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Krankenhausreform muss dringend auf die politische Tagesordnung

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Kliniken behandelten 2020 13 % weniger Fälle als im Vorjahr, aber die Erlöse stiegen um 15 %. Kliniken behandelten 2020 13 % weniger Fälle als im Vorjahr, aber die Erlöse stiegen um 15 %. © upixa – stock.adobe.com
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Seit Jahren schwelt ein Streit im deutschen Gesundheitssystem. Die einen meinen, es gibt zu viele Krankenhäuser, andere sagen, die Strukturen entsprechen nicht mehr dem Bedarf. Doch was ist der richtige Weg? Ideen gibt es viele, handeln muss letztlich die Politik.

Der Verband der Ersatzkassen vdek legte im April ein beim Berliner IGES-Institut beauftragtes Gutachten zur Zukunft der Krankenhausversorgung vor. „Die Ergebnisse zeigen, dass mit der weiteren Konzentration von Leistungen und Spezialisierung die Versorgungsqualität verbessert werden kann“, kommentiert vdek-Chefin Ulrike Elsner die Ergebnisse.

Betrachtet hatte IGES die drei Bereiche minimal-invasive Aortenklappeninterventionen (insbesondere TAVI), anatomische Lungenresektion und Hüft-TEP. Das Gutachten macht deutlich: Obwohl positive Effekte zwischen höherer Leistungsmenge und besserer Qualität nachgewiesen sind, werden Mindestmengen nicht immer eingehalten. Die gegenwärtigen Rahmenbedingungen würden eher zu Dekonzentrationsprozessen beitragen als qualitätsorientierte Leistungskonzentrationen anzuregen, bemängeln die Autoren.

Das IGES-Gutachten ist ein erneuter Beleg für die Notwendigkeit eines tiefgehenden Umdenkens bei der stationären Versorgung. Dass Reformen überfällig sind, verdeutlicht seit Jahren auch der „Krankenhaus Rating Report“ anhand der Bilanzen vieler Häuser. Der Report 2021, erstellt vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und der Institute for Healthcare Business GmbH, offenbart dramatische Tendenzen.

Wie RWI-Autor Professor Dr. ­Boris Augurzky beim diesjährigen „Hauptstadtkongress“ berichtete, wird der Anteil der von Insolvenz bedrohten Kliniken in den kommenden Jahren voraussichtlich weiter steigen. 13 % der Krankenhäuser hätten sich bereits 2019 im Bereich erhöhter Insolvenzgefahr bzw. Ausfallwahrscheinlichkeit befunden. Der Ausblick zeigt weiterhin einen massiven Einbruch der wirtschaftlichen Lage bei anhaltend niedrigen stationären Fallzahlen. In Kürze droht außerdem ein erheblicher Personalengpass.

„Dezentrale Kümmerer“ sollen Patienten begleiten

Um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, empfiehlt das RWI, die Gesundheitsversorgung ganzheitlich zu denken, von präventiven bis zu kurativen Angeboten und von sehr einfachen bis zu hochkomplexen Spezialangeboten. Zu den beschriebenen Notwendigkeiten gehören u.a „dezentrale Kümmerer“. Diese „Case Manager“-Aufgabe kann laut RWI von Hausärzten und Pflegeexperten gemeinsam wahrgenommen werden, die nach dem Vorbild der Gesundheitszentren in Finnland in größeren Zentren zusammenarbeiten.

In den meisten Regionen fänden sich auch Krankenhäuser, die sich aufgrund ihrer Größe und Lage als Teil eines solchen „Integrierten Gesundheitszentrums“ (IGZ) eignen würden. Hürden für die Übernahme von ambulanten Leistungen durch Krankenhäuser müssten jedoch abgebaut werden.

