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Wie stark werden sich Private-Equity-Übernahmen auf die ambulante Versorgung auswirken?

Niederlassung und Kooperation Autor: Anouschka Wasner

Finanzinvestoren kaufen sich ein.
Finanzinvestoren kaufen sich ein. © Fotolia/yurolaitsalbert
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Quasi zeitgleich werden in Kürze zwei Untersuchungen zu Finanz­investoren in der Gesundheitsbranche veröffentlicht. Wir haben vorab einen Blick hinein geworfen. Ihre Zählweise unterscheidet sich, ihre Botschaft für die ambulante Versorgung ist die gleiche: Die Übernahmeaktivitäten im Bereich MVZ haben seit 2017 rapide an Fahrt aufgenommen.

Von Heuschrecken ist in Verbänden und Presse die Rede, von MVZ als Cashcows – die Bedrohungslage im Zusammenhang mit MVZ-Übernahmen durch Private-Equity-Unternehmen wird gerne drastisch beschrieben. Und dabei liegt sie doch eigentlich noch im Dunkeln: Weder gibt es bislang offizielle Zahlenangaben zu den Übernahmen noch abgeschlossene empirische Untersuchungen zu den Auswirkungen dieser Übernahmen.

Tatsächlich beruhen die einzigen Zahlen bis heute auf mühsamen Recherchen und kleinteiligen Marktbeobachtungen. Einer, der das akribisch und schon seit Jahren macht, ist Rainer Bobsin. Als journalistischer „Privatermittler“ veröffentlicht er gerade wieder einen aktuellen Überblick über das Engagement von Finanzinvestoren in der Gesundheitsversorgung in Deutschland1. Mit seinen Zahlen arbeiten z.B. Ver.di und der Verein der demokratischen Ärztinnen und Ärzte.

Vielleicht sind es 20 % mehr – aber genau weiß es keiner

Auch die KVen wissen es nicht besser: Wird ein Antrag auf MVZ-Zulassung gestellt, prüft die KV zwar die Gründereigenschaft der Gesellschafter und ob es sich um eine zulässige Gesellschaftsrechtsform handelt. Welche Konzerne und Finanzmittel hinter den Gesellschaftern stehen, weiß sie jedoch nicht.

Einstieg der Private-Equity-Gesellschaften

  • 50 MVZ/Arztpraxen mit 4100 Beschäftigen wurden in den letzten fünf Jahren von Private-Equity-Gesellschaften übernommen*

  • 48 Pflegeeinrichtungen mit 36.953 Beschäftigen wurden in den letzten fünf Jahren von Private-Equity-Gesellschaften übernommen*

  • 27 Krankenhäuser mit 24.756 Beschäftigen wurden in den letzten fünf Jahren von Private-Equity-Gesellschaften übernommen*

* Die Zahlen geben an, in viele medizinische Einrichtungen einer bestimmten Art zwischen 2013 und 1. Hj. 2018 Private-Equity-Gesellschaften eingestiegen sind. Quelle: Übernahmen durch Private Equity im deutschen Gesundheitssektor, s.o.

Bobsin kommt für das Jahr 2018 auf rund 470 einzelne MVZ-Standorte in Private-Equity-Besitz. Dabei zählt er vorsichtig und lässt nicht beweisbare Fälle außen vor. Würde man alle seine Verdachtsfälle in die Kalkulation einrechnen, käme man auf einen Zuwachs von rund 20 % in den letzten zwölf Monaten. Und das, ohne die Dunkelziffer einzurechnen. Dass es die gibt, davon ist Bobsin überzeugt. Seiner Meinung nach müsste der Gesetzgeber MVZ-Zulassungsantragsteller verpflichten, mit dem Antrag den Eigentümer zu nennen. Seine eigene Bestandsaufnahme ist der Versuch, sich den Fakten wenigstens anzunähern, damit andere damit arbeiten können. Sind nicht-ärztliche Dialyse-zentren relevant – oder nicht? Wie etwa der Gesetzgeber, der gerade im Rahmen des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) diskutiert, die Gründereigenschaft von nicht-ärztlichen Dialysezentren einzuschränken. Doch wie viele gibt es davon eigentlich? Bobsin hat nur vier zählen können. Dann wäre das Thema wohl eher überbewertet und man könnte auf die Idee kommen, es ginge hier um Alarmismus statt um Fachkompetenz. Andererseits ist aber gerade bei den nicht-ärztlichen Dialyszentren eine Dunkelziffer durchaus wahrscheinlich. „Kauft jemand ein Krankenhaus, bekommt man das mit. Ergänzt aber ein Unternehmen seinen Geschäftszweck um ‚die Erbringung nichtärztlicher Dienstleistung‘ und erhält hierüber die Gründereigenschaft, kann das unerkannt bleiben.“ Er habe schon den Verdacht gehabt, dass solche Einrichtungen gegründet werden, ohne jemals betrieben worden zu sein.

