Anzeige

Eine Ärztegenossenschaft stellt sich dem Nachfolgeproblem

Niederlassung und Kooperation Autor: Anouschka Wasner

Im Odenwald haben Ärzte eine Genossenschaft als MVZ-Träger ins Leben gerufen. Jetzt wollen sie ausbauen. Im Odenwald haben Ärzte eine Genossenschaft als MVZ-Träger ins Leben gerufen. Jetzt wollen sie ausbauen. © s_l – stock.adobe.com
Anzeige

Von Ärzten geführte MVZ könnten dem Nachfolgeproblem etwas entgegensetzen. Doch entsprechende Initiativen kämpfen mit der Anfangsfinanzierung. Die Ärztegenossenschaft ÄGIVO im Odenwald will jetzt vom Landkreis mit der Versorgung „betraut“ werden.

Das grundsätzliche Problem sei schnell beschrieben, so Frank Bletgen, Geschäftsführer von ÄGIVO eG, der Ärztegenossenschaft Gesundheitsversorgung im Vorderen Odenwald. „Wir sind die Struktur, die machen soll und machen kann – aber wir werden nicht ausreichend unterstützt.“

Dass die Krise in der Hausarztversorgung im Kreis Bergstraße um sich greift, habe man oft betont. Zuletzt auch im Sommer dieses Jahres gegenüber der Gesundheitsdezernentin des Kreises Bergstraße, Diana Stolz. Man habe von Praxisschließungen und unterbesetzten Praxen in Lorsch, Einhausen, Bensheim und Mörlenbach berichtet. Und darüber, dass die Kassenärztliche Vereinigung zwar den Sicherstellungsauftrag hat, aber auch nur den Mangel niederlassungswilliger Hausärzte verwalten kann.

Ärzte wollen bedarfs- und wohnortnah versorgen

Mit der ÄGIVO dagegen stünde zur Sicherstellung der Versorgung ein freier ärztlicher Träger für MVZ zur Verfügung, der über die Anstellung von Ärzten eine bedarfsorientierte und vor allem auch wohnortnahe haus- und fachärztliche Versorgung aufbauen könnte. „Die ÄGIVO ist in der Lage, Lösungen für die schnellen Veränderungen zu schaffen“, sagt Bletgen. Und komme direkt aus der Ärzteschaft.

Dafür müsse allerdings der Kapitalbedarf für Investitionen und den Aufbau der Struktur über Förderungen bereitgestellt werden. Über den Kapitalmarkt bekäme die Genossenschaft nur eingeschränkt Mittel. Und die Deckungsbeiträge für Finanzierungskosten bei gleichzeitiger Vorhaltung von Organisationsstruktur und Fixkosten für die angestellten Ärzte müssen erst einmal erwirtschaftet werden. Gerade bei Nachfolgeprojekten, bei denen schon länger vergeblich eine Lösung gesucht wird, besteht ein hoher Kapitalbedarf, weil z.B. die Versorgung schon gedrosselt ist und lange nicht investiert wurde.

Die Ärztegenossenschaft aus dem Odenwald

Die ÄGIVO eG ist eine genossenschaftlich organisierte Selbsthilfeinitiative von Ärzten zur Erhaltung der wohnortnahen, hausärztlichen Versorgung. Die Ärztegenossenschaft wurde im Februar 2017 in Lindenfels (Odenwald) als Träger für eine subsidiäre Nachfolge-Struktur gegründet. Das Konzept beinhaltet, dass ein MVZ dauerhaft von den dort tätigen Ärzten geführt wird und sich die angestellten Ärzte gestaltend als Gesellschafter engagieren können. Angeboten werden flexible Arbeitszeitmodelle für junge Ärzte im Angestelltenverhältnis und für ältere Ärzte, die sich mit ihrer Erfahrung einbringen möchten. Die Initiatoren versprechen sich davon Wettbewerbsvorteile auf dem Arbeitsmarkt für Ärzte. Die Genossenschaft hat 20 Mitglieder und zwei MVZ in den Ortschaften Lindenfels und Alsbach-Hähnlein sowie ein weiteres ab Januar 2020 in Zwingenberg. Die ÄGIVO wird vertreten durch Thomas Fuckner und Dr. Klaus-Ulrich Henß, beide Facharzt für Allgemeinmedizin. Aufsichtsratsmitglieder sind Dr. Carl-Reinhard Albilt, Facharzt für Innere Medizin, Helmut Metzger, Facharzt für Anästhesiologie, und Joachim Wahlig, Facharzt für Chirurgie.

Das Arbeiten mit angestellten Ärzten verlange generell eine andere Struktur. Man brauche eine IT-gestützte Ablauforganisation, die Arbeitsteilung muss organisiert werden, Teambesprechungen und Controlling sind aufwendiger. Und um Ärzte zu finden, die mitmachen wollen, ist Öffentlichkeitsarbeit und Netzwerken unabdingbar. Hinzu kommen die wirtschaftliche Prüfung der nachfolgesuchenden Ärzte, die MVZ-Konzeptentwicklungen, die KV-rechtlichen Umsetzungskonzepte, Wirtschaftspläne und Gespräche. „So etwas belastet die Startkosten spürbar“, erklärt Bletgen. Das sei eigentlich gar nicht zu schaffen. Dabei sei man in der Lage, zu leisten, was die herkömmlichen Strukturen aktuell nicht können: die Nachfolge zu regeln. Drei MVZ habe die Genossenschaft schon gegründet, jetzt würden Anfragen zu weiteren Projekten vorliegen. Irgendwann müsse sich die Struktur natürlich selbst tragen. Aber in der Anfangsphase müssten die Kommunen bereit sein, einen Teil der Förderung zu übernehmen. Die KV-Förderrichtlinien greifen jedoch erst, wenn die Versorgung in einem Gebiet auf 70 % gesunken ist. „Dann sind aber oft schon 40 % dort weggebrochen! So lange nicht zu handeln, ist teuer – bis dann etwas Neues aufgebaut ist, sind die jüngeren Patienten in die Städte abgewandert“, sagt Bletgen. Auf Länderebene gebe es eine Fördermöglichkeit, über die Kommunen eigene Aufwendungen zu gleichen Anteilen aufstocken können. Der große Nachteil: die lange Vorlaufzeit. Voraus gehe oft ein zeitraubender Meinungsbildungsprozess in der Kommune, ob überhaupt Handlungsbedarf besteht – solange noch nicht alles zusammengebrochen ist, wird manchmal gezögert, die Mittel zur Verfügung zu stellen.

