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Steigern Gesetze die Impfraten oder sind sie kontraproduktiv?

Gesundheitspolitik Autor: Dr. Anja Braunwarth

Je mehr Leute sich impfen lassen, desto selbstverständlicher wird die Immunisierung. Je mehr Leute sich impfen lassen, desto selbstverständlicher wird die Immunisierung. © Seventyfour – stock.adobe.com
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Jedes Kind hat ein Recht auf Gesundheit und damit auf Impfungen, heißt es in der UN-Konvention zum Schutz der Kinder. Warum also sorgt das Thema Impfpflicht immer wieder für hitzige Diskussionen? Auf dem Infektiologenkongress meldeten sich dazu vier Redner zu Wort.

Als Befürworter verpflichtender Schutzimpfungen trat Professor Dr. ­Ulrich ­Heininger von der Abteilung der pädiatrischen Infektiologie und Vakzinologie am Universitäts-Kinderspital beider Basel an. Er erinnerte daran, dass das ärztliche Vorbild und die fachliche Beratung die Entscheidung der Sorgeberechtigten maßgeblich leitet. So gaben in einer Umfrage 95 % der Eltern an, in Sachen Impfungen in erster Linie dem Kinderarzt zu vertrauen.

Pflicht zur Impfung schützt immundefiziente Menschen

Prof. ­Heininger verwies auf die UN-Konvention zum Schutz der Kinder, die eine Impfpflicht geradezu einfordere. Deutschland habe mit der Unterzeichnung der Vereinbarung und des Zusatzprotokolls anerkannt, dass Kindern „das Recht auf Impfung gegen verhütbare Krankheiten“ zusteht. Neben dieser Selbstverpflichtung und dem Patientenschutz nannte der Experte folgende Argumente für eine Impfpflicht:

  • es werden weniger Immunisierungen vergessen
  • hohe Durchimpfungsraten dienen dem Gemeinwohl und schützen immundefiziente Menschen
  • es gibt weniger Diskussionen, Impfen wird zur Normalität („wie das Zähneputzen“)

Allerdings könne sich die Umsetzung entsprechender Verordnungen schwierig gestalten, räumte er ein. Aus seiner Sicht wäre es hilfreich, wenn Eltern sich aktiv gegen eine Impfung statt dafür entscheiden müssten. Auch positive oder negative Konsequenzen wären für ihn eine Option, z.B. Geldstrafen wie in Italien oder Prämien, wie sie in Australien üblich sind. Prof. ­Heininger favorisiert das Belohnungssystem und schlägt vor, z.B. bei Erreichen bestimmter „Impfmeilensteine“ Rabatte auf Krankenkassenbeiträge einzuführen.

Professor Dr. ­Tobias ­Tenenbaum von der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der Universitätsmedizin Mannheim hingegen lehnt verpflichtende Immunisierungen ab. Der Blick auf diejenigen Länder, in denen eine Impfpflicht für bestimmte Erkrankungen besteht, zeige, dass sich an den entsprechenden Inzidenzwerten kaum etwas geändert habe. In Frankreich sei die Impf­abdeckung bei Masern nur um 3 % gestiegen, in Italien um 4,4 %.

Dass zumindest die Franzosen von den bindenden Vakzinierungen wenig begeistert sind, macht eine Studie deutlich: Nur zwei Drittel der Befragten befürworten demnach eine Verlängerung der Impfpflicht in ihrem Land, 21 % halten die Maßnahme für überflüssig. 64 % der Franzosen betrachten die Verordnung als autoritär und 30 % befürchten Risiken für die Kinder.

Bezüglich der Masern betonte Prof. ­Tenenbaum, dass man bei den Kindern hierzulande in den vergangenen Jahren bereits hohe Durchimpfungsraten allein durch Aufklärung und freiwillige Zustimmung der Eltern habe erzielen können. Die Pflicht zur Vakzinierung aber ersetze die persönliche Entscheidung und Selbstverantwortung durch ein Bestrafungssystem mit Bußgeldern mitsamt einem Kita- oder Schulverbot. Das erzeuge seiner Ansicht nach Widerstände in der Bevölkerung, was das übrige Impfprogramm gefährden könne.

