusern. Ein Screening auf Malnutrition und ein entsprechender Ausgleich sind in vielen Leitlinien verankert, die Umsetzung lässt jedoch zu wünschen übrig.

Unter den Begriff der Mal­nutrition fallen sowohl Übergewicht und Adipositas als auch die Unterernährung. Insbesondere Letztere kann bei älteren Menschen schwerwiegende Folgen haben. Dazu zählen:

  • stärkere Gebrechlichkeit
  • Abbau von Muskelmasse
  • verminderte Immunfunktion
  • erniedrigte Körpertemperatur
  • Osteoporose
  • Stimmungsschwankungen
  • kognitive Einschränkungen
  • verminderte Lebensqualität
  • vorzeitiger Tod 

Zudem verschlechtern sich durch Mangelernährung viele chronische Erkrankungen. Auch Wundliegen, eine schlechtere Wundheilung, Stürze sowie Einweisungen ins Krankenhaus und Pflegeheim werden dadurch begünstigt. Selbstredend geht dies alles mit hohen Kosten einher. Wie Dr. ­Elsa ­Dent von der Torrens University Australia in Adelaide und Kollegen ausführen, weisen weltweit rund 3 % aller älteren Erwachsenen, die in ihrer eigenen Wohnung leben, eine Mangelernährung auf, gut ein Viertel hat ein erhöhtes Risiko dafür. Unter den durch einen Pflegedienst Betreuten sind knapp 9 % mangel­ernährt, im Krankenhaus 22 % und in Pflegeheimen fast 29 %. Allerdings gibt es große regionale Unterschiede – in Europa sind die Raten geringer als beispielsweise in Indien oder Teilen Afrikas.

Chronische Krankheiten schlagen auf den Appetit 

Ursachen gibt es viele. Erkrankungen wie COPD, Herzinsuffizienz oder chronisches Nierenversagen können z.B. durch entzündliche Prozesse den Appetit mindern und den Muskelabbau fördern. Aber auch Erkrankungen ohne Inflammation wie Schlaganfälle, Morbus Parkinson oder Demenzen begünstigen oft eine Mangelernährung, indem sie das Essen zur Herausforderung machen und/oder mit Schluckstörungen einhergehen.

Verschiedene physiologische Vorgänge im Alter erschweren ebenfalls eine adäquate Nahrungsaufnahme und können zur Abnahme von Appetit und Muskelmasse führen, z.B. vermindertes Riechen, Schmecken und Sehen. Schließlich können häufige Übelkeit, Erbrechen sowie Malabsorption, etwa durch Medikamente, zu einer Malnutrition beitragen. Daneben nennen die Autoren Probleme wie ein geringes Einkommen und hohe Lebenshaltungskosten, mangelnden Zugang zu Nahrungsmitteln, psychologische Faktoren und soziale Isolation als Ursachen bzw. Risikofaktoren. 

Zahlreiche Fachgesellschaften empfehlen vor diesem Hintergrund unabhängig vom Gewicht der Betroffenen ein routinemäßiges Screening auf Mangelernährung bei allen älteren Erwachsenen in allen Gesundheitssettings. Dafür existieren validierte Tools, die typischerweise einfach anzuwenden sind. Sie umfassen anthropometrische Parameter (z.B. BMI, Umfang der Wade und des Arms) in Kombination mit kurzen Fragen zu Gewichtsverlust sowie Veränderungen des Appetits und der Nahrungsaufnahme. Bei einem auffälligen Ergebnis sollte sich eine systematische Beurteilung der Ernährung, ebenfalls mittels eines validierten Tools, anschließen. Dazu gehören neben einem Ernährungstagebuch auch biochemische Marker, Informationen über Lebensstilfaktoren, die Körperzusammensetzung und funktionelle Parameter wie die Griffstärke oder Laufgeschwindigkeit. Ein Goldstandard für die Diagnose einer Mangelernährung exis­tiert allerdings bislang nicht.

Um dem Defizit zu begegnen, die Energieaufnahme zu verbessern und die körperliche Funktionsfähigkeit zu erhalten, raten die Leitlinien dazu, einen individuellen Ernährungsplan aufzustellen. Dieser Plan sollte u.a. die Präferenzen und Prioritäten der Betroffenen berücksichtigten, eventuelle chronische Erkrankungen sowie Umwelt- und psychosoziale Faktoren einbeziehen. 

Wie die Autoren erklären, führen in der Praxis jedoch zahlreiche Barrieren dazu, dass eine Mangelernährung – oder ein Risiko dafür – nur selten erkannt und die Betroffenen noch seltener adäquat versorgt werden. Zu den Ursachen hierfür gehören ein fehlendes Bewusstsein, eine unzureichende  Ausbildung oder Überlastung bei Gesundheitsfachkräften sowie unklare Verwantwortlichkeiten. Außerdem werden häufig keine validierten Tools verwendet. Dies alles führt dazu, dass meist erst bei unübersehbaren Zeichen für eine Mangelernährung gehandelt wird. Dann jedoch lässt sie sich kaum noch  ausgleichen. Serumalbumin als Bio­marker für eine Mangelernährung gilt als extrem unzuverlässig und sollte daher keinesfalls verwendet werden, warnen die Autoren. 

Es fehlt an qualitativ hochwertigen Studien

Um die Qualität der Versorung zu verbessern, bedarf es nach Ansicht von Dr. Dent und Koautoren zunächst qualitativ hochwertiger Studien. Auf deren Grundlage könnten dann evidenzbasierte Definitionen und Empfehlungen formuliert werden. Als weitere Tipps nennen sie u.a., sich stärker auf die individuelle Situation der Betroffenen zu konzentrieren und die Umsetzbarkeit in der Praxis stärker zu berücksichtigen. In erster Linie aber könnte eine erhöhte Aufmerksamkeit für das Problem hilfreich sein.

Quelle: Dent E et al. Lancet 2023; DOI: 10.1016/S0140-6736(22)02612-5