Für den abgebenden Arzt kann das zu lange dauern

Dann muss die nächste Haushaltsplanung abgewartet werden oder ein Nachtragshaushalt muss her. Dabei gilt es, viele haushaltsrechtliche Vorgaben und Prüf- und Genehmigungsverfahren zu beachten. Von Antragstellung beim Land bis zur Bewilligung dauert es gut drei bis vier Monate. Rechnet man noch ein, dass ein Arzt, der seinen Sitz an das MVZ geben möchte, drei Jahre dort angestellt sein muss, kommt man auf eine Vorlaufzeit von rund fünf Jahren, bevor der Arzt endlich abgeben kann. Für viele dauert das zu lange. Sie haben diesen Vorlauf nicht einkalkuliert oder müssen aus persönlichen Gründen in absehbaren Zeiträumen aufhören. „Flexibel ist anders“, kommentiert das Bletgen. Sein Vorschlag beinhaltet, die Genossenschaft so in bestehende Versorgungnetzwerke zu integrieren, dass eine Förderung kurzfristig erfolgen kann. Dafür sei es EU-beihilferechtlich vielleicht auch notwendig, die ÄGIVO mit der Daseinsvorsorge der Gesundheitsversorgung zu betrauen. Als betrauungsfähig gelten Leistungen der Grundversorgung wie etwa der öffentliche Personennahverkehr, die unter normalen Bedingungen nicht rentabel erbracht werden könnten. Und um Grundversorgung geht es ja auch der ÄGIVO. Man strebe ein Gesundheitsnetzwerk an, das nicht nur die Hausärzte ersetze, sondern die ambulante und stationäre Versorgung zu einem verbindlichen Kooperationsgefüge bringe. Die Idee der Betrauung zuguns­ten ambulanter Versorgung ist neu. Nicht so im stationären Sektor, wo einige Kommunen darüber die Exis­tenz ihrer Krankenhäuser sichern. Auf Anfrage beim Kreis Bergstraße, ob die Betrauung der ÄGIVO den Weg zur flexibleren Förderung öffnen könnte, sagt ein Sprecher, dass nach seiner Kenntnis von dieser Möglichkeit im Gesundheitsbereich bislang nur für Krankenhäuser sowie Einrichtungen der Langzeitpflege Gebrauch gemacht wird. Der Kreis begrüße das Konzept der ÄGIVO grundsätzlich. Aber die fachliche ambulante Versorgung sei keine öffentliche Aufgabe des Kreises, sondern auf Ebene der Länder angesiedelt. Eine finanzielle Unterstützung der ÄGIVO durch den Kreis sei nicht möglich. Ob die Kommunen tätig werden, liege im Entscheidungsermessen der gemeindlichen Gremien. Auch sei möglicherweise mit Blick auf das EU-Beihilferecht und den Gleichbehandlungsgrundsatz ein Eingriff in den Wettbewerb von Belang. Die Studie „Kommunen als Träger Medizinischer Versorgungszentren“, die 2018 im Auftrag des Bayerischen Gesundheitsminis­teriums erstellt wurde, betont den gesetzgeberischen Willen, dass den Kommunen mehr Einfluss bei der Ausgestaltung von Infrastrukturen der Daseinsvorsorge, auch im Gesundheitswesen, eingeräumt werden soll. Entsprechendes finde sich z.B. im 7. Altenbericht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2016) wie auch in dem 2015 in Kraft getretenen GKV-Versorgungsstärkungsgesetz.

Geringe Förderung aus Sicht des Beihilferechts unkritisch

Kommunalrechtlich würden Landkreise, Städte und kreisangehörige Gemeinden in diesem Zusammenhang als Kommunen betrachtet. Das sei auch versorgungspolitisch sinnvoll. Und zu den MVZ-Fördermöglichkeiten durch Kommunen führt die Studie aus, dass z.B. eine De-Minimis-Förderung eine Wettbewerbsverfälschung vermeide. Sie ermögliche eine Förderung in Höhe von 200 000 Euro über den Zeitraum von drei Jahren, und – wenn es sich um eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse handle, wovon bei einem MVZ auszugehen sei – sogar bis zu 500 000 Euro. Die Studie zitiert auch einen MVZ-Beihilfefall – den bislang einzigen: Das Ärztehaus in der kleinen Gemeinde Durmersheim, das ein von der Gemeinde renoviertes Schulgebäude mit 950 m² für 8,40 Euro pro Quadratmeter gemietet hat. Mehrere Ärzte sowie ein Berufsverband hatten Beschwerde bei der Europäi­schen Kommission eingelegt, die Miete verfälsche den Wettbewerb. Die Kommission war der Auffassung, dass angesichts der Marktlage, der Stellung des betreffenden Unternehmens sowie der Handelsströme der Dienstleistungen die Maßnahme nicht mehr als nur marginale Auswirkungen auf den Wettbewerb habe.

Medical-Tribune-Recherche

Anzeige