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Typ-1-Diabetes Besonderheiten bei Beginn im Erwachsenenalter

Autor: Elke Engels/Dr. Anja Braunwarth

Nicht alle Kinder und Erwachsenen mit Typ-1-Diabetes sind insulinpflichtig. Nicht alle Kinder und Erwachsenen mit Typ-1-Diabetes sind insulinpflichtig. © Science Photo Library/PHANIE/GARO
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Typ-1-Diabetes ist nicht gleich Typ-1-Diabetes. Zwischen Fällen, die im Kindesalter auftreten, und solchen, die erst Erwachsene betreffen, bestehen erhebliche genetische, immunologische und metabolische Unterschiede. Noch weiß man darüber recht wenig. Dadurch wird das Management der Erkrankung oft zur Herausforderung.

Neueren epidemiologischen Daten zufolge betreffen mehr als die Hälfte aller neuen Typ-1-Diabetes-Erkrankungen Erwachsene. Da über die Unterschiede der beiden Entitäten nicht genug bekannt ist, besteht die Gefahr von Fehlklassifizierungen.  

Klinisch lässt sich der akute, potenziell tödliche Diabetes im Kindesalter von der weniger aggressiven Form im Erwachsenenalter recht gut unterscheiden, schreibt das Team um Professor Dr. David­ Leslie­ vom Centre for Immunobiology an der Queen Mary University of London. Und man hat gelernt, dass nicht alle Kinder mit Typ-1-Diabetes insulinpflichtig sind und nicht alle Erwachsenen oral therapiert werden können. Nachdem immunologische, genetische und metabolische Analysen einige Abweichungen der beiden Varianten ergeben haben, hat man den insulinabhängigen und immunvermittelten Diabetes als Typ 1 neu definiert und die meisten anderen Formen als Typ-2-Diabetes umbenannt. 

Auch viele erwachsene Typ-1-Dia­betiker brauchen kein Insulin und ihre Hyperglykämie setzt eher graduell ein. Das ist einer der Gründe, warum 40 % von ihnen falsch zugeordnet werden, wobei das Fehlerrisiko mit dem Alter des Patienten zunimmt. Um die Situation zu bessern, initiierte die Juvenile Diabetes Research Foundation (JDRF) im November 2019 einen Workshop mit internationalen Experten. Da­rauf basierend wurden Strategien für ein besseres Krankheitsmanagement bei Typ-1-Diabetikern entwickelt. 

Erhöhtes Risiko für Autoimmunkrankheiten

Was die Genetik betrifft, geht die Erkrankung von Erwachsenen z.B. mit einer geringeren Hochrisiko-HLA-Heterozygotie einher und weist mehr schützende Genotypen auf. Immunologisch sieht man bei den Älteren häufiger Autoantikörper gegen die Glutamatdecarboxylase. Diese Antikörper dominieren auch unabhängig davon, ob die Patienten im Verlauf insulinpflichtig werden oder nicht, während andere krankheitsassoziierte Autoantikörper mit zunehmendem Alter weniger ­werden. 

Erwachsene mit einem neu auftretenden Typ-1-Diabetes tragen ein erhöhtes Risiko für andere Autoimmunkrankheiten. 30 % entwickeln z.B. eine Schilddrüsenautoimmunität. Daher sollte bei klinischem Verdacht auf solche Komorbiditäten gescreent werden (s. Kasten). 

