„Digitale Tools werden uns sehr entlasten“ – Prof. Dr. Martin Storr im Video-Interview zu digitalen Gesundheitsanwendungen

Anlässlich des Kongress Viszeralmedizin (DGVS) 2025 sprach Prof. Dr. Martin Storr, Starnberg, im Interview zu den Möglichkeiten und Vorteilen von digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) für die Therapie von Reizdarmsyndrom.

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Warum ist Patientenedukation beim Reizdarmsyndrom so entscheidend für den Behandlungserfolg?

„Reizdarmpatienten haben enormes Informationsbedürfnis. Es ist ein Krankheitsbild, was in der Darm-Hirn-Achse sich abspielt. Allein dieser Begriff ist schon erklärungsbedürftig. Und die Patienten wollen zu Recht zu ihren langjährigen Problemen einfach die W-Fragen beantwortet haben. Das heißt, die Patienten sollen laut Leitlinie informiert werden über das Krankheitsbild, über das Krankheitskonzept, über die genaue Diagnosestellung und dann auch über die Therapieformen.

Da haben wir ganz viel Eigenverantwortliches, und das setzen die Patienten auch nur um, wenn sie verstehen, weshalb sie das tun sollen.“

Viele Patienten erleben Stigmatisierung. Wie gelingt es RDS verständlich und stigmafrei zu erklären?

„Wir haben ja für das Reizdarmsyndrom eine ganz klare Definition, also Diagnosekriterien. Und die sind stigmafrei. Und ich erlaube mir auch den Patienten, die zu erklären, weil es einfach nur drei Punkte sind. Haben sie Bauchschmerzen? Ist die Lebensqualität beeinträchtigt? Ist was anderes als erklärende Ursache möglich? Und da verstehen die Patienten auch, da ist nichts Psychisches dabei. Problem beim Reizdarm ist, die Menschen sind aufgrund der Chronizität oftmals psychisch mit auffällig.

Die haben Ängste, die haben Depressivität und es geht Hand in Hand. Man weiß gar nicht, was ist Henne und was ist Ei. Und da haben sie eine Sensibilität. Die bauen sie auf, weil sie wollen sozusagen nicht in die psychische Ecke gestellt werden. Und auch zu Recht nicht, weil im Prinzip ist es ein Krankheitsbild, was in der Mitte feststeckt. Das ist ein psychosomatisches Krankheitsbild und das muss man den Patienten erklären, dass sie sich das nicht einbilden.

Es ist eine echte Erkrankung, eine Erkrankung der Darm-Hirn-Achse, also eigentlich das Kopfkino, was im Bauch stattfindet. Und wenn man den Patienten das erklärt, dann können sie auch akzeptieren, wieso die Therapieformen, die dann kommen, gewählt werden müssen.“

Welche Elemente sollte eine DiGA für RDS kombinieren, damit Patientinnen und Patienten ganzheitlich profitieren?

„Eine DiGA ist ja im Prinzip im Volksmund nichts anderes als eine App zur Behandlung, also eine medizinische Behandlungsform. Und diese DiGA, wenn sie ganzheitlich sein möchte, muss als erstes mal den Patient mitnehmen, das Krankheitsbild erfassen können, dem Patient erklären können, warum er das Krankheitsbild hat und dann schrittweise die wesentlichen Therapiebausteine auswählen. Das heißt, ein Patient, der Ernährungsprobleme hat, möchte seine Therapie auf der Ernährungsseite beginnen und dann andere Module mit dazu bekommen.

Und ein Patient, der mehr Ängste hat und weniger Ernährungsprobleme, braucht zu Beginn schon mal Module, die sozusagen auf der Angstseite korrigieren oder unterstützen und erst dann mit der Ernährung so ein bisschen ausschweifender werden. Und das können DiGAs im Prinzip sehr, sehr gut, weil die Algorithmen im Hintergrund anhand der Fragebögen und der Auswertungen für den Patienten ja sehr gut erfassen, was sein Hauptproblem ist.

Und dann kann man dadurch gesteuert werden. Die Leitlinie, die sagt uns ja ganz klar, wir haben beim Reizdarm ein multimodales Therapiekonzept und multimodal ist in der Sprechstunde schwer umzusetzen. Weil wenn ich dem Patient alles erkläre, was er braucht, dann brauche ich im Prinzip eine Viertelstunde, 20 Minuten und die habe ich nicht. Und die DiGA, die kann das übernehmen und die Bausteine den Patienten erklären und einfügen.“

Digitale Medien haben oft Qualitätsmängel. Welche Rolle können DiGA als geprüfte und evidenzbasierte „multimodale Coaches“ hier einnehmen?

„Patienten sind im Prinzip ja auch nichts anderes als Menschen. Und die machen dasselbe wie wir alle. Wenn wir ein Problem oder eine Frage haben, schauen wir erst mal, dass man im Internet eine Lösung finden. Und das Internet hat eine ganz hohe Informationsbreite, aber eine ganz schlechte und unkontrollierte Informationstiefe. Das heißt, je nachdem, was für eine Frage ich formuliere, werde ich über verschiedenste Landingpages zu irgendwas geleitet.

Und genau das möchte man medizinisch nicht haben. Wenn ich einem Patienten ein digitales Tool zur Behandlung gebe, dann möchte ich, dass er sozusagen erstens die richtige Therapie bekommt, die richtige Therapie auch in der Art und Weise, wie es die Leitlinien empfehlen und auch mit kontrolliertem Inhalt. Und dafür brauche ich DiGAs. DiGAs haben sozusagen Qualitätsansprüche und die werden sozusagen von entsprechenden Behörden auch bezüglich ihres Inhaltes geprüft.

Und das sollen die Patienten haben. Ansonsten gibt es natürlich tolle Angebote, es gibt tolle Podcasts, die informieren, aber es gibt eben auch zu viel Gefahren. Das heißt, eine Behandlung nur im Internet unkontrolliert, auf gar keinen Fall.“

Glauben Sie, dass digitale Patientenedukation künftig ein Standardbestandteil der Versorgung bei Erkrankungen sein wird?

„Ich gehe fest davon aus und ich finde es schade, dass wir es die letzten zehn Jahre noch nicht hatten. Die Patienten haben viele Fragen. Wir haben sozusagen viele unterschiedliche Fragen und sie haben Komorbiditäten und es sind oftmals anstrengende Patienten. Und dennoch will man sie empathisch aufklären. Und die Leitlinie sagt, die brauchen die Aufklärung auch. Und da helfen uns digitale Tools, da sind die Antworten im Prinzip kontrolliert, die entsprechen dem wissenschaftlichen Standard und der Patient kann sie dann in der Tiefe und Frequenz abrufen, wie er sie haben möchte.

Ich glaube, dass digitale Tools uns sehr entlasten werden.“

Weitere Informationen rund um das Symposium: „Naturkraft trifft digitale Innovation: Evidenzbasierte Therapie von Disorders of Gut-Brain-Interaction“.

Quelle:
Video-Interview mit Prof. Dr. Martin Storr anlässlich des Kongress Viszeralmedizin (DGVS) 2025 in Leipzig