Muss der Patient wissen, wer seinen Arzt bezahlt?

Apropos Transparenz: Müsste nicht in Zeiten des aufgeklärten Patienten auch dieser informiert werden, dass der Arzt, der ihn gerade behandelt, von einem Finanzinvestor bezahlt wird? Immerhin redet man von Umsatzanreizen in Kaufverträgen im sechsstelligen Bereich. Andererseits werden Anreize dieser Art auch einem Chefarzt im Krankenhaus geboten. Und mehr Selbstzahlerleis­tungen steigern nicht nur in kapitalgeführten Unternehmen den Umsatz, sondern in jeder betriebswirtschaftlich orientierten Arztpraxis.

Der weitere Anstieg ist für die Studienautoren absehbar

Dr. Christoph Scheuplein vom Institut Arbeit und Technik (IAT) der Westfälischen Hochschule, der gerade eine Studie veröffentlicht zu den quantitativen und qualitativen Dimensionen von Private-Equity-Investments in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft2, fordert eine differenzierte Diskussion der aktuellen Entwicklung ein. Auch wenn seine Studie die Zahlen der Übernahmen bislang nur bis zur ersten Jahreshälfte 2018 gesichert erfasst hat, sei doch bereits absehbar, dass sich der Übernahmetrend in der zweiten Jahreshälfte – und zwar eher verstärkt – fortsetzen wird. Die Auswirkungen der Übernahmen seien dabei noch nicht absehbar, da die Unternehmen jetzt erst ihre Aktivitäten entfalten würden. „Was die aktuelle Diskussion anheizt, ist, dass Investoren in ein solidarfinanziertes System eingreifen. Richtig ist zwar auch, dass dabei in kapitalintensiven Bereichen investiert wird. Auf lange Sicht droht aber ein Renditeabzug zulasten der Beitragszahler und ein System, dass von großen und auf Rendite getrimmten Gesundheitskonzernen bestimmt wird“, so Dr. Scheuplein.

Was versteht man unter ...?

Private-Equity-Gesellschaften sind Finanzinvestoren, die das Geld von Anlegern in zeitlich begrenzten Fonds sammeln, um damit Unternehmen zu kaufen. Nach Ablauf eines Fonds erhalten die Anleger ihr Kapital und ihren Anteil am Gewinn zurück. Geschäftszweck ist also, die übernommenen Unternehmen möglichst schnell mit möglichst hohem Gewinn wieder zu verkaufen. Beispiele: Augenheilkunde – Ober-Scharrer-Gruppe (Nordic Capital, Jersey), Artemis Laserkliniken (Montagu Private Equity, London), ZG Zentrum Gesundheit GmbH (Waterland Private Equity, NIederlande). Dermatologie – Dermatologikum (ECM Equity Capitel Management, Frankfurt), Corius-Gruppe (Ufenau Capital Partners, Schweiz); Hämatologie, Onkologie: Alanta Health Group (IK Investment Partners, Schweden). Labormedizin: Amedes (Antin Infrastructure Partners, Paris), Synlab (Cinven, London) Family Offices sind Beteiligungsgesellschaften in Besitz von Einzelpersonen oder Familien (»Family Equity«), die genauso agieren können wie Private-Equity-Gesellschaften. Sie haben in der Regel ein langfristigeres Interesse. Beispiele: Medicover AB, Paracelsus-Kliniken, Colosseum Dental Strategische Investoren wie Krankenhauskonzerne kaufen andere Unternehmen, um sich zu vergrößern oder in neue Geschäftsfelder zu expandieren. Sie haben in der Regel ein langfristiges Interesse, folgen aber eigenen Renditevorgaben.