Außerdem dürfe man die Erwachsenen nicht außer Acht lassen, meinte der Referent und verwies darauf, dass 34 bis 56 % der Masern­erkrankten älter als 14 Jahre seien. „Erst wenn wir 99 % der Eltern geimpft haben, erreichen wir unsere Ziele“, betonte Prof. ­Tenenbaum. Neben dem Schließen von Impflücken bei den Eltern sprach er sich für folgende Maßnahmen aus:

  • bessere Aufklärung
  • verpflichtende Impfberatung für alle Altersgruppen
  • rechtzeitig impfen
  • Terminerinnerungssysteme einführen

Für bestimmte Personen- und Berufsgruppen allerdings würde der Mannheimer Pädiater einen Impfschutz zur Einstellungsvoraussetzung machen: medizinisches Personal, Lehrer, Erzieher und Sozialarbeiter. Und er ist der Meinung, dass ein Infektionsausbruch durchaus besondere Maßnahmen erfordert, zu denen dann auch eine Impfpflicht gehören kann.

Aus Sicht des niedergelassenen Pädiaters argumentierte Dr. ­Jürgen ­Pannenbecker aus ­Gerbrunn, der ein Befürworter der Masernimpfpflicht ist. „Der Schutz von Säuglingen und nicht-impfbaren Kindern gelingt nur durch eine Herdenimmunität“, sagte der Kinderarzt – für ihn das entscheidende Argument für ein Impfdekret. Seiner Ansicht nach und ungeachtet der weltweit steigenden Erkrankungszahlen werden die hochkontagiösen Masern, die ihm zufolge einen ­R-Wert von 15 aufweisen, weiterhin unterschätzt. Deutschland befand sich im Jahr 2019 unter den europäischen Top 5 der Länder mit Masern­erkrankung, führte der Kollege an.

Er habe festgestellt, dass mit Einführung der Masernimpfpflicht die langen und oft frustranen Diskussionen selten geworden sind. Kinder von vergesslichen oder zögerlichen Eltern bekämen den Piks jetzt zeitgerecht, die Akzeptanz von Impfungen habe insgesamt zugenommen. Um sie weiter zu verbessern, bedürfe es aber nach wie vor der konsequenten Überzeugungsarbeit durch die Ärzte und einer positiven Darstellung in den Medien.

Professor Dr. ­Wolfgang ­Gaissmaier von der Universität Konstanz fasste die Fakten sowie die Vor- und Nachteile einer Impfpflicht zusammen. Seiner Auffassung nach muss sie in jedem Fall ausreichend streng durchgesetzt und kontrolliert werden – andererseits aber auch wieder nicht zu streng, denn das würde zu viel Widerstand hervorrufen. Medizinisch begründete Ausnahmen müssen möglich sein, bergen aber die Gefahr von Missbrauch. Ausnahmen hingegen, die auf weltanschaulichen Ansichten fußen, führen die Anordnungen ad ­absurdum.

Was ein Psychologe rät

Statt auf eine generelle Pflicht zu bestimmten Schutzimpfungen sollte man besser auf gut etablierte Maßnahmen setzen, meinte Prof. ­Gaissmaier. Aufklärung und Barrierenabbau sind für ihn die zentralen Ziele. Seine Vorschläge dazu:
  • Nutzen und mögliche Schäden von Impfungen verständlich kommunizieren
  • die Evidenz durch gute Geschichten ergänzen, die das Risiko der Infektion unterstreichen, nicht ihre Wahrscheinlichkeit
  • positive Botschaften setzen, statt Mythen zu wiederholen – und durch den Versuch, die Legenden zu entkräften, nur umso größer zu machen
  • die Gründe für ein unschlüssiges Verhalten gegenüber der Impfung versuchen nachzuvollziehen und dabei den Fokus auf Verunsicherte richten, nicht auf Gegner
  • den gesellschaftlichen Nutzen der Impfungen hervorheben, vor allem den für ungewollt Ungeimpfte wie Säuglinge
  • Impfen einfacher machen, z.B. in Apotheken und Schulen impfen

Der Psychologe verwies auf die Widersprüche, die sich bei einer Impfpflicht zwangsläufig ergeben: Warum gibt es die Vorgabe nur für die eine Krankheit, für andere hingegen nicht? Und warum soll sie nur für Kinder gelten, wenn doch die Erwachsenen oft das größere Problem sind? Davon abgesehen entheben gesetzliche Vorgaben nicht der Notwendigkeit von Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit, erinnerte der Experte. Sein Fazit: Eine Impfpflicht so zu gestalten, dass sie mehr nützt als schadet, bereitet bei Konzeption, Umsetzung und Akzeptanz große Probleme.

Kongressbericht: 15. Kongress für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin (Online-Veranstaltung)

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