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Parodontitis Gefahr aus tiefen Taschen

Autor: Dr. Anne Benckendorff

Eine schwere Parodontitis ist nicht nur ein lokales Problem. Sie wirkt sich negativ auf den gesamten Organismus aus.
Eine schwere Parodontitis ist nicht nur ein lokales Problem. Sie wirkt sich negativ auf den gesamten Organismus aus. © freshidea- stock.adobe.com
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Entzündetes Zahnfleisch bietet eine Eintrittspforte für Bakterien. Kommt es in der Folge zu einer systemischen Entzündungsreaktion und wiederkehrenden Bakteriämien, kann sich dies negativ auf zahlreiche chronische Erkrankungen auswirken – und vice versa.

Ein Teil der Bakterien, die natürlicherweise die Mundhöhle besiedeln, ist in der Lage, auf den Oberflächen der Zähne zu wachsen. Dieser dentale Biofilm nimmt – wenn er nicht regelmäßig durch Zähneputzen entfernt wird – mit der Zeit zu, und es bilden sich Zahnbeläge. Dringen Bakterien dauerhaft zwischen Zahnfleisch und Zahnoberfläche vor, kann die entzündliche Abwehrreaktion des Körpers entgleisen und chronisch werden. Es entwickelt sich eine Paro­dontitis, die Bindegewebe und Knochen des Zahnhalteapparats zerstört, schreiben Prof. Dr. ­Peter ­Eickholz und Prof. Dr. ­Bettina ­Dannewitz von der Klinik für Parodontologie der Universität Frankfurt.

Etwa 15–20 % der hiesigen Bevölkerung weisen eine schwere Parodontitis auf. Die Behandlung erfolgt, indem die Beläge entfernt (professionelle Zahnreinigung) und die Wurzeloberflächen in den Zahnfleischtaschen mechanisch gereinigt werden. Selten können chirurgische Maßnahmen und/oder eine systemische Antibiose nötig werden. 

Wiederholte transiente Bakteriämien

Eine Parodontitis betrifft jedoch nicht nur die Zahngesundheit, sondern die Gesundheit allgemein, wie die Autoren betonen. Denn die subgingivale Wundfläche kann eine Größe von 8–20 cm2 erreichen, beim Zähneputzen und Essen werden immer wieder Bakterien in die Blutbahn geschwemmt. Dies führt dazu, dass z.B. der Serumspiegel des C-reaktiven Proteins bei Parodontitispatienten im Vergleich zu paro­dontal Gesunden deutlich erhöht ist. Diese systemische Entzündung wirkt sich negativ auf zahlreiche Erkrankungen aus, die ihrerseits wiederum Einfluss auf die Parodontitis haben.

Diabetes

Patienten mit einem schlecht eingestellten Diabetes tragen ein erhöhtes Risiko, an Parodontitis zu erkranken, und die Erkrankung schreitet bei ihnen schneller voran. Umgekehrt verschlechtert eine Parodontitis nachweislich die glykämische Kontrolle. Typ-2-Dia­betiker mit schweren Formen der baktieriellen Erkrankung sterben häufiger an einer ischämischen Herzerkrankung, dia­betischer Nephropathie, Makro­albuminurie und terminaler Niereninsuffizienz als parodontal weitgehend Gesunde. Eine effektive Parodontitis­therapie reduzierte in Studien den HbA1c-Wert um 0,4 bis 0,5 %. Dies entspricht in etwa dem Effekt, den die Hinzunahme eines weiteren Diabetesmedikaments hat, erläutern die Autoren. 

Herz

Einer Vielzahl von Studien zufolge besteht eine Assoziation zwischen Parodontitis und Atherosklerose, die sich nicht zuletzt in einer stark verdickten Intima media zeigt. Sehr wahrscheinlich tragen die wiederkehrenden Bakteriämien zu entzündlichen Veränderungen der Gefäße und letztlich zu einer endothelialen Dysfunktion bei, wie die Autoren schreiben. Als Surrogatparameter fungieren die flussvermittelte Dilatation und die Pulswellengeschwindigkeit. Diese sind bei Parodontitis beeinträch­tigt und verbessern sich nach erfolgreicher Behandlung. In einer über 18 Jahre laufenden Studie kam es bei Parodontitispatienten häufiger zu Angina pectoris, Herzinfarkten und Schlaganfällen. Ein Effekt der Behandlung des Zahnhalteapparats auf die Häufigkeit kardiovaskulärer Ereignisse konnte bislang nicht nachgewiesen werden. 

Schwangerschaft

Eine bestehende Parodontitis der Mutter ist, je nach Schweregrad, mutmaßlich positiv korreliert mit dem Risiko für Frühgeburt oder niedriges Geburtsgewicht des Kindes. In einer Studie nahm die Rate an Schwangerschaftskomplikationen nach Parodontitistherapie ab – allerdings nur, sofern diese erfolgreich war.

Atemwegserkrankungen

Bakterien aus den entzündeten Zahnfleischtaschen werden in die Lunge verschleppt und lösen auf diese Weise respiratorische Erkrankungen aus, vermuten die Autoren. Bei alten Menschen in Pflegeeinrichtungen konnte ein Zusammenhang zwischen schlechter Mundhygiene und der Häufigkeit von Pneumonien festgestellt werden. Maßnahmen zur Verbesserung der Zahnpflege senkten das Risiko.

Zudem bestehen auffällige pathogenetische Ähnlichkeiten zwischen Parodontitis und Lungenemphysemen: In beiden Fällen wandern neutrophile Granulozyten in das Gewebe ein und bewirken die proteolytische Zerstörung von Zahnhalteapparat bzw. Lungenparenchym. Gemeinsamer zentraler Risikofaktor ist das Rauchen. Weitere Erkrankungen, für die eine Assoziation mit Parodontitis bekannt ist, umfassen rheumatoide Arthritis, chronische Niereninsuffizienz, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, maligne Tumoren (Kopf, Hals, oberer Respirations- und Verdauungstrakt, Lunge, Magen oder Pankreas) sowie neurodegenerative Erkrankungen. Aufgrund der gegenseitigen Beeinflussung sollten Zahn-, Haus- und Fachärzte sich enger austauschen und stärker zusammenarbeiten, fordern die Autoren.

Quelle: Eickholz P, Dannewitz B. Hessisches Ärzteblatt 2022; 9: 495-502