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Appendektomie à la Störtebeker

Autor: Michael Brendler

Der eitrige Appendix wäre ohne die Operation sicherlich bald perforiert. Der eitrige Appendix wäre ohne die Operation sicherlich bald perforiert. © fotolia/asawinklabma
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Das nächste Krankenhaus war mehr als 500 Kilometer entfernt und weit und breit kein Anästhesist in Sicht. Ein Schiffsarzt erzählt, wie man auch unter den widrigsten Bedingungen einen „akuten Blinddarm“ behandeln kann.

Diesem Mann kann man nur noch mit einer Operation helfen, musste sich Dr. Claus Rudde­-Teufel­, Reederei F. Laeisz, Bremerhaven, gegen 17 Uhr eingestehen. Seit dem Morgen war bei dem 49-jährigen Mitreisenden die Temperatur deutlich gestiegen, die Leukozytenzahl hatte sich fast verdoppelt. Allein mit Antibiotika war dieser klinisch und sonographisch klar diagnostizierten Appendizitis offensichtlich nicht beizukommen. Was also tun?

Erst das Schiff ruhig gestellt, dann den Patienten

Das nächste Krankenkaus in Longyearbyen auf Spitzbergen befand sich mehr als 500 Kilometer entfernt. Für den Bordhelikopter eine unerreichbare Distanz, schreibt der Mediziner. Das Schiff selbst bräuchte aus dem Eis heraus mindestens zwei Tage. Es half also alles nichts: Sollte es dem Patienten nicht besser gehen, muss am nächsten Morgen operiert werden.

Am Abend nahmen die Beschwerden derart zu, dass man den Kapitän informierte, der sogleich sämtliche Deckarbeiten einstellen und das Schiff ruhig ins Eis legen ließ. In Anbetracht der nahenden Operation bangte es Dr. Rudde-Teufel besonders vor einem – er ist kein Anästhesist. Mit Schwierigkeiten und Komplikationen im Bauchraum kenne er sich zwar aus, mit anästhesiologischen Komplikationen allerdings nicht.

Hilfe kam schließlich in Form einer wackligen telefonischen Standleitung zum Krankenhaus Bremerhaven-Reinkenheide. Nachdem der Schiffsarzt den Patienten erfolgreich intubiert hatte und die Beatmung problemlos verlief, wies der dortige Narkosearzt den assistierenden nautischen Offizier darin ein, mithilfe eines Propofolperfusors die ideale Narkosetiefe anzusteuern. Wegen technischer Probleme gestaltete sich die Übertragung der Vitalparameter als unmöglich. Entsprechend schwierig war es für den Kollegen in Bremerhaven, anhand der von einem medizinischen Laien per Satellit übermittelten Daten Empfehlungen zu geben.

Trotz aller Widrigkeiten beendete Dr. Rudde-Teufel den Eingriff um 0:10 Uhr Bordzeit ohne Komplikationen – nach nur 25 Minuten. Intraoperativ fand sich eine prall mit Eiter gefüllter Appendix vermiformis, der in den nächsten Stunden mit Sicherheit perforiert wäre und damit eine Bauchfellentzündung mit möglicherweise schlimmen Konsequenzen ausgelöst hätte. Indikation und OP-Zeitpunkt erwiesen sich also als richtig, schließt Dr. Rudde-Teufel. Zwölf Tage nach dem Eingriff verließ der Patient im norwegischen Tromsø das Schiff und trat die Heimreise an.

Quelle: Rudde-Teufel C. Flug u Reisemed 2018; 25: 10-11