Das AABBCC-Schema

Die Autoren schlagen zur besseren Diabetes-Klassifikation die Beurteilung bestimmter individueller Patientenparameter nach dem AABBCC-Schema vor.
  • Age: Ein Autoimmundiabetes findet sich am häufigsten bei Patienten unter 50 Jahren. Patienten, die ihre Erstdiagnose unter 35 Jahren erhalten, leiden entweder an einem Maturity Onset Diabetes of the Young (MODY) oder einem Typ-1-Diabetes. 
  • Autoimmunity: Man muss nach Inselzellautoantikörpern fahnden und abklären, ob es eine Ana­mnese für Autoimmunkrankheiten oder Hinweise darauf gibt (z.B. Struma, Vitiligo) 
  • BMI: Wenn BMI und Körperhabitus nicht zu einem Typ-2-Diabetes passen (z.B. BMI < 25 kg/m2), sollten weitere Untersuchungen folgen. Ein hoher BMI und ein vorliegendes metabolisches Syndrom wiederum deuten nicht zwangsläufig auf den Typ 2 hin. 
  • Background: Gibt es in der Familie einen Typ-1-Diabetes oder Autoimmunerkrankungen? Gehört der Patient einer ethnischen Risikogruppe an (zum Beispiel Nordeuropäer)?
  • Control: Geprüft werden sollte, ob sich Krankheitskontrolle und HbA1c unter einer Therapie ohne Insulin verschlechtern, sich der HbA1c rasch verändert, der C-Peptidspiegel erniedrigt ist (≤ 300 pmol/l) oder klinische Zeichen eines Betazellverlustes vorliegen. Außerdem erfasst man den Insulinbedarf in den drei Jahren nach Diagnose. 
  • Comorbidities: Begleiterkrankungen, z.B. von Herz oder Nieren, müssen unabhängig vom immunogenetischen Hintergrund bei der Bestimmung des Therapieziels berücksichtigt werden. 

Auf der metabolischen Seite hat sich gezeigt, dass Ältere zum Zeitpunkt der Diagnose höhere C-Peptid-Spiegel haben als Kinder, und das C-Peptid bleibt bei ihnen sehr lange messbar. Außerdem haben sie mit höherer Wahrscheinlichkeit als Kinder noch insulinproduzierende Betazellen und es gelingt besser, ihre Zuckerwerte einzustellen. Die höheren C-Peptid-Konzentrationen und der langsamere Verlust an Betazellen scheint die „Großen“ auch eher vor Ketoazidosen zu schützen, die sehr viel häufiger unter kranken Kindern und Jugendlichen auftreten. Darüber hinaus erleiden sie seltener Hypoglykämien. Vieles zu dem Thema liegt aber noch im Dunkeln. Die Autoren sehen u.a. dringenden Bedarf an Studien auf möglichst allen Kontinenten. Bislang standen hier Europa, Nordamerika und China im Vordergrund. Hilfreich wären jedoch Daten zu verschiedenen ethnischen Gruppen, um beispielsweise die Pathogenese oder Ungleichheiten in der Gesundheitsversorgung besser zu verstehen. Des Weiteren wäre es sinnvoll, prospektive Studien von Hochrisiko-Geburtskohorten ins Erwachsenenalter auszudehnen, damit die Mechanismen der Krankheitsentwicklung besser verstanden werden, besonders in Bezug auf Unterschiede von jungen und älteren Typ-1-Diabetikern. Screening-Programme, die derzeit in vielen Ländern für betroffene Kinder entwickelt werden, könnten die Grundlage für neue Behandlungsstrategien bei autoantikörper-positiven Bevölkerungsgruppen im Erwachsenenalter bilden. Wünschenswert wären außerdem mehr Daten zu krankheitsmodifizierenden Therapien im Frühstadium der Erkrankung. Laut derzeitiger Studienlage sprechen Kinder darauf besser an. Mit einer Untersuchung zu unterschiedlichen Wirkstoffen im Kinder- und Erwachsenenalter ließen sich wichtige Unterschiede aufzeigen, die evtl. richtungsweisend für die Therapie sind. Die Experten fordern zudem klar definierte Diagnosetools und Behandlungsalgorithmen. Und schließlich müssen Begleit- und Folgeerkrankungen sowie Komplikationen im Behandlungsverlauf verstärkt untersucht und kommuniziert werden.

Quelle: Leslie RD et al. Diabetes Care 2021; 44: 2449-2456; DOI: 10.2337/dc21-0770