Alle Wege führen über das Mikrobiom Darmflora steuert Neuroinflammation und Essstörungen

Autor: Maria Weiß

Das Darmmikrobiom kann Neuroinflammation, Belohnungssystem und Essgewohnheiten beeinflussen. Das Darmmikrobiom kann Neuroinflammation, Belohnungssystem und Essgewohnheiten beeinflussen. © VectorMine - stock.adobe.com

Das Darmmikrobiom kann Neuroinflammation, Belohnungssystem und Essgewohnheiten beeinflussen. Wünschenswert wäre es, wenn sich hierdurch ein Ansatzpunkt für die zukünftige Behandlung von Anorexie und Bulimie ergeben würde.

Zwei verschiedene, aber eng miteinander verbundene Systeme bestimmen, was, wann und wie viel wir essen: zum einen die Regulation der Energiehomöostase vorrangig über den Hypothalamus, zum anderen das Belohnungssystem, das uns vor allem bei als schmackhaft empfundenen Speisen zugreifen lässt. Inwieweit zusätzlich das Darmmikrobiom ins Spiel kommt, haben Sabrina Huwart vom Louvain Drug Research Institute in Brüssel und ihr Team in einem Review zusammengefasst.

Nach heutigem Wissensstand spielt das Darmmikrobiom, vermittelt über die Darm-Hirn-Achse, eine wichtige Rolle bei der Regulation von Nahrungsmittelpräferenzen. In Tierversuchen mit Mäusen wurde gezeigt, dass keimfreie Mäuse oder Tiere nach Entfernung des Darmmikrobioms durch Antibiotika eine hohe Präferenz für sehr süße und fettreiche Speisen haben – der Effekt ist reversibel nach einer Stuhltransplantation. Stammt die Stuhlspende jedoch von adipösen Mäusen, steigt danach die Präferenz für Zuckerlösungen.

Mikrobiom steuert eventuell verschiedene Neurotransmitter

Doch wie wird dieser Effekt vermittelt? Dopamin ist der entscheidende Neurotransmitter im Belohnungssystem. Nach Stimulation z. B. durch schmackhaftes Essen, wird Dopamin im mesokortikolimbischen System freigesetzt und lässt uns nach mehr verlangen. Tierversuche deuten darauf hin, dass dieser Prozess durch das Darmmikrobiom beeinflusst werden kann. Das könnte auch für andere Neurotransmitter wie Serotonin und GABA gelten, was aber noch bewiesen werden muss.

Entzündungen lösen eine Reduktion der Dopaminsynthese und -ausschüttung aus. Auch die Neuroinflammation, die als Reaktion auf Stress und bestimmte Erkrankungen entsteht, könnte über diesen Weg das Belohnungssystem beeinflussen. Unklar ist bisher noch, inwieweit das Auswirkungen auf unser Ernährungsverhalten und damit auch auf Adipositas und Essstörungen hat.

Zumindest kann die Neuroinflammation über verschiedene Mechanismen durch das Darmmikrobiom beeinflusst werden. Dies betrifft verschiedene Bereiche der Neuroinflammation wie die Störung der Blut-Hirn-Schranke, das verstärkte Einwandern von Monozyten, die Aktivierung von Astrozyten und die vermehrte Produktion proinflammatorischer Zytokine, wie in Tierversuchen gezeigt wurde. Auch Metaboliten der Darmbakterien wie kurzkettige Fettsäuren (SCFAs) könnten hierbei eine Rolle spielen.

Dieses Zusammenspiel aus Mikrobiom, Belohnungssystem und Neuroinflammation legt den Verdacht nahe, dass die Faktoren auch einen Einfluss auf Essstörungen wie Anorexia nervosa, Bulimia nervosa und Binge-Eating-Störung haben könnten. Die genaue Ätiologie dieser Erkrankungen ist immer noch unklar – sie scheinen aber mit neuronalen Veränderungen sowohl im Bereich der Energiehomöostase als auch des Belohnungssystems zusammenzuhängen. In Tiermodellen für Essstörungen findet man Hinweise auf verschiedene Veränderungen im Neurotransmittersystem und auf gestörte Aktivierungsmuster im Bereich des Belohnungssystems.

Die gängigen Ansätze sind häufig auf Dauer erfolglos 

Ein interdisziplinärer Ansatz bei der Therapie von Essstörungen mit Ernährung, psychologischen und pharmakologischen Ansätzen führt bei weniger als der Hälfte der Betroffenen zu einer vollständigen Remission – Rückfälle und Chronifizierung sind häufig. Neue Therapieansätze sind daher von großer Bedeutung.

Hier kommt wieder das Darmmikrobiom ins Spiel. In mehreren Studien wurde bereits gezeigt, dass Menschen mit Anorexia nervosa Veränderungen in der Zusammensetzung des Darmmikrobioms wie z. B. eine verminderte Diversität im Vergleich zu gesunden Kontrollen aufweisen, die z. T. auch durch die kalorienarme Kost bedingt sein können. Vor allem Roseburia spp. – ein SCFA-produzierendes Bakterium – scheint verringert zu sein. Wichtig ist es hier zu wissen, dass die mit Anorexia nervosa assoziierten Veränderungen oft auch nach der klinischen Remission mit Gewichtsnormalisierung weiter bestehen. Einige Bakterienarten könnten hierbei möglicherweise als Prognoseparameter herangezogen werden.

Zum Zusammenhang zwischen Bulimia nervosa bzw. der Binge-Eating-Störung mit dem Darmmikrobiom gibt es wesentlich weniger Literatur. Auch hier wurden aber Veränderungen in der Bakterienzusammensetzung nachgewiesen, die einen Einfluss auf die Essstörungen haben könnten. Veränderungen des Belohnungssystems und der hier wirksamen Neurotransmitter scheinen ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Pathophysiologie von Essstörungen zu spielen. Es fehlt zurzeit aber noch ein eindeutiger Link zwischen Mikrobiom, Belohnungssystem und Essstörungen. Ähnliches gilt für die bei Anorexia nervosa nachgewiesene Neuroinflammation, die ebenfalls durch das Mikrobiom beeinflusst wird.

Quelle: Huwart SJP et al. Gut 2025; doi: 10.1136/gutjnl-2024-333397