Die Koordinierung im Zentrum obliegt dem Fallmanager

Ein „Integriertes Gesundheitszentrum“ mit und ohne Betten könnte unter folgenden Prämissen funktionieren:
  • Flächendeckende Sicherstellung der stationären und ambulanten fachärztlichen Basisversorgung
  • Erreichbarkeit für Patienten unter 30 Min. Fahrzeit
  • Koordination der Patientenversorgung durch Case Manager
  • Mögliche Leistungssegmente: stationäre Behandlung, komplexe nicht-stationäre Krankenhausleistungen, ambulante Operationen, Notfallversorgung, Kurzzeitpflege, ambulante Pflege, ambulante fachärztliche Versorgung
  • Vernetzen mit weiteren Diensten, insbesondere im Bereich der Altenhilfe die Kurzzeitpflege

Quelle: Krankenhaus Rating Report 2021

Dass die Pandemie den Reformdruck weiter verschärft hat, sieht auch der GKV-Spitzenverband. Das betrifft allerdings noch nicht 2020. Da seien strukturelle Schwächen mit Geld zugedeckt worden. So stiegen die Einnahmen der Kliniken aus der GKV plus dem Geld aus dem Bundeshaushalt für freigehaltene Betten auf 92,5 Mrd. Euro (2019: 80,3 Mrd. Euro). Die Krankenhäuser hätten 2020 mit 13 % weniger Fällen so wenige Menschen behandelt wie seit Jahren nicht mehr. Dennoch wuchsen ihre Erlöse um 15 %. Das passe nicht zusammen, so der GKV-Spitzenverband. Vorstand Stefanie Stoff-Ahnis meint: „Dieses goldene Jahr der Krankenhausfinanzierung darf nicht über den gewaltigen Reformbedarf hinwegtäuschen.“ Die Kassenspitze appelliert bereits an eine künftige Bundesregierung, die Reform der Krankenhauslandschaft entschlossen anzugehen. In „12 Positionen zur Bundestagswahl“ sind die Erfordernisse formuliert. Auch hier ist an die Umwandlung kleiner Kliniken in ländliche Gesundheitszentren gedacht und die Eingliederung von Krankenhäusern in regionale Versorgungsnetzwerke – eventuell mit einem Versorgungsbudget für stationäre und ambulante Leistungen. Auch stärker qualitätsorientierte Vorgaben hält der Spitzenverband für erforderlich. Diese sollten in der Regel bundesgesetzlich definiert und vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) konkretisiert werden. Das vermeide tendenziell, „dass jedes Krankenhaus meint, jede Leistung erbringen zu können.“

Kritik der Kassen kommt bei Klinikträgern schlecht an

Die Führung der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) zeigt sich empört über die Kritik der GKV. Die Schlussfolgerungen von einem „goldenen Krankenhausfinanzierungsjahr“ seien nicht zutreffend. Ein reiner Vergleich mit den Vorjahreszahlen verschweige die Preissteigerungen und die Lohnentwicklung: „Preisbereinigt wird die GKV in der größten Gesundheitskrise der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg weniger für die stationäre Versorgung ausgegeben haben als im Vorjahr.“ Außerdem hätten ambulante Erlöse und Wahlleistungseinnahmen eingerechnet werden müssen. Die Mehrausgaben für beispielsweise Schutzausrüstungen minderten ebenfalls die Erlössituation gravierend. Dennoch: Auch die DKG sieht Schwachstellen. „Die Pandemie hat verdeutlicht, dass Gesundheitsversorgung neu gedacht werden muss“, so das Fazit nach dem Krankenhausgipfel 2021. DKG-Vorstandsvorsitzender Dr. Gerald Gaß sieht eine sektorenübergreifende regionale Neuordnung der Versorgung als einzigen Weg, um dauerhaft hochwertige Qualität in Deutschland sicherzustellen. Die DKG fordert zugleich „mit großem Nachdruck“ ein Ende der Überregulierung des Gesetzgebers und des G-BA bis hin­ein in die operativen Prozesse der Krankenhausorganisation.

Wird die nächste Regierung große Veränderungen wagen?

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat vielen Bereichen seinen Stempel aufgedrückt. Dazu gehören auch Verbesserungen bei Klinikfinanzen und bei der Pflege. An eine Reform der stationären Versorgung, die ohne ein grundlegendes Umdenken Richtung sektorenübergreifende Versorgung nicht zu machen ist, hat sich jedoch auch diese Koalition nicht herangetraut. Interessant wird deshalb sein, mit welchen gesundheitspolitischen Zielen die nächste Regierung ins Rennen starten wird – Stichwort neuer Koalitionsvertrag –, und ob die Mahnungen von Kassen, Kliniken und Gesundheitswissenschaftlern Niederschlag finden werden. Ideen für den Kurswechsel gibt es jedenfalls schon lange reichlich.

Medical-Tribune-Bericht

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