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Epilepsie Fett statt Kohlenhydrate fürs Gehirn

Autor: Alexandra Simbrich

Studien konnten bereits belegen, dass eine ketogene Ernährung die Häufigkeit epileptischer Anfälle um mehr als die Hälfte reduzieren kann. Studien konnten bereits belegen, dass eine ketogene Ernährung die Häufigkeit epileptischer Anfälle um mehr als die Hälfte reduzieren kann. © bit24 – stock.adobe.com
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Sie ist als Ernährungstrend bekannt, doch die ketogene Diät kann mehr: Pädiatrische Epilepsien und ausgewählte Stoffwechselerkrankungen sprechen gut auf eine Reduktion der Kohlenhydrate an.

Epilepsie und epileptische Anfälle sind bei Kindern und Jugendlichen die häufigste chronische neurologische Erkrankung. Gut ein Drittel der jungen Patienten weist jedoch eine pharmakoresistente Epilepsie auf, schreiben Dr. ­Andrea ­Rüegger und Prof. Dr. ­Georgia ­Ramantani vom Universitäts-Kinderspital Zürich. Neben chirurgischen Verfahren und der Vagusnervstimulation etabliert sich immer stärker die ketogene Ernährungstherapie (KET) als mögliche Behandlung. Mittlerweile gibt es mehrere Varianten dieser fettreichen und kohlenhydratarmen Ernährungsform. Zum Einsatz kommen vor allem folgende:

  • Klassische ketogene Ernährung: Das Verhältnis der aufzunehmenden Makronährstoffe ist streng definiert. Meist beträgt die „ketogene Ratio“ (d.h. der Gewichtsanteil von Fett vs. Anteil der Kohlenhydrate und Proteine) 3:1 oder 4:1.
  • Modifizierte Atkins-Diät (MAD): Die Menge an Kohlenhydraten wird berechnet, die Menge an Proteinen und Fetten ist frei. Dadurch ist die Variante weniger restriktiv als die klassische ketogene Diät.
  • Niedrig-glykämische Indextherapie (low glycemic index treatment. LGIT): Wie bei der MAD wird die Menge an Kohlenhydraten berechnet, jedoch sind nur Kohlenhydrate mit einem glykämischen Index < 50 erlaubt.

Welche Variante man therapeutisch einsetzt, hängt unter anderem vom Alter des Kindes, der Akzeptanz der Therapie und der Umsetzbarkeit im Alltag ab.

Der Verzehr von reichlich Fett bei gleichzeitiger Kohlenhydratrestriktion versetzt den Körper in eine katabole Stoffwechsellage. Bei dieser entstehen über mehrere Schritte in der Leber Ketonkörper. Sie können die Blut-Hirn-Schranke überwinden und dienen dem Gehirn als alternative Energiequelle zu Glukose. Zudem scheinen die Ketonkörper im Gehirn antikonvulsiv zu wirken. In Studien konnte eine KET die Häufigkeit epileptischer Anfälle um mehr als die Hälfte reduzieren. Inzwischen ist sie bei weiteren Epilepsiesyndromen und einzelnen Stoffwechselstörungen empfohlen bzw. durchführbar (s. Tabelle).

Indikationen für eine ketogene Ernährungstherapie

Epilepsien und Epilepsiesyndrome

Stoffwechselstörungen

  • Angelman-Syndrom

  • Komplex-I-Mitochondriopathie

  • Dravet-Syndrom

  • Epilepsie mit myoklonisch-atonen Anfällen (Doose-Syndrom)

  • Fieberinduziertes Epilepsiesyndrom (FIRES)

  • Blitz-Nick-Salaam-Epilepsie (infantile Spasmen; West-Syndrom)

  • Entwicklungs- und epileptische Enzephalopathie beim Säugling

  • Super-refraktärer Status epilepticus

  • Tuberöse Sklerose

  • Glukosetransporter-1-Defekt

  • Pyruvatdehydrogenase-Mangel (PDHD)

Quelle: S1-Leitlinie „Ketogene Diäten“, AWMF-Registernr. 022/021, www.awmf.org

Um die KET umzusetzen, können die jungen Patienten ihre normale orale Ernährung anpassen, dann muss eine Supplementierung von Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen erfolgen. Daneben ist eine Formula-, Sonden- oder parenterale Verabreichung möglich. Zu den Kontraindikationen zählen vor allem Fettstoffwechselerkrankungen, daher sind vorab ausführliche Blut- und Urinuntersuchungen erforderlich.

Die KET muss ärztlich verordnet und von einem Behandlungsteam aus Ärzten und Ernährungsfachkräften begleitet werden. Der Start kann je nach Variante ambulant oder stationär erfolgen. Die deutsche S1-Leitlinie empfiehlt, die KET insbesondere bei Säuglingen und Kindern stationär einzuleiten, um Komplikationen wie Hypoglykämien, überschießende Ketose oder eine metabolische Azidose schnell erkennen und therapieren zu können. Zudem können Patienten und Angehörige im stationären Setting diätetisch besser geschult werden. Das trägt entscheidend zum Gelingen der KET bei.

Als Nebenwirkungen können kurz- bis mittelfristig vor allem gastrointestinale Beschwerden wie Verstopfung, Übelkeit oder Bauchschmerzen sowie Hyperlipidämien auftreten. Bei Infekten und Fieber ist besondere Vorsicht geboten, da es zu einer verstärkten Azidose oder überschießenden Ketose kommen kann. Potenzielle Langzeiteffekte der KET auf das kardiovaskuläre Risiko, den Knochenstoffwechsel und das Wachstum sind bislang nicht ausreichend untersucht.

Das Potenzial der KET auch bei anderen neurologischen Erkrankungen wird zunehmend erforscht. Infrage kommt die ketogene Ernährung möglicherweise bei einer Autismus-Spektrum-Störung, der Alzheimerkrankheit, Hirntumoren, Multipler Sklerose, Parkinson sowie Migräne.

Quelle: Rüegger A, Ramantani G. Swiss Med Forum 2023; DOI: 10.4414/smf.2023.1270632119