Kein Blick in die Glaskugel nötig Diabetesrisiko lässt sich voraussagen – vier einfache Angaben reichen aus

Autor: Nicole Finkenauer

Die Ergebnisse zeigen, dass die erstbetreuenden Hausarztpraxen ein einfaches Instrument haben, um Menschen mit Diabetesrisiko zu testen und zu identifizieren. Die Ergebnisse zeigen, dass die erstbetreuenden Hausarztpraxen ein einfaches Instrument haben, um Menschen mit Diabetesrisiko zu testen und zu identifizieren. © RecCameraStock- stock.adobe.com

Anhand weniger Routineparameter wie Nüchternblutzucker, Alter, Geschlecht und Body-Mass-Index (BMI) lässt sich recht zuverlässig das Risiko vorhersagen, in den nächsten zehn Jahren an Diabetes zu erkranken – das zeigt eine aktuelle Studie. Die Ergebnisseunterstreichen die Forderungen der DDG nach einer Stärkung der Früherkennung sowie einem Ausbau der Präventionsangebote. Praxen spielen dabei eine wichtige Rolle.

Die Rochester-Epidemiology-Project-Studie untersuchte fast 45.000 US-amerikanische Erwachsene im Alter zwischen 18 und 65 Jahren.1 Innerhalb von rund sieben Jahren erkrankten 8,6 % an Diabetes. Im Zehn-Jahres-Verlauf lag das Risiko insgesamt bei 12,8 %. Auffällig war: Bereits Nüchternblutzuckerwerte im oberen Normalbereich (95–99 mg/dl (5,3-5,5 mmol/l)) erhöhten das Diabetesrisiko. Kombinierte sich der Befund mit Übergewicht, verdoppelte sich die Wahrscheinlichkeit für Diabetes. Stiegen die Werte noch weiter an, vervierfachte sich das Risiko. „Die Ergebnisse zeigen eindrucksvoll, wie wichtig der Nüchternblutzucker für die Risikoabschätzung ist“, sagt DDG Präsidentin Professorin Dr. Julia Szendrödi, Heidelberg. „Auch Werte im Bereich des Prädiabetes müssen ernst genommen werden. Durch die Kombination mit Alter, Geschlecht und BMI wird das individuelle Risiko noch klarer sichtbar – so können wir Menschen gezielt identifizieren, die besonders gefährdet sind.“ Vergleichbare Ansätze wurden mit dem FINDRISK-Score etabliert, der seit Langem als einfaches Instrument zur Risikoeinschätzung eingesetzt wird. Nicht übersehen werden darf, dass schon Prädiabetes ein eigenständiger kardiovaskulärer Risikofaktor ist – unabhängig davon, ob später ein manifester Diabetes entsteht.

Früherkennung erleichtert gezielte Prävention

Die Forschungsgruppe der REP-Studie entwickelte eine Tabelle (Nomogramm), mit der sich das individuelle Risiko für die kommenden zehn Jahre berechnen lässt. Damit haben Ärzt*innen ein einfaches Werkzeug, um in der Praxis Menschen mit hohem Risiko zu erkennen, auch dann, wenn Nüchternblutzuckerwerte noch im Normalbereich liegen. „Das eröffnet Chancen für eine wirksame Prävention“, betont DDG Vizepräsident Dr. Tobias Wiesner. „Wir können betroffene Menschen früher identifizieren und mit ihnen über Veränderungen im Lebensstil sprechen – etwa zu Ernährung, Bewegung und Gewichtskontrolle“, so der niedergelassene Diabetologe aus Leipzig.

Die beiden DDG Mediziner weisen jedoch darauf hin, dass die Studienergebnisse Einschränkungen unterliegen. So wurde der Nüchternblutzucker nur einmal bestimmt. Zudem basiert die retrospektive Analyse auf einer regionalen US-Kohorte, deren Übertragbarkeit überprüft werden muss.

Die Ergebnisse zeigen, dass die erstbetreuenden Hausarztpraxen ein einfaches Instrument haben, um Menschen mit Diabetesrisiko zu testen und zu identifizieren. Bei Bedarf stehen die diabetologischen Schwerpunktpraxen im Therapieprozess z. B. mit Schulungen zur Verfügung. Die Studie zeigt auch, dass eine qualifizierte diabetologische Beratung an Bedeutung gewinnt.

Zusammenfassung des Nomogramms: vier Risikokategorien im Zehn-Jahres-Vergleich
  •  Referenzgruppe (niedrigstes Risiko, ca. 5 %): Frauen unter 30 Jahren, BMI 18,5–24,9 kg/m2 und Nüchternblutzucker 80–94 mg/dl (4,4­–5,2 mmol/l)
  • Leicht erhöhtes Risiko (ca. 12 %): Nüchternblutzucker 95–99 mg/dl (5,3–5,5 mmol/l) oder BMI 25–29,9 kg/m2
  • Mittleres Risiko (ca. 26 %): Kombination aus BMI 30–34,9 kg/m2 und Nüchternblutzucker 100–104 mg/dl (5,6–5,8 mmol/l)
  • Hohes Risiko (bis 56 %): BMI ≥40 kg/m2 und Nüchternblutzucker 120–125 mg/dl (6,7–6,9 mmol/l), besonders bei Männern ab 60 Jahren

Risikoreduktion durch strukturierte Versorgung

Je mehr in eine strukturierte Versorgung investiert wird, desto besser lassen sich individuelle Risiken senken. Aber: „Wir brauchen auch politische Rahmenbedingungen, die die gesunde Wahl zur einfachen Wahl machen“, wie Barbara Bitzer, DDG Geschäftsführerin, zu bedenken gibt. Dazu gehören eine Mehrwertsteuerbefreiung für Obst und Gemüse, eine Herstellerabgabe auf zuckergesüßte Getränke nach britischem Vorbild sowie strengere Regeln für Werbung ungesunder Lebensmittel gegenüber Kindern.

Außerdem fordert die DDG eine verpflichtende und klare Nutri-Score-Kennzeichnung, die Verankerung des gesundheitlichen Verbraucherschutzes im Bundesministerium für Gesundheit sowie den Ausbau der „Prävention auf Rezept“ mit individualisierten Programmen für Hochrisikogruppen.

1. Egan AM et al. JAMA Netw Open 2025 Jan 2; 8 (1): e2456067; doi: 10.1001/jamanetworkopen
2. Agenda Diabetologie 2030: ddg.info/presse/2025/agenda-diabetologie-2030-versorgung-sichern-praevention-staerken