Quelle: Rainer Bobsin (nähere Angaben s.o.)

Denn die kapitalintensiven Fächer im Visier der Beteiligungsgesellschaften werden auch zu den rentablen gezählt: Zahnmedizin, Labor, Radiologie, Ophthalmologie weisen ein Leistungsspektrum auf, mit dem sich gut verdienen lässt. Erst Recht bei Verengung des Angebotes – was sich nicht lohnt, können andere machen. Doch wo sollen Patienten bei anziehender Monopolisierung dann noch bekommen, was sie brauchen? Vielleicht ja in den Hausarztpraxen – die sind auf jeden Fall noch weniger von den Übernahmeaktivitäten betroffen.

BMVZ: Debatte versachlichen mit mehr Transparenz

Doch noch sind diese dunklen Bilder unbelegt – es fehlen die entsprechenden Untersuchungen. Beschwerden aus Patientensicht seien ihr keine bekannt, sagt Susanne Müller vom BMVZ, dem Bundesverband der MVZ. Als gemeinnütziger Verein würde der BMVZ das Gesamtsystem im Auge haben. Und nach ihrer Erfahrung teile sich die Spreu vom Weizen nicht über das Kriterium „kapitalgeführt“, sondern über „langfristiges oder kurzfristiges Interesse“. Aber das größte Problem sei zurzeit ein „beklagenswertes Nichtwissen“ über die Fakten. Das sei die Grundlage, auf der sich das aktuelle unheilvolle Raunen über „böse“ Finanzinvestoren ausbreiten könne. Richtig, Unwissen lässt falsche Schlüsse ziehen. Würde man zum Beispiel die (unbestätigte) Zahl der einzelnen Private-Equity-MVZ (2017: 420) in Relation zu MVZ generell setzen (in 2017 rund 2800 zzgl. ca. 450 Zahn-MVZ), käme man auf einen bemerkenswerten Anteil von etwa 13 %. Das sei aber eine falsche Perspektive, unterstreicht Bobsin. Denn so beachtlich die starke Zunahme von Private-Equity-Übernahmen auch sei: „In Relation zur Zahl der Arztpraxen in Deutschland sind 500 MVZ nicht viel. Und erst recht nicht im Vergleich zum Pflegebereich oder zu anderen Ländern.“ Der richtige Bezugsfaktor sei wohl die Anzahl der Ärzte, die in Private-Equity-Unternehmen arbeiten. Doch die kann aktuell offensichtlich niemand aus den zugänglichen Angaben recherchieren.

1 Rainer Bobsin: Finanzinvestoren in der Gesundheitsversorgung in Deutschland, 20 Jahre Private Equity – eine Bestandsaufnahme. 4. erweiterte und aktualisierte Aufl., 104 Seiten, Febr. 2019, ISBN 978-3-945447-23-9, www.offizin-verlag.de/Autoren- A-F/B/Bobsin-Rainer

2 Christoph Scheuplein, Michaela Evans, Sebastian Merkel: Übernahmen durch Private Equity im deutschen Gesundheitssektor. Eine Zwischenbilanz für die Jahre 2013 bis 2018. Discussion Paper 19/01. Institut Arbeit und Technik, Gelsenkirchen

Rainer Bobsin, Fachautor. „Warum wissen wir nicht, wie viele Ärzte unter Private-Equity-Trägern arbeiten?“
Rainer Bobsin, Fachautor. „Warum wissen wir nicht, wie viele Ärzte unter Private-Equity-Trägern arbeiten?“ © privat
Susanne Müller, Bundesverband Medizinische Versorgungszentren e.V., BMVZ. „Zum Thema Finanzinvestoren herrscht ein beklagenswertes Nichtwissen.“
Susanne Müller, Bundesverband Medizinische Versorgungszentren e.V., BMVZ. „Zum Thema Finanzinvestoren herrscht ein beklagenswertes Nichtwissen.“ © privat
Dr. Christoph Scheuplein, Institut Arbeit und Technik, Gelsenkirchen. „Der Trend geht zu großen, auf Rendite getrimmten Gesundheitskonzernen.“ Dr. Christoph Scheuplein, Institut Arbeit und Technik, Gelsenkirchen. „Der Trend geht zu großen, auf Rendite getrimmten Gesundheitskonzernen.“ © privat
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