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Praxiskolumne Kommunikation in der (Dauer-)Krise

Autor: Dr. Nicolas Kahl

Ich kann es schon seit längerer Zeit nicht mehr leisten, Corona-Themen differenziert, authentisch und ohne Ironie in der Praxis zu erläutern. Ich kann es schon seit längerer Zeit nicht mehr leisten, Corona-Themen differenziert, authentisch und ohne Ironie in der Praxis zu erläutern. © Beton Studio – stock.adobe.com
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Hausärzt:innen sind es gewohnt, ihren Patient:innen komplexe Sachverhalte in einfachen Worten zu erläutern. Im Laufe der Coronapandemie sind sie aber unfreiwillig in die Situation gebracht worden, politische Entscheidungen erklären zu müssen.

Die Grundlagen der politischen Entscheidungen sind für uns Hausärzte nicht wirklich fachlich prüfbar und unsere Fachgesellschaften und/oder Eminenzen haben sich unterschiedlich positioniert. Ginge es allein um Politik, wären unterschiedliche Meinungen, Diskurs und Streit ja normal und in der Demokratie sogar gewünscht. Aber in der Medizin, die sich als Wissenschaft versteht, wundert es doch, wie unterschiedlich die vorhandenen Daten bewertet und interpretiert werden. Zumal sich diese „Ausnahmesituation“ mit dem neuen Virus nun schon seit Jahren hinzieht.

Vor ein paar Tagen saß ich im ICE von Nürnberg nach Hannover und habe mich zu der geplanten Aufhebung der Isolationspflicht für Corona-Infizierte in Bayern (wo ich tätig bin) und drei weiteren Bundesländern belesen, die ein paar Tage später greifen sollte. Schließlich muss ich meine Patienten dazu beraten. Man appelliere an die Eigenverantwortung der Bürger, sich bei Krankheit in die Häuslichkeit zurückzuziehen, las ich.

Während ich also die Artikel studierte, kamen sechs (!) uniformierte Beamte der Bundespolizei in unseren halb gefüllten ICE-Großraumwagen (Familienbereich) herein, um mit aller Strenge zu kontrollieren, wer keine FFP2-Maske trägt. Am Ende der Kontrollaktion wurde ein syrischer Flüchtling, der mit dem Kürzel „FFP2“ nichts anfangen konnte und keinen Ausweis bei sich hatte, von drei Beamten aus dem Zug begleitet.

Ob das jetzt infektionsepidemiologisch eine erfolgreiche Aktion gewesen ist, bleibt dahingestellt. Ich habe mich in dieser Situation vor allem gefragt: Wie sollte ich so etwas in der Praxis erklären? Wenn mich jemand zur Sinnhaftigkeit gegensätzlich angelegter Maßnahmen wie FFP2-Zwang und Aufhebung der Isolationspflicht befragt? 

Ich kann es schon seit längerer Zeit nicht mehr leisten, Corona-Themen differenziert, authentisch und ohne Ironie in der Praxis zu erläutern. Wobei das nicht nur an der widersprüchlichen politischen Kommunikation liegt: Auch Teile unserer Fachvertreter und virologischen Experten streiten in der Öffentlichkeit auf eine Art und Weise miteinander, die ich mir oft nur noch mit gekränktem Stolz und Rechthaberei erklären kann – aber nicht mit dem Anspruch, eine unabhängige, einfach verständliche, einheitliche Krisenstrategie zu etablieren.

Wenn mich aktuell ein 70-jähriger Patient fragt, wann er sich wieder gegen Corona impfen lassen soll, erläutere ich nacheinander die Empfehlungen der STIKO, der Sächsischen Impfkommsion sowie das Vorgehen in den USA und diskutiere danach mit dem Patienten anhand seiner persönlichen Vorgeschichte und Präferenzen, wie wir zusammen vorgehen wollen. Würden wir so unterschiedliche Empfehlungen und Stellungnahmen z.B. zur Grippeimpfung haben, würde diese noch deutlich schlechtere Impfquoten haben, als sie sie schon hat. Hätten wir dagegen klarere Empfehlungen und COVID-/Influenza-Impf-Werbekampagnen à la „Jetzt im Herbst: Ihr Hausarzt hat den Impf-Doppel-Wumms!“, dann würden sich auch meine MFA am Telefon leichter tun.

Wir alle wissen, dass es manchmal nur begrenzte Daten gibt und Empfehlungen nicht immer leicht sind. Aber umso unverständlicher ist es, dass sich die Meinungsblasen stetig weiter voneinander isoliert haben. Mir erscheint es, als würden sich Evidenz-Dogmatiker, Eminenz-Jünger und genervte Pragmatismus-Prediger ihre in Stein gehauene Meinung über ihnen wohlgesonnene Medien ständig aufs Neue „entgegenschreien“, statt dass intern an einer gemeinsamen Leitschnur diskutiert und diese gemeinsam kommuniziert wird. Das würde mir in der täglichen Praxisarbeit vieles erleichtern. Liebe Experten, habt euch doch bitte wieder ein bisschen mehr lieb. Es ist doch bald Weihnachten.

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