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Praxiskolumne Diese Zustände sind einen Streik wert!

Autor: Dr. Cornelia Werner

Beängstigend sinkende Qualität der Versorgung: Das ist ein guter Grund zu streiken. Beängstigend sinkende Qualität der Versorgung: Das ist ein guter Grund zu streiken. © taa22 – stock.adobe.com; MT
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„Streikt Ihr am Mittwoch?“, wurde unsere Kolumnistin gefragt. Doch sie wusste von nichts. Wer streikt denn nun und warum?

Im Kern soll gegen die offenen Sprechstunden und die Abschaffung der Neupatientenregelung gestreikt werden. Trifft das auch uns Hausärzte? In Baden-Württemberg nicht. Ist es trotzdem für uns streikenswert? Ja! Aus Solidarität unseren fachärztlichen Kollegen gegenüber und zum Wohl der Patienten. Denn sonst wird es für diese bald noch schwieriger, einen Facharzttermin zu ergattern.

Ja, nur… wer streikt denn nun wirklich? Dank mangelhafter Kommunikation, Aufsplitterung in einzelne Verbände und uneinheitlicher Organisation schließen tatsächlich nur ein paar wenige Fachärzte ihre Praxen. Die Haus­ärzte, die solidarisch schließen, fragen sich dann, warum. Und viele sind schlicht gar nicht informiert.

Wie sinnvoll ist es dann, zu streiken? Recht sinnlos. Und doch. Was bleibt uns denn übrig? Arbeiten wird zurzeit immer schwieriger. Die Qualität in der medizinischen Versorgung sinkt massiv. „Mit den Angina-pectoris-Beschwerden müssen Sie halt leben.“ Und: „Wir haben keine TVT gesehen“ – bei massiv erhöhten D-Dimeren und von uns und später beim niedergelassenen Spezialisten bestätigter ausgeprägter Thrombose. COVID-und Long-­COVID-Ausfälle treffen auf eine hohe Krankheitslast und ein kaputt gespartes System, in dem alle Bereiche unterbesetzt sind. Irgendwie verständlich, dass kaum noch Nachwuchs in diesem irren System arbeiten will. Und leider sinkt auch die Qualität der Ausbildung, die im deutschen System traditionell eher durch „Learning by doing“ stattfindet als durch gezielte Wissensvermittlung. Hauptsache, die Assistenzärzte decken irgendwie die Dienste ab. Das Ergebnis ist häufig dementsprechend. Kann ich dem Nachwuchs böse sein deswegen? Nein.

Genauso wenig wie den Kollegen im Krankenhaus, die aktuell quasi jede Notfalleinweisung ablehnen. Ablehnen müssen. Sie können die Patienten einfach nicht mehr versorgen. Ich muss die Patienten aber dennoch einweisen – in meiner Praxis kann ich keine stationäre Therapie auf die Beine stellen. Und dann muss ich mich fragen, wie gut sie dort noch versorgt werden. Auf dem Gang.

Medikamente? „Gibt es nicht.“ Welche Alternative gibt es denn bitte? Halt nicht den Goldstandard. Fachärztliche Abklärung? Im März 2023. Geplante OP? „Weiter schieben. Wird ja eh dauernd abgesagt.“ Krankentransport? „In fünf Stunden.“ Aber da ist die Praxis zu. „Na, dann Rettungswagen.“ Brauchen wir eigentlich nicht. „Ja, aber geht nicht anders.“

Wir improvisieren langsam mehr, als dass wir Goldstandard liefern können. Und es scheint, als würde in den Kliniken nur noch das Gröbste notdürftig geflickt. Dann geht es mit blutiger Entlassung heim, gerne ohne Arztbrief. Oder ohne die wichtigsten Teile des Arztbriefes wie Therapieempfehlungen und Medikamentenplan oder Labor.

DAS ist für mich ein guter Grund, zu streiken. Aber wen kümmert es, wenn ich als Einzige meine Praxis schließe? Für einen Tag? Der Effekt verpufft. Die Patienten ärgern sich einen Tag darüber. Die Kollegen, die offen lassen, müssen das auffangen. Keiner wird sich an seinen Bundestagsabgeordneten oder den Gesundheitsminister wenden und dort die Beschwerde platzieren, wo sie hingehört.

Und was passiert mit den Notfällen? Wird es fatale Folgen des Streikes geben? Fatalere Folgen als die aktuelle Medizin des Mangels täglich produziert? Wie viel nehmen wir in Kauf? 

Seit meiner Approbation 2006 habe ich das Gefühl, dass wir jedes Jahr mehr Kollateralschäden akzeptieren. Weil offensichtlich immer weniger gute Medizin drin ist. Weil überall Mangel herrscht. Ich mag nicht daran denken, wie sich das in den nächsten Jahren zuspitzen wird. Der aktuelle Herbst reicht mir schon. So macht Medizin keinen Spaß mehr.

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