Anzeige

Der Check nach „kleinem Unfall“ endete unverhofft im Schockraum

Autor: Dr. Carola Gessner

Auch wenn man zunächst keine Schmerzen verspürt, darf man einen Autounfall nicht auf die leichte Schulter nehmen. Auch wenn man zunächst keine Schmerzen verspürt, darf man einen Autounfall nicht auf die leichte Schulter nehmen. © iStock/tommaso79
Anzeige

Etwas betreten und leicht schuldbewusst sitzt der 30-jährige Herr W. in Ihrem Sprechzimmer. Er habe in der Nacht einen kleinen Unfall gehabt, sich dabei heftig den Kopf gestoßen. Nun will er das "Go" vom Arzt, dass er zur Arbeit kann. Ob dieser ihn gerade mal durchchecken könnte?

Worauf kommt es bei der Untersuchung eines solchen Patienten an? Dr. Maximilian von Au von der Klinik für Anästhesiologie am Universitätsklinikum Heidelberg empfahl, zunächst den Unfallmechanismus sehr genau zu erfragen. Herr W. erklärt Ihnen, er habe sein Auto so gegen 5 Uhr morgens auf der Landstraße außerorts gegen einen Baum gesetzt. Die Polizei ließ er außen vor, weil er in der Nacht vier Pils getrunken hatte. Zu schnell sei er nicht gefahren. Erlaubt sind auf dieser Landstraße 80 km/h, informierte der Kollege.

Zunächst habe er gar nichts bemerkt, antwortet der Mann auf Ihre Frage nach Beschwerden. Doch jetzt verspürt er Kopf- und Nackenschmerzen. Und auf Ihr gezieltes Nachhaken hin räumt Herr W. eine Erinnerungslücke von etwa 30 Minuten für die Zeit vor dem Unfall ein.

Unfallopfer sollten erst nach eingehender Untersuchung wieder arbeiten

Bei der körperlichen Untersuchung finden sie eine kleine Platzwunde an der Stirn. Die Sauerstoffsättigung liegt bei 98 %, Atemfrequenz und Atemgeräusche geben nichts Auffälliges her. Der Puls beträgt 130/min, der Blutdruck 140/80 mmHg. Schädel, Brustkorb und Extremitäten sind stabil. Der Bauch des Patienten allerdings fühlt sich etwas gespannt und prall an. Herr W. gibt mäßigen Druckschmerz an.

Das Auditorium des Heidelberger Seminars – vom Referenten um seine Einschätzung gebeten – war nun nicht mehr dafür, den Patienten zur Arbeit gehen zu lassen. Ein Kollege schlug einen zeitnahen Ultraschall mit der Frage "innere Bauchverletzungen?" vor.

Richtig, stimmte der Experte zu, allein der Unfallmechanismus stelle bereits eine Schockraum-Indikation dar: "Ein Notarzt vor Ort wäre mit dem Patienten direkt in die Klinik gefahren, wo 15 Mann Gewehr bei Fuß im Schockraum gewartet hätten", verdeutlichte der Anästhesist. Der Grund: Solche Hochrasanztraumen gehen oft mit Verletzungen einher, die man u.U. von außen nicht sieht, an denen der Patient aber verbluten kann.

Hat es vielleicht in den Bauchraum geblutet?

Im geschilderten Fall weist der schnelle Puls darauf hin, dass bereits ein Volumenmangel vorliegt. Folglich muss der Verdacht auf eine Blutung im Bauchraum abgeklärt werden. "Und immobilisieren Sie die HWS – auch wenn Ihnen das ein bisschen lächerlich vorkommt, weil der Mann ja auf zwei Beinen in die Praxis kam", so Dr. von Au. Angesichts des Hochgeschwindigkeitstraumas mit Schädel-Hirn-Verletzung bestehe akute Lebensgefahr.

Und das weitere Prozedere? Es sollten möglichst zwei große Zugänge gelegt werden, da der 30-Jährige jeden Moment dekompensieren kann, so Dr. von Au. Ansonsten heißt es je nach Klinik handeln nach dem Motto "Treat first what kills first" nach der ABCDE-Regel der Traumatologen. An diesem Schema kann man sich entlang hangeln – vor allem auch am Unfallort, wenn man "auf der Straße" dazugerufen wird.

Bei Verkehrsunfällen bieten im Übrigen nur selten spektakuläre Befunde (wie offene Brustkorbverletzungen) Anlass zur Einlieferung in den Schockraum. Eher liegen sekundäre Indikationen vor, wie z.B.:

  • Aufprallgeschwindigkeit von >30 km/h – „das erreicht man als Autofahrer schnell“
  • Auto > 50 cm eingedellt
  • Sturz aus > 3 m Höhe – "... wenn Arbeiter von der Leiter fallen" Diese verunglückten Personen kommen alle in den Schockraum. In 90 % der Fälle findet sich im Endeffekt nichts. Für die anderen ist das Vorgehen aber lebensrettend.

Quelle: 23. Heidelberger Tag der Allgemeinmedizin